H. (FAU Bremen): Adolph Fischer - Ein militanter Anarchosyndikalist

Der gebürtige Bremer Adolph Fischer war in der anarchistischen amerikanischen ArbeiterInnenbewegung aktiv und gehörte schießlich zu den 8 Hingerichteten im Chicagoer "Haymarket-Prozess" von 1886.

Adolph Fischer ist in Bremen geboren, und dort 8 Jahre zur Schule gegangen ("Ich bin wie jedes normale Kind aufgewachsen"). So aufzuwachsen hieß , schon als Kind Staats- und Kaisertreu und antisozialistisch erzogen zu werden.

Er entdeckte jedoch den Widerspruch zu seiner eigenen proletarischen Herkunft und gewann durch seinen Vater Sympathien für den Sozialismus.

Zusammen mit ihm besuchte er regelmäßig sozialistische Versammlungen. Die Staatsschule bezeichnet er nur als eine "Einführung in die praktische Schule des Lebens". Eine große Anzahl von Arbeitern würden ihre Erfahrungen in der harten Schule ihres Lebens sammeln und beginnen, die Krankheitssymptome der Gesellschaft richtig zu deuten. Dazu gehören Kapitalisten und Profitgeier, die geistige Betäubung der Arbeiter.

Engagierter Anarchosyndikalist in Amerika

Im Jahr 1873 ist er im Alter von 15 Jahren wie Tausende andere SozialistInnen nach Amerika ausgewandert. Dort begann er kurz nach seiner Ankunft schon eine Ausbildung als Schriftsetzerlehrling in der Druckerei seines Bruders. Nach dessen Abschluss zog er von Ort zu Ort und trat in St. Louis schließlich 1879 in die "Deutsche Druckergewerkschaft" ein ( Die amerikanische ArbeiterInnenbewegung bestand zu einem sehr großen Teil aus exilierten Deutschen). Dort heiratete er auch zwei Jahre später und wurde bis zu seinem Tod Vater von drei Kindern.

.1883 zog er dann mit seiner Familie nach Chicago, ein Zentrum der damaligen anarchistischen ArbeiterInnenbewegung und fand eine Anstellung bei der "Chicagoer -Arbeiter-Zeitung" als Schriftsetzer.

Er hielt es für seine Pflicht, die Lehre des Sozialismus wo und wann immer es ihm möglich war, zu verbreiten. Die "Chicagoer Arbeiter Zeitung" hatte eine Auflage von 6000 Exemplaren und war das wichtigste aktuelle Informationsmedium für die Bewegung. Adolph Fischer war Mitglied im 1875 in Chicago gegründeten
"Lehr- und Wehrverein". Dieser schulte seine Mitglieder sowohl politisch, als auch militärisch, was für den Arbeitskampf unabdinglich war, da sich bei Streiks und Demonstrationen immer wieder vor Polizei und Militär geschützt werden musste. Er gehörte zu den "Unversöhnlichen", dem militantesten Flügel der anarchistischen ArbeiterInnenbewegung.

Haymarket: Tote Arbeiter

Ein unmittelbares Ziel der ArbeiterInnenbewegung war Erkämpfung des Acht-Stunden-Tages. Dafür und gegen die sich verschärfenden Klassengegensätze demonstrierten ab dem 1. Mai 1886 in Chicago Tausende von ArbeiterInnen und mehr als 40000 traten in den Streik. Zwei Tage später erschossen Polizisten 2 Arbeiter. Darauf reagierte der Herausgeber der "Chicagoer Arbeiter Zeitung",
August Spies, mit einem Flugblatt mit dem Untertitel: "Arbeiter, bewaffnet Euch und erscheint massenhaft !", das in hoher Auflage verteilt wurde.

Adolph Fischer gehörte zu der Gruppe von Anarchosyndikalisten, die zum selben Thema eine Protestversammlung auf dem "Haymarket" erörterten. Der gebürtige Bremer erhielt schießlich das Mandat zur Vorbereitung dieser Massenversammlung. Unter der Bedingung, daß der Aufruf zu Bewaffnung aus dem Flugblattext wieder gestrichen wird, sagte August Spies als Redner zu.

Trotzdem gelangten einige hundert militante Flugblätter an die Öffentlichkeit. Die Versammlung besuchten dann etwa 3000 ArbeiterInnen. Da sich die Redebeiträge der 3 Sprecher in die Länge und Gewitterwolken heranzogen, verblieben nur noch etwa 300 Menschen als eine Bombe in den Reihen der Polizisten explodierte. Dies nahmen sie zu Anlass in die Menge der ArbeiterInnen zu schiessen und weitere 8 Arbeiter zu ermorden. Die Urheber der Bombenexplosion konnten nie ermittelt werden.

Dieser Abschnitt ging als "Haymarket-Tragödie" in die Geschichte ein.
Nun setzte der Staat alles dran, die anarchistische ArbeiterInnenbewegung zu zerschlagen: Wohnungsdurchsuchungen, Hunderte von Verhaftungen, brutale Verhöre mit Erpressung von Geständnissen und Bestechung von Zeugen für die Anklage, dazu eine intensive Pressehetze gegen die ArbeiterInnen. Nichtanarchistische Gewerkschaften und Verbände distanzierten sich von den angegriffenen AnarchistInnen, um ihre Macht und ihre Pfründe zu erhalten, wie wir das von Sozialdemokraten und Kommunisten nur zu gut kennen.

Adolph Fischer erfuhr erst am nächsten Tag aus der Zeitung von den Vorfällen auf der Versammlung, da er früher gegangen war. Er wurde dann wenig später um 10.30 Uhr mit anderen Kollegen im Büro der "Chicagoer Arbeiter Zeitung" verhaftet.

Schauprozess und Morde

Es begann einer der bedeutendsten Prozesse gegen die ArbeiterInnenbewegung.
Angeklagt waren neben Adolph Fischer und August Spie noch weitere 6 Arbeiter, die zum Teil Alibis hatten. Der zunächst entflohene Albert Parsons kehrte schließlich zurück, da es ein Anwalt als wichtig erachtete, daß der einzig gebürtige Amerikaner beim Prozess zugegen sei. Er setzte sich zu seinen GenossInnen auf die Anklagebank. In einem Schauprozess wurden sieben von ihnen zum Tode verurteilt, darunter Adolph Fischer.

Der Prozessverlauf sorgte nochmals für eine breite Solidaritätskampagne, der sich sogar ein Grossteil der eher liberalen Öffentlichkeit anschloss . Die Verurteilten ließen Kassiber aus den Gefängnissen rausschmuggeln, in denen Beiträge für die Arbeiterzeitungen und Autobiografien enthalten waren. Ein Berufungsverfahren wurde jedoch abgelehnt und der Hinrichtungstermin auf den 11. November gesetzt. Keiner der Verurteilten distanzierte sich von seiner Überzeugung.

Zwei von ihnen reichten Gnadengesuche ein. August Spieß zog sein Gesuch wieder zurück. Adolph Fischer und die anderen hatten sich für den Tod, für die sozial Entrechteten entschieden:

"Wie das Gericht und die Staatsanwaltschaft öffentlich erklärt haben, wurde das Todesurteil verhängt, um die anarchistische und sozialistische Bewegung zu zerschlagen.

Ich freue mich, da diese barbarische Maßnahme das genaue Gegenteil bewirkt hat. Tausende von Arbeitern sind durch unsere Verurteilung erst dazu gekommen, sich mit dem Anarchismus eingehender zu beschäftigen. Wenn wir hingerichtet werden, können wir das Schafott mit dem befriedigenden Gefühl besteigen, daß wir durch unseren Tod die Sache, die uns allen so am Herzen gelegen hat, weiter vorangetrieben haben, als es uns möglich gewesen wäre, wenn wir so alt wie Methusalem geworden wären." (Adolph Fischer).

Den Gnadengesuchen wurde stattgegeben und die Todesstrafe in lebenslange Haft umgewandelt, die anderen wurden pünktlich erhängt. unter ihnen Adolph Fischer (Bremen), Albert R. Parsons (Montgomery), August Spieß (Landeck), Georg Engel (Kassel).

Dieser 11. November wurde in Amerika zu einem Gedenktag der ArbeiterInnenbewegung. Die Ereignisse wurden weltweit bekannt und zogen viel Solidarität von allen Kontinenten nach sich.

Adolph Fischer schrieb

Für welchen Kampf und gegen welche Mißstände Adolph Fischer einstand, legte er in einem Schreiben aus der Haft heraus dar, von dem hier ein Auszug dokumentiert werden soll:

"... Die Arbeiter werden von frühester Kindheit an auf ihr späteres Schicksal vorbereitet, genauso wie Tanzbären von ihren Meistern dressiert werden. In Schulen und Kirchen lernen sie, es sei Gottes Wille, daß es Reiche und Arme gäbe. Die Werke des Allmächtigen sind weise und unergründlich. Er weiß ganz genau, was er tut, wenn er einige seiner Kinder mit Reichtum und Besitz überhäuft, während andere nicht genug zum Leben haben. Nun mögen einige engstirnige Leute behaupten, Gott handle hiermit sehr voreingenommen.

Aber sie irren sich. Auf diejenigen, die auf dieser elenden Erde augenscheinlich vernachlässigt werden, wartet im Himmel höchste Anerkennung, so daß alles wieder ins rechte Lot kommt. Gott liebt die Demütigen und Bescheidenen, die Geduldigen und Gehorsamen, wird den Arbeitern eingeredet. Bete und arbeite, denn Gott selbst hat die sündige Menschheit dazu verdammt, ihr tägliches Brot im schweiße ihres Angesichts zu essen.

Diese und ähnliche Ratschläge verfehlen ihre Wirkung auf das aufnahmebereite Bewusstsein des Kindes nicht, und so bleiben sie, wenn sie erwachsen sind, gehorsame, anspruchslose und unwissende Sklaven, ohne sich dessen bewusst zu sein. Man hat sie zur Unwissenheit erzogen, und sie vermuten nirgends ein Unrecht, sondern glauben, daß der Gesellschaftszustand, in dem sie leben, die natürliche Ordnung der Dinge sei. Kein Wunder also, da die herrschende Klasse diese Leute als "rechtschaffende, ehrliche und gesetzestreue" Arbeiter bezeichnet. Sie haben nun Grund genug, über sie zu herrschen, denn sie sind wirklich so gehorsam, wie eine Schar Gänse und so sanft wie Lämmer.

Aber wenn diese blinden, ewig träumenden Sklaven nur einmal hinter die Kulissen blicken, würden sie entdecken, da sie auf eine infame Weise betrogen werden. Sie würden herausfinden, da diejenigen, die ihnen "bete und arbeite!" in die Ohren schreien, sich zwar zum Beten herablassen, aber nicht arbeiten; und da diejenigen, die ich müde werden, die Arbeiter daran zu erinnern, da sie ihr tägliches Brot im Schweiße ihres Angesichtes verzehren sollten, diesen Anspruch nicht auf sich selber beziehen. Sicher, diese Heuchler geraten a und zu ins Schwitzen, aber nicht weil sie arbeiten, sondern weil sie ausschweifende Orgien feiern.

Das stärkste Bollwerk des kapitalistischen Systems ist die Unwissenheit seiner Opfer. Der Durchschnittsarbeiter schüttelt wie der ungläubige Thomas den Kopf, wenn man ihm zu erklären versucht, daß er unter ökonomischen zwängen lebt. Als ich an der Seite meiner Kollegen arbeitete und versuchte, sie von meinen Ideen zu überzeugen, pflegte ich ihnen eine Geschichte über Füchse
zu erzählen:

"Mehrere Füchse sannen über einen Plan nach, der es ihnen ermöglichen sollte, zu leben, ohne auf die Jagd gehen zu müssen. Schließlich kamen sie auf eine Idee, und sie nahmen alle Quellen und anderen Wasserstellen in Besitz. Als nun die anderen Tiere kamen, um ihren Durst zu löschen, sagten die Füchse zu ihnen: "Die Wasserstellen gehören uns. Wenn ihr trinken wollt, müsst ihr uns etwas dafür geben und uns als Gegenleistung zu fressen bringen." Die anderen Tiere waren dumm genug zu gehorchen. Und um trinken zu können, mußten sie den ganzen Tag auf Jagd gehen, um das Fressen für die Füchse zu besorgen, so daß für sie selbst nur sehr wenig übrigblieb."

Ich fragte einen meiner Kollegen, der als überzeugter Gegner des Sozialismus bekannt war, was er von dieser Geschichte halte?

Er sagte, daß die Tiere, die von den Füchsen so sehr betrogen worden waren, sehr dumm gewesen wären. Er meinte, da sie die Füchse von den Wasserstellen hätten vertreiben müssen.

Als ich ihn darauf hinwies, daß in der modernen Gesellschaft etwas ähnliches praktiziert würde, nur mit dem Unterschied, daß die Rolle der Füchse von den Kapitalisten eingenommen würde und die Wasserstellen nur ein anderer Ausdruck für Produktionsmittel wäre, blieb er mir die Antwort schuldig. Dieses Beispiel zeigt die Unwissenheit und Gleichgültigkeit des Durchschnittsarbeiters. Im Vorgehen der Füchse sehen sie nichts als Raub, während sie die Methoden der Kapitalisten billigen.

Von seinen Gegnern werden dem Anarchismus einander widersprechende Vorwürfe gemacht. Einige Leute haben das Gefühl, daß der Mensch in der anarchistischen Gesellschaft, in der niemand herrscht und niemand beherrscht wird, sehr vereinsamt sein müsse. Das ist nicht richtig.

Die Menschen neigen von Natur aus dazu, mit ihren Mitmenschen zusammenzuleben. In einer freien Gesellschaft würden die Menschen ökonomische und soziale Verbände bilden, aber alle Organisationen wären freiwillig und nicht erzwungen. Im Gegensatz dazu sind Gesetzt und Gesetzesübertretungen Attribute des Privateigentums, vor allem der ungerechten Verteilung von lebensnotwendigen Gütern, der Erniedrigung und der Not. Zu behaupten, ein Mensch ist in der Regel nur das Spiegelbild der gesellschaftlichen Verhältnisse. In deiner Gesellschaft, die der freien Entfaltung des Menschen keinen Stein in den Weg legt und die jeden in gleicher Weise an dem Streben nach Glück teilhaben läßt, wird niemand einen Grund haben, Verbrechen zu begehen.

Wie wollen die Anarchisten ihre Ideen verwirklichen ? Anarchismus an sich heißt nicht Gewalt, sondern Frieden. Aber ich bin sicher, daß jeder, der den wahren Charakter des kapitalistischen Systems erkannt hat und der sich keiner Selbsttäuschung hingeben will, mit mir darin übereinstimmen wird, daß die herrschende Klasse ihre Privilegien nie und nimmer freiwillig abtreten wird.
Für die Abschaffung der Leibeigenschaft in diesem Land wurde ein langer und furchtbarer Krieg geführt.

Obwohl man ihnen anbot, sie für ihre Verluste zu entschädigen, wollten die Sklavenhalter ihren Sklaven nicht die Freiheit geben. Meiner Meinung nach sind diejenigen, die glauben, daß die modernen Sklavenhalter, die Kapitalisten, ihre Privilegien freiwillig aufgeben und ihre Lohnsklaven freigeben, bedauernswerte Theoretiker.

Die Kapitalisten sind viel zu selbstsüchtig, um Vernunft anzunehmen. Ihr Egoismus ist so groß , da sie sich sogar weigern, unbedeutende Zugeständnisse zu machen. Die Kapitalisten und Syndikate (gemeint sind hier die Zusammenschlüsse der Kapitalisten, Anm. d. Autoren) büßen lieber Millionen von Dollars ein, als der Forderung nach dem Achtstundentag zuzustimmen. Wäre eine friedliche Lösung der sozialen Frage möglich, wir Anarchisten wären die ersten, die sich darüber freuen würden.

Es ist doch ohne Zweifel so, daß bei fast jedem Streik die Speichellecker des Privateigentums - die Miliz, Polizei, Sheriffs, ja sogar Bundestruppen - zu den Schauplätzen der Auseinandersetzungen zwischen Arbeitern und Kapitalisten gerufen werden, um die Interessen des Kapitals zu schützen.

Ist es schon einmal vorgekommen, daß diese Truppen die Interessen der Arbeiter geschützt haben?

Zu welchen friedlichen Mitteln können die Arbeiter denn greifen? Gibt es da nicht zum Beispiel den Streik?

Wenn die herrschende Klasse "das Gesetz" anwenden will, dann kann sie jeden streikenden Arbeiter wegen "Einschüchterung" und Konspiration verhaften und bestrafen lassen. Ein Streik jedoch kann nur dann erfolgreich sein, wenn die streikenden Arbeiter verhindern, daß ihre Plätze von anderen eingenommen werden. Aber nach dem Gesetz ist das wiederum ein Verbrechen.

Boykott?

In mehreren Bundesstaaten haben die Gerichte entschieden, daß Boykott eine Rechtsverletzung darstellt. Folglich wurde eine Reihe von Arbeitern der "Verschwörung" gegen die Interessen des Kapitals für schuldig befunden und hatten das Vergnügen, sich die Zuchthäuser von innen ansehen zu dürfen.

Wir Anarchisten sind nicht blind. Wir verfolgen die Entwicklung und sagen voraus, daß ein Zusammenstoss zwischen Plebejern und Patriziern unvermeidlich ist. Deshalb rechtzeitig für den bevorstehenden Kampf - zu den Waffen ! Wenn sich Gewitterwolken am Himmel zusammenziehen, rate ich meinem Freund, einen Schirm mitzunehmen, damit er nicht naß wird. Verursache ich deshalb den Regen ?
Nein ! So lassen Sie mich meine Meinung deutlich sagen, nämlich, daß sich die Lohnsklaven nur mit Waffengewalt aus der kapitalistischen Knechtschaft befreien können." (Adolph Fischer)

Literatur:

Christiane Harzig, Die Haymarket Tragödie in Chicago 1886, in: Inge Marßolek (Hrsg.), 100 Jahre Zukunft - Zur Geschichte des 1. Mai, Frankfurt/ M und Wien 1990

Karasek, Horst (Hrsg.), Haymarket - 1886: Die deutschen Anarchisten von Chicago - Reden und Lebensläufe, Berlin 1975