Nach Polizeiangriff in Folge feministischer Gewerkschaftsdemo: Gegendarstellung der FAU Dresden
Sonntag führten Solidaritätsgruppen der Gefangenengewerkschaft GG/BO, Basisgewerkschaften der FAU und eine Reihe feministischer und anarchistischer Gruppen eine Demonstration anlässlich des feministischen Kampftages zur JVA in Chemnitz durch. In den Redebeiträgen waren Arbeitsbedingungen, Lohnhöhe und Menschenrechte in den (Frauen-)Knästen Thema, es wurde aber auch auf andere feministische Kämpfe, wie den Kampf gegen die türkische Diktatur in Nordsyrien oder die feministischen Generalstreiks in Italien und Spanien am Donnerstag verwiesen. Vor der JVA fanden zwei lange Kundgebungen statt, die auch ein guter Teil der Gefangenen mithören und z.T. auch sehen konnte. Die Demo und die gefangenen Kolleg_innen winkten und riefen sich immer wieder gegenseitig zu, tanzten gemeinsam, überwanden ein wenig die Isolation. Die Demonstration war vielfältig, kraftvoll, solidarisch, kreativ und wird uns in Erinnerung bleiben. Danke an alle die mit gemacht haben!
Nach dem Ende der kraftvollen Demonstration kam es zu gewalttätigen Übergriffen der Polizei auf Demonstrationsteilnehmende. Die verharmlosende Darstellung dieses Geschehens im Pressebericht der Polizei schockiert uns. Wir sehen uns daher gezwungen, eine ausführliche Gegendarstellung zu veröffentlichen, die auf Geprächen mit den von der Polizeigewalt Betroffenen und weiteren Zeug_innen beruht.
Gegendarstellung zum Polizeibericht im Nachgang der GG/BO-Demo am 11.03.18 Chemnitz
Nach Beendigung der Demonstration der Gefangenengewerkschaft zur Unterstützung ihrer Gewerkschaftsgruppen in der JVA Chemnitz machten sich ca. 40-50 Teilnehmende zunächst gemeinsan auf den Weg nach Hause bzw. zu einer Demonstration in Solidarität mit der vom türkischen Militär aktuell angegriffenen, nordysyrischen Stadt Afrin.
Auf der Reichenhainer Straße, zwischen der Haltestelle TU Campus und der Haltestelle Rosenbergstraße stoppten und durchsuchten Polizeikräfte gegen 16:20 Uhr ein Fahrzeug in unmittelbarer Nähe der abreisenden Demonstrant_innen. Die Insassen wurden beschuldigt, harmlose, pyrotechnische Erzeugnisse (Rauchtöpfe) auf der Demonstration gezündet zu haben. Dieser Vorwurf wurde als Tatsache mehrfach in der Presse erwähnt, allerdings konnte die Polizei keinerlei Beweise für diese These nennen. Es wäre den Polizeikräften problemlos möglich gewesen, das Fahrzeug zu einem späteren Zeitpunkt zu stoppen und zu durchsuchen. Dies spricht, neben dem geringen Anlass der Maßnahme, dafür, dass es sich hier um eine gezielte Provokation aufgrund der einsatztaktischen Abwägung der Polizei handelte. Auffallend ist auch, dass wie bereits bei der Eskalation der Polizei im letzten Jahr Maßnahmen unmittelbar nach dem Verschwinden von Presseteams begannen. Eine am Fahrzeug eintreffende Anwältin wurde am PKW nach Aussagen von Augenzeug_innen zeitweise in ihrer Arbeit behindert und von einem Polizisten körperlich bedrängt.
Die abreisenden Demonstrationsteilnehmer_innen stoppten daraufhin ihren Weg, um der Polizeimaßnahme als Zeug_innen beizuwohnen. Die anwesenden Polizeikräfte befahlen den Zeug_innen daraufhin ihren Weg fortzusetzen, was diese verneinten und eine spontane Kundgebung anzeigten. Wie schon im letzten Jahr wurde diese Anzeige nicht zur Kenntnis genommen (aus der Versammlungsfreiheit ergibt sich lediglich eine Anzeige-, nicht eine Anmeldepflicht). Unmittelbar danach begannen die Polizeikräfte ohne weitere Ankündigung mit Schlägen und Tritten gegen die Zeug_innen vorzugehen. Die Demonstrierenden bildeten Ketten und konnten von den Kräften nicht abgedrängt werden. Dabei wurden mehrere Personen, von denen keinerlei Gewalt ausgehen konnte, da ihre Hände eingehakt waren und sie mit dem Rücken zu den Polizeikräften standen, immer wieder auf den Kopf geschlagen. Mindestens 5 Demonstrierende wurden leicht verletzt. Mit Ende der Kontrolle beendete die Polizei vorrübergehend ihr gewaltsames Vorgehen, nachdem sie von einer anwesenden Zeugin erst darauf hingewiesen werden musste, dass die anderen Beamt_innen bereits fertig sind. Auch viele Passantinnen ließ die Situation fassungslos zurück.
Die Demonstrierenden konnten ihren Weg die Reichenhainer Straße hinunter Richtung Bahnhof Chemnitz Süd nur wenige Meter fortsetzen, denn bereits auf Höhe der Rosenbergstraße, ca. 17 Uhr, eskalierte die Polizei erneut: Polizeikräfte überwältigten ohne erkennbaren Grund einen weitgehend Blinden und schlugen über Minuten immer wieder auf ihn ein. Zeitweise knieten mehr als 5 Polizeiangehörige auf dem Betroffenen. Herbeieilende Demonstrierende und Passant_innen wurden ebenfalls angegriffen. Es kam zu minutenlangen Auseinandersetzungen beim Versuch, sich vor den gewaltsamen Ausschreitungen der Polizei zu schützen. Dem betroffenen Blinden wurde von den Beamt_innen ein gezielter Schlag gegen Polizeibeamte vorgeworfen. Laut Zeug_innenaussagen war ein Polizist in den Blindenstock des Betroffenen hinein gelaufen. Während dieser zweiten Maßnahme wurde der Blindenstock des Betroffenen zerstört, mindestens 6 Demonstrierende leicht verletzt, bei mehreren anderen stehen ärztliche Diagnosen noch aus.
Dass die brutale Überwältigung eines Blinden ohne jede vorherige Ankündigung entschlossene Zivilcourage hervorrufen musste, dürfte der Einsatzleitung völlig klar gewesen sein. Im Anschluss wurden alle Anwesenden umkreist, erkennungsdienstlich behandelt und mehr als anderthalb Stunden auf der Straße festgehalten. Die von der Polizei selbst verursachten Unruhen wurden dazu genutzt, die Anwesenden mit Anzeigen zu überziehen. Während der Wartezeit wurden mehrere weibliche Teilnehmende laut eigener Aussage daneben gezielt mit sexistischen Sprüchen belästigt. Der blinde Demonstrationsteilnehmer und zwei weitere wurden anschließend mit aufs Revier genommen. Diesen Betroffenen gegenüber wurde von dortigen Polizeikräften die versuchte Teilnahme an der Nordsyrien-Solidaritätskundgebung als eigentlicher Grund für die gesamten Maßnahmen genannt.
Sollte dies stimmen, ging die Polizei hier nicht nur grundlos mit brutaler Gewalt gegen teilweise behinderte und auch minderjährige Demonstrant_innen vor, um diese anschließend auch noch mit Repression zu überziehen. Es würde sich in diesem Fall außerdem noch um Unterbindung der Versammlungsfreiheit aus möglicherweise außenpolitischer Motivation handeln. Auch dies könnte leider aufgrund von Versammlungsverboten und Schikanen gegen Unterstützer_innen der Bevölkerung Nordsyriens in den letzten Wochen nicht überraschen.
Während der gesamten Maßnahmen war die Polizei nicht in der Lage, die Rechtsgrundlagen derselben zu benennen. Die dazu getroffenen Aussagen erstreckten sich von StPO über Polizeirecht bis Keine Ahnung. Als eine spontane Versammlung angezeigt wurde, wurde u.a. geantwortet: Ich sehe hier keine Versammlungsbehörde.
Der abgegebene Polizeibericht suggeriert, die Polizeikräfte seien grundlos von Demonstrant_innen attackiert worden. Insbesondere weil schon im letzten Jahr mehrere von Polizist_innen verübte Körperverletzungen im Nachgang der Demonstration beklagt wurden (siehe Statement der GG/BO: https://gefangenensolijena.noblogs.org/post/2017/04/12/nachtrag-zur-demo-vom-8-marz-in-chemnitz/), wäre es an den berichtenden Medien gewesen, Betroffene, die Demonstrationsorganisator_inne n oder Anwohner_innen nach ihren Erlebnissen zu befragen, bevor Meldungen der Polizei Sachsen übernommen werden. Viele Nachbar_innen, die das Geschehen gestern auf der Straße oder durch die Fenster verfolgten, zeigten sich ob der grundlosen Angriffe durch die Polizei schockiert und unterstützen die von der Polizei eingeschlossenen durch Zeugenschaft und Lebensmittel.