Der nächste Schritt für Occupy Wall Street: Häuser besetzen, Betriebe besetzen
Um ihr zweimonatiges Bestehen zu demonstrieren, hatte die Occupy Wall Street-Bewegung für Donnerstag, den 17. November 2011, zu einem Aktionstag in New York und landesweit aufgerufen. Trotz der Räumung des Camps im Zuccotti Park zwei Tage vorher, hielt die Bewegung am Aktionstag fest und einige Tausend beteiligten sich an verschiedenen Aktionen, unter anderem an einer Versammlung zur Unterstützung von ArbeiterInnen im Kampf um Arbeitsplätze am Foley Square. Das linke Online-Magazin »Insurgent Notes« um Loren Goldner verteilte bei den Protesten das nachstehend übersetzte Flugblatt, das nach der Bedeutung der Proteste und der möglichen weiteren Entwicklung fragt.
Nach zwei Monaten der Besetzungen und nachdem sie in Portland, Oakland und jetzt in Manhattan angegriffen wurden, könnte die Occupy-Wall-Street-Bewegung (OWS) heute kurz davor stehen, einen Schritt weiter zu gehen die massenhafte Versammlung der StudentInnen am Union Square und die von ArbeiterInnen am Foley Square könnten versuchen, den zunehmenden Ruf nach einem Generalstreik in die Tat umzusetzen. Dann sollten nicht mehr nur Plätze, sondern auch Häuser im Hinblick auf den kommenden Winter besetzt werden. Darüber hinaus sollten Betriebe besetzt werden, wodurch die Arbeiterklasse das ganze System blockieren könnte. Dies wäre ein weiterer Schritt in die Richtung, die Verwaltung der Gesellschaft auf eine völlig neue Grundlage zu stellen. Was immer heute (am 17. November) und in der kommenden Aktionswoche geschehen mag, es ist an der Zeit, die Stärken und Schwächen der Platzbesetzungen in New York und in den ganzen USA abzuschätzen.
Es steht außer Frage, dass es sich hier um die wichtigste Bewegung handelt, die wir in den letzten vierzig Jahren auf den Straßen der USA erlebt haben. Allein schon die Tatsache, dass sie sich innerhalb weniger Wochen auf tausend Städte ausweitete, bezeugt dies. Das lawinenartige Anschwellen der Forderungen hat die gesellschaftliche und ökonomische Misere von vierzig Jahren, deren passives Erdulden nur von gelegentlichen Ausbrüchen des Widerstands unterbrochen worden war, mit einem Mal zu einer nicht mehr zu leugnenden Realität gemacht. Politiker, Fernsehikonen und diverse Experten sind völlig unvorbereitet von einer Bewegung erwischt worden, die in ihrem plötzlich völlig bedeutungslos gewordenen Universum nicht mehr mitspielen wollen. Auch wenn viele Statements der Bewegung wie aus einer Wundertüte zu stammen scheinen, hat sie es ganz zu recht vermieden, sich zu sehr mit bestimmten Forderungen, Ideologien oder Anführern zu identifizieren. Aus der jahrelangen alltäglichen sozialen Realität hat sie nur zu gut gelernt, nicht auf dieses Spiel hereinzufallen. Hinter allem steht das, was die Bewegung zum Ausdruck bringt: Die Ablehnung einer Gesellschaft, die immer mehr Menschen auf den Schrotthaufen wirft. Würde sich die Bewegung zu sehr auf irgendeine Wunschliste von Forderungen beziehen, würde sie zurückbleiben hinter ihrem eigenen tiefen Gespür dafür, dass sich alles ändern muss, und der Gewissheit, das nichts so bleiben kann, wie es ist.
Die wichtigsten Kräfte, die über das Potenzial zur Umlenkung dieser Bewegung in geordnete Kanäle verfügen (die Demokratische Partei und die Gewerkschaftsvertreter), ringen nun darum, die Bewegung zu kontrollieren, zu zerstreuen und zu unterdrücken, so wie sie es zum Beispiel im Frühjahr in Wisconsin geschafft hatten. Aber ganz so einfach gelingt ihnen das nicht.
Angesichts von Platzbesetzungen in tausend Städten verbieten sich vorschnelle Verallgemeinerungen. Die Medien hatten versucht, den Kern der Bewegung als jung, weiß, arbeitslos und Mittelschicht zu beschreiben wobei letzteres sich zunehmend als irreführende Bezeichnung für die Arbeiterklasse entpuppt. Aber unabhängig davon, wie sich die Bewegung in der Anfangsphase zusammensetzte, hat sie sich in verschiedenen Städten durch die starke Beteiligung von Schwarzen, Latinos und älteren Menschen deutlich ausgeweitet (am sichtbarsten wurde dies bei der Massendemonstration zum Hafen von Oakland am 2. November).
Wir wollen hier nicht näher auf die tausenden von Slogans eingehen diese Vielfalt ist nur zu verständlich bei einer so jungen Bewegung, die zum großen Teil aus Menschen besteht, die zum ersten Mal in ihrem Leben eine solche Erfahrung machen. Vorstellungen wie die 1%, die Reichen sollen ihren fairen Anteil bezahlen, lasst die Banken blechen oder schafft die Zentralbank ab finden sich dort genauso wie Angriffe auf den Kapitalismus. Mit der starken Konzentration auf die Banken wird sicherlich übersehen, dass die Quelle des massenhaften Elends in der Krise des kapitalistischen Systems, eines Systems der Lohnarbeit, liegt. Daher gibt es auch keine Vorschläge, die Krise durch den Aufbau einer Welt jenseits der Lohnarbeit zu überwinden, also durch eine sozialistische oder kommunistische Gesellschaft (wobei wir uns darüber im Klaren sind, dass diese Worte in allzu vielen Fällen missbraucht worden sind). Um zu einer solchen Orientierung zu gelangen, müsste offen über die Klassenfrage gesprochen werden. Es ist offensichtlich, dass sich die große Mehrheit der Menschen aus der Arbeiterklasse in den USA trotz ihrer Sympathien für die Bewegung nicht aktiv an ihr beteiligt vielleicht nicht zuletzt deswegen, weil sie arbeiten und um ihr tägliches Überleben ringen.
Die Bewegung der Platzbesetzungen muss die kreative Militanz von tausenden Menschen auf der Straße nutzen, um die große Mehrheit zu erreichen, die manchmal nur ein paar Blöcke von den Straßenkämpfen entfernt ganz normal ihren Geschäften nachzugehen scheint. Die zunehmende Zahl von Aktionen gegen Zwangsversteigerungen und Zwangsräumungen hat zur Ausweitung der Bewegung beigetragen. Ein wichtiger nächster Schritt könnte darin bestehen, Häuser zu besetzen, um Orte für Versammlungen und dringend benötigten Wohnraum zu schaffen, oder für Workshops und Veranstaltungen. Darüber hinaus sollte die Bewegung mit Arbeitsniederlegungen und Betriebsbesetzungen verbunden werden, wodurch in schärferer Weise als bisher die Frage des Privateigentums und die Frage Wer herrscht? aufgeworfen würde.
Ein nahe liegender Anknüpfungspunkt sind die anstehenden Tarifverhandlungen des Local 100 der Transit Workers Union (Gewerkschaft der Bus- und U-Bahn-FahrerInnen in New York City). Ein weiterer wäre die anhaltende Pattsituation zwischen dem Local 21 der Hafenarbeiter an der Westküste (ILWU) in Longview (Washington) und der EGT-Corporation, die massenhaft Streikbrecher einsetzt. Oder die geplante Besetzung von fünf öffentlichen Schulen in Oakland zusammen mit Eltern und SchülerInnen, um ihre Schließung zu verhindern. Wir sind uns sicher, dass es der Bewegung im Rahmen solcher Aktionen nicht schwer fallen wird, zwischen den ArbeiterInnen an der Basis (die sich bereits bei einigen Gelegenheiten beteiligt haben) und den Gewerkschaftsbürokraten zu unterscheiden, die eine zahnlose Solidaritätserklärung nach der anderen verabschieden, ohne die geringste, noch nicht einmal symbolische Mobilisierung.
Noch weniger müssen wir uns mit den Politikern der Demokratischen Partei aufhalten, allen voran der Bürgermeisterin von Oakland Jean Quan, die versucht haben, die Bewegung für ihre eigenen Ziele zu benutzen, bevor sie dann die Bereitschaftspolizei schickten.
Besetzungen sind jedoch nur ein weiterer Schritt: Darüberhinaus wird es darum gehen, die gesellschaftliche Produktion zu übernehmen, sie an unseren Bedürfnissen auszurichten und sie auf eine völlig neue Grundlage zu stellen.
Was auch immer in der nächsten Zukunft geschehen wird, die Mauer des Schweigens über 40 Jahre lang aufgehäuftes Elend ist durchbrochen worden. Jeden Tag werden neue Angriffe auf die arbeitenden Menschen bekannt, während der globale Kapitalismus außer Kontrolle gerät. Noch nie war so klar, dass die kapitalistische Normalität auf der Passivität derjenigen beruht, die unterdrückt werden, um das System zu retten. Mit dieser Passivität ist es vorbei von Tunesien und Ägypten über Griechenland und Spanien bis nach New York, Oakland, Seattle und Portland. Heute stellt sich die Aufgabe, alles dafür zu tun, diesen point of no return zu erreichen, an dem die Verhältnisse danach schreien: Wir haben die Chance, die Welt zu verändern ergreifen wir sie!
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