Das BAG-Urteil zur Tariffähigkeit in der Leiharbeit - eine Diskussion, die am Kern der Sache vorbeigeht.
Am 14. Februar sprach das Bundesarbeitsgericht der CGZP - der christlichen Tarifgemeinschaft für die Zeitarbeitsarbeitsbranche - die Tariffähigkeit ab. Die Begründung auf Massenmedienplatt: mangels Mitgliederbasis und Durchsetzungsfähigkeit. Die Urteilsbegründung ist in der Realität freilich komplexer (1) Das Urteil hat möglicherweise gravierende Folgen: Zehntausende LeiharbeiterInnen könnten Löhne nachfordern, JuristInnen räumen hierfür gute Erfolgschancen ein. Am 8. März berichtet die ZDF-Sendung Frontal 21, dass viele Mitglieder dieser Gewerkschaften von ihrem "Glück" gar nichts wussten, oder gar dazu gezwungen wurden. Dieses wenig überraschende Skandälchen wie auch die gängige Begründung der Nicht-Tariffähigkeit, dass eben die Gewerkschaft zu klein daher nicht durchsetzungsfähig sei, gehen am Kern der Sache vorbei. Ein Kommentar.
Keine Frage: Den sog. christlichen sog. Gewerkschaften gehört das Handwerk gelegt. Auch falls es nicht immer so ist, wie im berichteten Fall, wo Frontal 21 behauptet, dass von 100 befragten Mitgliedern 96 angaben, nicht zu wissen, dass sie in einer christlichen Gewerkschaft Mitglied waren. Die restlichen vier sahen sich dazu gezwungen beizutreten, da ihnen das Formular von der Firma Artos bei der Einstellung vorgelegt wurde. Es war auch in anderen Fällen - so beim DRK-Blutspendedienst NRW - zu beobachten, dass die Chefs die "Christlichen" aktiv im Betrieb zu etablieren zu versuchten, um die Macht der Mehrheitsgewerkschaft in Tarifkonflikten zu minimieren. Dass dies so passiert, könnte man auf den ersten Blick als Argument gegen die richterlich eingeführte Tarifpluralität und für eine Rechtsprechung, die kleinen Gewerkschaften die Tariffähigkeit vorenthält, betrachten. Auf den zweiten Blick nicht.
Dass die CGZP "nur" einige tausend Mitglieder in der Leiharbeitsbranche hat, wird in den Medien immer wieder prominent und als hinreichendes Argument für eine Aberkennung der Tariffähigkeit angeführt. Gerade im Fall der Leiharbeit ist das ziemlich unsinnig - und auch gar nicht das zentrale Argument des Urteils. Grob gesagt wird die Tarifunfähigkeit damit begründet, dass die Mitglieder der CGZP - drei christliche Gewerkschaften - gar nicht alle Branchen organisieren, in die die Tarifverträge der CGZP hineinwirken.
Das grundsätzliche Problem von Tarifverträgen in der Leiharbeit ist aber ein anderes: Sie sind das einzig probate Mittel, um das Prinzip "Gleicher Lohn für gleiche Arbeit" zu unterlaufen. Egal ob CGZP- oder DGB-Tarifverträge: Ihre wesentliche und unrühmliche Funktion ist es, dass sie ein Lohnniveau weit unter der branchenüblichen Bezahlung ermöglichen. Schon dass es gesonderte Tarifverträge für die Leiharbeit überhaupt gibt, ist also ein Armutszeugnis für die ganze Gewerkschaftsbewegung!
Dass dies den Arbeitskrafthändlern, die auf die CGZP gesetzt haben, nun wahrscheinlich milliardenschwer auf die Füße fällt, ist gut so (2). Der DGB ist nun die einzige Tarifgemeinschaft, die solche Tarifverträge abschließen kann. Oder es auch enfach lassen könnte - nun ja, die DGB-Tarifverträge laufen sind bis sage und schreibe Oktober 2013 (3), so dass die Chancen auf "Equal Pay" wohl erstmal schlecht stehen.
Aber mal abgesehen von der Leiharbeit, die tarifpolitisch eine Sonderrolle spielt: Tarifpluralität im Allgemeinen bedeutet auch, dass sich die DGB-Gewerkschaften (und andere) werden ins Zeug legen müssen. Es wird sicherlich noch weitere Versuche von Arbeitgebern aller Art geben, sich der Dienste eine willigen Retortengewerkschaft zu bedienen, um die Position der echten Gewerkschaften zu schwächen. Hierauf müssen ver.di und Co. reagieren, und zwar anders als mit Gesetzesinitiativen! Gerade in schwach organisierten Betrieben kann auch eine staatlich verordnete Tarifeinheit dem DGB auf die Füße fallen - spätestens wenn es Chefs und Pseudogewerkschaften in einzelnen Betrieben gelingen sollte, die verstreuten DGB-Mitglieder zu majorisieren.
Die Rechtsprechung zur Tariffähigkeit könnte man nun als Bollwerk gegen solche Tendenzen ansehen. Denn sie schließt kleine Gewerkschaften tendenziell von der Möglichkeit aus, Tarifverträge abzuschließen. Aber: Bei der Gewerkschaftsmacht kommt es nicht nur auf die Größe an! Auch eine kleine, kämpferische Gruppe kann in einem Betrieb etwas reißen, wenn, ja wenn die Gerichte nicht schon von vorne herein - wie im Fall des Kino Babylon (4) - mit einstweiligen Verfügungen dem einen Riegel vorschieben könnten, in dem sie sich einfach auf die nach herrschender Rechtslage zu geringe Größe der Gewerkschaft berufen. Diese Rechtsprechung nimmt in den bekannten Urteilen in der Regel ganze Berufszweige oder Branchen und geographisch bestimmte Organisationsbereiche zum Maßstab. Das wird Basisgewerkschaften, die aus aktiven, kämpferischen Betriebsgruppen in den einzelnen Betrieben fußen, nicht gerecht. Gerade solche könnten aber das wirksame "Gegengift" gegen die häufig anzutreffende Trägheit der DGB-Strukturen und den Einfall von Pseudogewerkschaften sein.
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