Tell it like it is – Interview mit zwei Militanten aus den Amper Kliniken in Dachau

Vor über einem Jahr rüttelte ein Arbeitskampf an den Amper Kliniken in Dachau die Öffentlichkeit der beschaulichen Kleinstadt vor den Toren Münchens auf. Im Sommer/Herbst 2007 waren die miesen Arbeitsbedingungen wochenlang Thema in diversen Lokalzeitungen der Kreisstadt. Vielen Menschen in Dachau dämmerte spätestens zu diesem Zeitpunkt, dass die Privatisierung der Kreiskliniken Dachau/Indersdorf im Jahr 2001 ziemlich negative Folgeerscheinungen nach sich gezogen haben. Dies gilt sowohl fur die Klinikbeschäftigten – die unter Personalreduzierungen, billiger Leiharbeit und schlechteren Arbeitsbedingungen zu leiden haben – als auch für Patientinnen, die zunehmend über eine schlechtere Versorgung klagen. Die Lokalzeitung der FAU München, die «Direkte Aktion München», führte dazu ein Interview mit zwei Betriebsmilitanten.

Der größte Schock setzte ein, als die „vorprivatisierten“ Kliniken 2005 an die bundesweit im Gesundheitssektor stark expandierende RHÖN KLINIKUM AG verkauft wurden. Zwar besitzt der Landkreis noch gut 25 Prozent der Anteile an den Kliniken, aber die private Aktiengesellschaft gibt seitdem den Ton und das Tempo bei den Umstrukturierungen an.

Eine seit einigen Jahren in der Klinik in Dachau aktive Betriebsgruppe bekam im letzten Jahr durch die FAU Unterstützung in ihrem Kampf gegen die schlechten Arbeitsbedingungen. Mit Flugblättern, Aktionen, Veranstaltungen und einer Kundgebung gingen aktive Beschäftigte, Angehörige der Betriebsgruppe und FAU-GewerkschafterInnen gegen die Klinikleitung vor.

Diese Entwicklung wurde von zwei Betriebsmilitanten aus den Amper Kliniken in einem Artikel mit der Überschrift „A new morning – changing weather“ auf der Titelseite der Oktoberausgabe 2007 der «Direkte Aktion München» (DAM) zusammengefasst. Seitdem ist ein Jahr vergangen. Es ist an der Zeit, einmal bei den beiden Aktiven, Madame Ascaso und Dr. Mandingo, nachzufragen, was sich im letzten Jahr in diesem Arbeitskonflikt alles getan hat.

Am Schluss Eures Artikels in der vorletzten Ausgabe der DAM habt Ihr geschrieben: „Der Kampf um unser Recht und gegen diese Arbeitsbedingungen wird weiter gehen! So oder so!“ Könnt Ihr uns einen kurzen Überblick über die Entwicklung seit Oktober 2007 geben?

Seit September 2007 findet einmal im Monat ein Stammtisch der Beschäftigten der Amper Kliniken statt, der als unabhängiges Gremium die verschiedenen Berufsgruppen zusammen führen soll. Also die Pflege, die dort hauptsächlich vertreten ist. Aber auch die seit letzten Jahr auf alien Ebenen eingestellten Servicekräfte. Es nehmen auch unregelmäßig Ärzte und TherapeutInnen teil. Aus dem Stammtisch soll langfristig eine Art autonome Versammlung hervorgehen, die Beschlüsse fasst und versucht diese in die Tat umzusetzen. Nachdem im Winter die öffentliche Aufmerksamkeit rückläufig wurde, organisierten die KollegInnen des Stammtischs wöchentliche Infostände in der Dachauer Altstadt. Seit Februar diesen Jahres erscheint eine Betriebszeitung, die ANTIGEN. Leider erst mit einer Ausgabe. Die Nr. 2 steht aber bereits in Startlöchern. Es muss auf jeden Fall betont werden, dass mit den selbstorganisierten Aktivitäten das Selbstbewusstsein der KollegInnen stetig gestiegen ist. Am Anfang waren einige noch zaghaft, was beispielsweise das Verteilen von Flugblättern anbelangt; Mittlerweile ist es für die Leute selbstverständlich.

Im Sommer hielt zwar das viel zitierte Sommerloch Einzug, aber nach der Großdemonstration am 25. 9. in Berlin steigt definitiv wieder die Bereitschaft. Dort haben 130.000 KollegInnen aus dem ganzen Bundesgebiet protestiert. Diese Masse hat schon nochmal gepowert. Wir sind mit zwei Autos auf eigene Kosten raufgefahren, haben 500 Flugblätter verteilt und ein eigenes Transpi mit im Gepäck gehabt. Allerdings ist es mehr als grotesk, dass Klinikleitungen und Gewerkschaften gemeinsam demonstrieren, um mehr Kohle vom Staat zu fordern, da so das eigentliche Problem nicht angesprochen wurde. Nämlich, dass im Zuge von Privatisierungen mehr und mehr Stellen im Klinikbereich abgebaut werden. Die Bosse konnten sich als arme Würstchen darstellen, die vom
Staat quasi zu solchen Maßnahmen gezwungen werden.

Wie waren im letzten Jahr die Reaktionen auf Eure Initiativen und zwar sowohl von Seiten der Klinikleitung wie seitens der Belegschaft?

Die KollegInnen sprechen uns immer öfter an. Allerdings ist die Bereitschaft selbst zur Tat zu schreiten nach wie vor gering. Trotzdem gibt es schon so etwas wie eine passive Sympathie. Gerade wenn z.B. die ANTIGEN verteilt wird. Früher musste man damit rechnen, dass manche, wenn sie unter Druck geraten, Dinge preisgeben. Das hat sich geändert. Und von Seiten unserer Geschäftsführung kam bisher keinerlei Repression. Was schon ziemlich verwunderlich ist, wenn man sich die Vorgeschichte der Amper Kliniken ansieht. Hier wurde immer die „Zero Tolerance“-Schiene gefahren, also jeden Anschein von Widerspruch im Keim ersticken. Das verwundert uns selbst.

Haben sich die Löhne, Arbeitsbedingungen oder wenigstens die Stimmung in der Klinik verbessert?

Weder noch.

In einer internen Gesprächsrunde hat der Vorstand Uwe Schmid beklagt, dass schlechte Fallzahlen zu verzeichnen seien. Er macht dafür den „negativen Presserummel“ des letzten Jahres verantwortlich. Macht er es sich dabei zu einfach?

Das stimmt so nicht ganz. Die Geschäftsführung hat zu einem „Gesprächskreis Pflege“ eingeladen. Dort nahmen der Betriebsrat und zehn Pflegekräfte aus verschiedenen Bereichen teil. Außerdem die Pflegedienstleitung (PDL) und der Personalchef. Grund hierfür war, laut Einladung, der „schlechte Ruf der Pflege“. Zudem wurde in dieser Zeit der Leserbrief eines Lokalpolitikers in der Zeitung veröffentlicht. Die Herren mit den Krawatten sehen den Ruf der Amper Kliniken als geschädigt an. Allerdings stellte sich schnell heraus, dass die Qualität der Pflege keineswegs schlecht ist. Die Runde wurde fortan dazu genutzt, Vorschläge zur Verbesserung der Arbeitssituation zu erarbeiten. Ohne Beisein von Krawatten.

Wo das Problem liegt ist klar. Jede Station arbeitet mit einer Mindestbesetzung als Maximum. Natürlich kann man auch mit einem Reservereifen fahren. Wenn aber dann ein Reifen platzt, hat man ein Problem. Dass nun mehr Personal eingestellt wird, glauben wir nicht. Es wurde aber eine Reihe von konstruktiven Vorschlägen erarbeitet. Sie konnten aber noch nicht präsentiert werden, deshalb soll die Katze noch im Sack bleiben. Und zu den Fallzahlen: Es gibt zu viele PatientInnen, die nie in den Statistiken auftauchen. Stichwort „Mitternachtsstatistik“. PatientInnen, die nur tagsüber fur einige Stunden betreut werden, fallen da durch, z.B. ambulante OPs. Zahlen sind was Schönes und können immer noch mehr geschönt werden.

Spürt das Pflegepersonal einen Lohndruck durch Neueingestellte?

KollegInnen, die nach der Übernahme durch die RHÖN AG ein gestellt wurden, erhalten weniger Gehalt. Die, die bereits davor hier gearbeitet haben, bekommen eine Ausgleichszahlung. Also die Differenz zum alten Gehalt nach BAT(Bundesangestellten Tarif). Das ist aber weniger ein Thema untereinander. Es gibt in der letzten Zeit wieder vermehrt unbefristete Verträge. Trotzdem kündigen sehr viele schnell wieder. Auch KollegInnen, die seit vielen Jahren hier arbeiten.

Zum Ende des Jahres läuft der von ver.di ausgehandelte Haustarifvertrag aus. Gibt es Informationen oder sogar Auseinandersetzungen innerhalb der Klinik wegen eines neuen Haustarifvertrags?

Seit Mai 2008 gibt es eine zweite Betriebsgruppe der ver.di im Haus. Diese bemüht sich einen Diskussionsprozess über den Haustarifvertrag in Gang zu setzen. Klar, denn die ver.di hat in unserem Betrieb so gut wie keine Mitglieder. Bisher war es uns von der Unabhängigen Betriebsgruppe nicht möglich sich mit der ver.di Betriebsgruppe auszutauschen. Aber was nicht ist, kann ja noch werden. Es wurde uns schon die Bereitschaft zu Gesprächen signalisiert, was wir sehr begrüßen. Von den Funktionären in München erwarten wir nicht all zu viel Unterstützung. Da ist das Verhältnis etwas vergiftet. Trotzdem werden wir eigene Forderungen aufstellen. Vor allem muss der Status des Service-Personals geklärt werden.

Was wollt ihr mit eurem Engagement konkret an der Klinik erreichen?

Fest steht: Selbst in einem Betrieb mit einer nicht existenten gewerkschaftlichen Basis, kann man nicht an den langen Armen der ver.di vorbei. Die Gewerkschaften haben nie das Ziel die Lohnarbeit abzuschaffen und die ArbeiterInnen zu emanzipieren. Sie sind ein Teil des kapitalistischen Produktions- und Verwertungszyklus. Sie haben lediglich die Aufgabe den Wert der Arbeitskraft zu verhandeln. Eine Emanzipation kann also nur autonom von den Gewerkschaften erreicht werden. Unser Ziel ist es selbstorganisierte Strukturen, wie den Stammtisch und die Betriebszeitung, aufrecht zu erhalten. Auch wenn wir vorerst auf unseren Betrieb beschränkt bleiben. Darum arbeiten wir an einer Vernetzung von Betriebsgruppen in verschiedenen Kliniken bzw. im ganzen Gesundheitswesen. Auch muss betont werden, dass für uns Betriebsarbeit den legalistischen Rahmen sprengen muss. Nicht immer. Aber wenn es notwendig ist durchaus.

Ein Totschlag-Argument ist immer wieder, dass manche Forderungen unrealisierbar waren. Natürlich steht für keine/n unserer KollegInnen die soziale Revolution auf der Tagesordnung. Es ist mehr als verständlich, dass man seine Arbeitskraft „besser“ verkaufen, sprich mehr Lohn haben will. Aber es rührt nicht am eigentlichen Problem Diese Errungenschaften sind nur temporär und können bei den nächsten Tarifverhandlungen wieder gänzlich bedroht sein. Es reduziert sich immer auf die Eigentumsfrage. Wer besitzt, in unserem Falle. die Kliniken? Wer erwirtschaftet den Mehrwert? Wer hat primär das Nachsehen? Wer ist reiner „Kostenfaktor“? Die Antworten liegen auf der Hand. In unseren Händen. Eine Lösung wollen wir aber unseren KollegInnen nicht präsentieren, selbst wenn wir es könnten. Wir wollen sie gemeinsam mit ihnen herausfinden.


Gibt es Verbindungen zu anderen Bereichen in der Klinik, etwa aus der Wäscherei, Reinigung oder den TherapeutInnen?

Wäscherei gibt es gar nicht mehr. Das wird extern erledigt. Die Wäsche fürs Personal kommt seit März aus einem Automaten. Unsere Arbeitskleidung hat einen integrierten Chip. Die Reinigung wird ebenfalls von einer externen Firma übernommen. Die KollegInnen sprechen fast alle nicht unsere Sprache, was ein zusätzliches Hindernis darstellt. Sie bleiben unter sich und es besteht der konkrete Verdacht, dass sie angewiesen werden, nicht mit anderen zu sprechen. Früher gab es sehr gute Kontakte zu den alten Reinigungskräften. Bei den PhysiotherapeutInnen hat sich das Verhältnis aufs Hallo-Sagen reduziert. Leider.

Hat sich Eure Einschätzung des Arbeitskonflikts seit dem letzten Jahr geändert? Geht ihr mit anderen Erwartungen heran?

Für uns war klar. dass die Aktionen nicht die große Veränderung unserer Arbeitsbedingungen zur Folge haben werden. Das war bei der FAU nicht so klar. Da waren die Gesichter ziemlich lang, dass da nicht sofort Bambule auf der Tagesordnung stand. Die Branche der Pflegeberufe hat sich noch nie durch hohe Kampfbereitschaft ausgezeichnet. Wir sind nach wie vor der Überzeugung, dass man jahrelang dran bleiben muss.

Wie entwickelt sich die unabhängige Vernetzung von Betriebsgruppen im Gesundheitswesen, an der ihr beteiligt seid?

Es handelt sich ja augenblicklich um eine virtuelle Vernetzung, mittels Internet. Auf www.ungesundleben.org/betriebsgruppen tragen sich mehr Gruppen ein. Aktuell sind es zwölf. Zuletzt die Betriebsgruppe Wahrendorff. Ein Treffen oder dergleichen hat noch nicht stattgefunden.

Habt ihr eine mögliche Antwort auf die Frage, die auch uns umtreibt: Wie kann genügend Druck aufgebaut werden, um an den Amper Kliniken konkrete Verbesserungen für die ausgepressten Pflegekräfte zu erreichen?

Allein an der Fragestellung spiegelt sich schon ein grundsätzliches (FacharbeiterInnen-) Problem wider. Die Pflege ist bei weitem nicht die einzige Berufsgruppe, die unter beschissenen Arbeitsbedingungen leidet! Das Service Personal bekommt beispielsweise nicht mal vollständige Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, keine Wochenend- und Feiertagszuschläge, sollen sich im Frei in Rufbereitschaft halten. Die Reinigungskräfte bekommen gerade mal einen Hungerlohn. Über die 25 langjährigen KollegInnen aus der Reinigung von der KDI Service GmbH, denen letztes Jahr im Oktober gekündigt wurde, kräht kein Hahn mehr. Diese KollegInnen, die ohne konkrete Ausbildung arbeiten, sind nicht interessant genug? Klar läuft es bei uns schlecht. Aber die haben fast niemanden. Drückt Euch nicht davor, mal darüber nachzudenken.

Welche bisherigen Lehren und Schlussfolgerungen zieht Ihr aus dem Konflikt?

Dass wir die Selbstorganisation weiter betreiben müssen. Dass wir nicht die Initiative an politische Organisationen oder Gewerkschaften abgeben werden. Dass wir uns gerne solidarisch unterstützen lassen. Dass ArbeiterInnen keine Avantgarde benötigen. Dass unsere KollegInnen, fernab der hochpolitischen linken Szenerie, mehr Power besitzen, als von dieser angenommen. Dass sie keiner revolutionären Theorie bedürfen, um sich zu radikalisieren. Dass die Befreiung der Arbeiterinnen nur das Werk der ArbeiterInnen selbst sein kann!