Zeigen, wo der Hammer hängt!

Zu den Perspektiven des Protestes an der Freien Universität Berlin

Kommuniqué des Bildungssyndikats Berlin – FAU
Nr. 2 / Dez. 2005


Am 28. November beschloss die studentische Vollversammlung der FU, in der nächsten Woche vom 5. bis zum 9. 11. in den Warnstreik zu treten. Hintergrund dieser Entwicklung ist der unter Teilen der Studierendenschaft vorherrschende Unmut über Zustände in den BA/MA-Studiengängen, die Einführung des repressiven Verwaltungssystems Campus Management, drohende Studiengebühren wie auch das Defizit studentischer Mitbestimmung generell. So sehr wir auch jegliche Versuche begrüßen, die Passivität in Gegenwehr zu verwandeln, so drängen sich dennoch nagende Fragen hinsichtlich der Strategie des Protestes auf, die bisher nicht über den Zustand von Konfusität hinauskam und damit die Erfolgsperspektiven einengt. Das Bildungssyndikat Berlin, das sich im Zuge negativer Erfahrungen mit den Strategien des Protestes im Streik von 1998/99 gründete, hat die vergangenen Streiks stets als Lektionen begriffen, aus denen nutzbringende Schlussfolgerungen für wirkungsvolle Handlungsweisen zu ziehen sind. Wir hoffen, mit den folgenden Darlegungen unserer Erfahrungen positive Impulse für die weitere Entwicklung geben zu können.

Stand der Dinge

Der momentane Stand der strategischen Überlegungen zeichnet sich dadurch aus, dass aus der Vollversammlung keine klare Artikulation von Forderungen und anzuwendender Methoden resultierte. Sicherlich wird sich dies im weiteren Verlauf der Proteste und seiner Praxis teilweise herauskristallisieren und weiterentwickeln, doch erfahrungsgemäß scheint es wahrscheinlich, dass dies die abermalige Wiederholung vergangener Fehler sein könnte, da die Vollversammlung weniger eine Anknüpfung an frühere Erfahrungen als ein Auftakt fast von Null an darstellt.
Gerade in Anbetracht der zurzeit noch recht labilen Beteiligungsstand könnte sich dies als verhängnisvoll erweisen, da die Potentiale für Mobilisierung entscheidend mit der Frage von Forderungen und Methoden, der allgemeinen Strategie, verknüpft sein dürften. Eine Klärung dieser Belange sollte so schnell wie möglich erzielt werden, damit die bereits Aktiven nicht in eine isolierte Lage gelangen.
Was die Vollversammlung bisher an Forderungen - und damit auch an Zielen - auf den Weg brachte, war leider nicht mehr als ein Potpourri individuell geäußerter Einrufe, eine Wunschliste für zu behebende Missstände. Ein weitere Debatte darüber, was nun sinnvoll ist, in den Forderungskatalog aufgenommen zu werden, geschweige denn eine Abstimmung darüber fand nicht statt. Ebenso verhält es sich mit dem Diskussionstand um Methoden, der gegenwärtig eine Aneinanderreihung von Ideen darstellt, die sich nicht wesentlich von den vorgetragenen Aktionsformen der vorangegangen Jahre unterscheiden.
Was sich in dieser Hinsicht auch noch entwickeln wird, der Auftakt des Protestes weißt daraufhin, dass die Beteiligten nur schwerlich eine wirkungsvolle Strategie entwickeln werden. Besondere Konfusität besteht dabei offensichtlich aufgrund der Unklarheiten über den Charakter des Protestes und den Sinn seiner Aktionsformen. Weil nicht klar ist, was der unmittelbar Zweck einer Aktion ist und was im größeren Zusammenhang sein Effekt sein soll, können sie dadurch schnell zum Selbstzweck verkommen. Diese Konfusität war ebenfalls charakteristisch für die vorigen - gescheiterten - studentischen Proteste.


Rückblick - ein Beispiel

Die letzte große Mobilisierung 2003/2004 hat gezeigt, welche Energien geweckt werden können und wie wichtig Spontaneität für die Entfaltung einer Bewegung ist. Eine Aktion folgte auf die andere, eine kreativer als die andere, und, ja, es hat den Beteiligten auch sichtlich Spaß gemacht. Doch was hat das alles gebracht? Zumindest in Berlin wird als Erfolg häufig angeführt, das es gelungen sei, der PDS - zumindest zeitweilig - eine Absage an Studiengebühren zu entlocken. Ziele in Hinsicht auf den eigentlichen Anlass, die Kürzungen und Bildungseinschränkungen generell, konnten nicht erreicht werden. Gemessen an den Zahlen an Studierenden, die es zu mobilisieren gelang, an dem Aufwand, der betrieben wurde, und den damit einhergehenden Potentialen, gemessen an dem, was unter dem Strich stand, der hohen Zahl an Enttäuschten, Frustrierten und Resignierten, müssen wir feststellen, dass die Proteste im Bezug auf ihre Effektivität ein Desaster waren.
Verschuldet sehen wir dies vorwiegend darin, dass ein unglaublicher Aufwand in die Durchführung vermeintlich kreativer Aktionen gesteckt wurde, ohne vorher grundlegende Fragestellungen zu behandeln: Was soll die Aktion unmittelbar bewirken? Soll sie andere Leute sensibilisieren, damit sie sich den Protesten anschließen oder sich anderweitig mit der Sache solidarisieren? Soll sie in irgendeiner Weise Druck ausüben, der die Ausführenden zu Konzessionen zwingt, oder soll sie symbolisch sein? Ist sie symbolisch, soll damit Öffentlichkeit geschaffen werden oder soll sie ein kreativer Appell an die Verantwortlichen sein ...
In der Regel blieben die Aktionen im Symbolischen verhaftet, ohne wirklich Klarheit zu haben, welche Mechanismen mit der Symbolik in Gang gesetzt werden sollen. Der vorherrschende Trugschluss scheint gewesen zu sein, dass mit zunehmender Öffentlichkeit für das Problem, die Politik schon irgendwie reagieren wird. Und sie reagierte auch: mit warmen Worten, rhetorischen Floskeln und einer in solchen Fällen angebrachten Strategie des Aussitzens der Proteste.
Es genügt also nicht, irgendeine kreative Aktion durchzuführen und sie irgendwie mit den Inhalten des Protestes in Zusammenhang zu bringen. Eine Blockade des Straßenverkehrs z.B. mag vielleicht Öffentlichkeit schaffen, aber was ist der direkte Nutzen davon? Davon Betroffene werden sich kaum für die Sache gewinnen lassen - im Gegenteil. Durchaus ließe sich durch diese Störung ein gewisser Schaden anrichten, der die Politik unter Druck setzt. Aber auch dies müsste dann organisiert und kontinuierlich ablaufen, und vor allem heißt dies, das Schädigen von Unbeteiligten in Kauf zu nehmen.
Tatsächlich können Blockaden einen nutzbringenden Effekt haben - wenn sie die Stellen treffen, die sich verantwortlich zeichnen. Doch Aktionen, die unmittelbaren Druck ausüben, von Stärke zeugen und entschlossen sind, wurden kaum in Erwägung gezogen, und wo es dennoch versucht wurde, wie z.B. mit der Besetzung von Parteizentralen, liefen sie aus Mangel an Konsequenz darauf hinaus, sie als Plattform für Öffentlichkeitsarbeit zu nutzen.


Strategische Perspektiven für die FU

Da sich die Proteste nun auch gegen Zustände konkret an der eigenen Universität richten und weniger abstrakt gegen eine Bildungspolitik auf Landes- oder Bundesebene, stellt sich die Ausgangssituation zwar abweichend dar, doch die Lektionen haben deshalb umso mehr ihre Gültigkeit: der Protest muss in den Forderungen und Methoden klar, direkt und entschlossen sein und eine strategische Perspektive entwickeln.
Uns scheint es deshalb sinnvoll, die Auseinandersetzung zunächst auf ein Terrain zu beschränken, auf dem sich die lokalen Kräfte an der FU mobilisieren lassen und von dem aus sich die Kämpfe, mit dem Erlangen von Erfolgen, auf die anderen Ebenen ausweiten lassen. In dieser Hinsicht spricht vieles dafür, die Kräfte zunächst auf den Widerstand gegen das Campus Management zu konzentrieren:
Diese Angelegenheit ist mit Abstand die konkreteste und wie sich in der Stimmung auf der VV gezeigt hat, scheint in dieser Frage das Widerstandspotential am größten zu sein. Im weiteren ist diese Angelegenheit nicht von den Fragen der BA/MA-Studiengänge und der studentischen Mitbestimmung zu trennen, weshalb die Möglichkeiten der Ausweitung stets gegeben sind. Denn Campus Management ist nicht nur eine finanzielle und administrative Katastrophe, es ist vor allem eine demokratische Katastrophe, in Anbetracht dessen, wie solch eine folgenreiches Projekt über die Köpfe der großen Masse der Universitätsbevölkerung hinweg beschlossen wurde. Die Frage der studentischen Mitbestimmung, die Frage der Demokratisierung der Universität kommt somit zwangsläufig auf die Tagesordnung und muss energisch vertreten werden.
In jedem Falle ist es wichtig, sich keinen falschen Vorstellung über den Charakter solch einer Auseinandersetzung hinzugeben. Die Universitätsleitung, die für die Einführung dieses Systems verantwortlich zeichnet, wird sich nicht durch Appelle, Resolutionen oder symbolischen Protestaktionen umstimmen lassen. Die FU muss deshalb zu einem studentischen Widerstandsnest werden, an dem direkt Druck auf das Präsidium ausgeübt wird und der universitäre Verwaltungsapparat durch vielfältige Störaktionen funktionsuntüchtig gemacht wird.
In Anbetracht der Entschlossenheit des Präsidiums bei diesem Prestigeprojekt ist kaum mit einem Zurückrudern in dieser Frage zu rechnen. Wollen wir also die Auseinandersetuzung bis zum Ende führen und das Campus Management ernsthaft stoppen, wird das kein Spaziergang - soziale Kämpfe sind niemals Spaziergänge. Doch wer wirklich etwas bewirken möchte, schafft dies nicht mit appellativen Demonstrationen. Und genau deshalb sollten die Kräfte zunächst für eine Angelegenheit gebündelt werden, um sich nicht zu verzetteln und letztlich wieder gelackmeiert dazustehen.
Diesbezüglich werden wir mit einer entsprechenden Maßnahmenpolitik des Präsidiums rechen können, die höchstwahrscheinlich stark repressive Züge annimmt. Doch mit jeder weiteren Übergehung der studentischen Meinung wird sich die latente Absurdität des Präsidialregiments, das in streng antidemokratischer Weise eher wie eine Konzernleitung agiert, im Bewusstsein der Studierenden manifestieren. Ohne Frage, die Anstrengungen, das Campus Management zu kippen, werden in letzter Konsequenz eine auf die Spitze getrieben Machtfrage zwischen der Studierendenschaft und dem Lenzen-Regiment sein, an deren Ende nur der Rücktritt des Präsidiums stehen kann.


Impulse für den Widerstand

In Anbetracht der ständig verlorenen Rückzugsgefechte in den letzten Jahren bleibt erhöhte Skepsis wie es mit den Erfolgschancen für solche eine Auseinandersetzung aussieht, doch weitere Rückzüge werden bald nicht mehr möglich sein. Wollen wir Campus Management stoppen, muss das jetzt geschehen, denn mit jedem weiteren Tag, wird sich die Situation normalisieren und damit das Widerstandspotential sinken. Sollte es noch nicht einmal gelingen, ein einzelnes Projekt an der Universität erfolgreich zu bekämpfen, bleibt wenig Hoffnung für die Auseinandersetzungen um die allgemeine Bildungspolitik, zu deren Abwehr es aufgrund ihres Zusammenhangs mit dem Sozialabbau ohnehin einer breiten sozialen Bewegung über die Studierenden hinaus bedarf. Wenn wir irgendwo erfolgreich sein können, dann in dieser Angelegenheit. Darüberhinaus sind wir, aufgrund des Vorreitercharakters des Campus Managements ganz besonders in der Verantwortung, die Etablierung solcher Systeme zu verhindern.
Andererseits würde ein erfolgreicher Widerstand gegen das Campus Management und die Erzwingung des Präsidiumsrückzugs die Karten vollständig neu mischen - nicht nur lokal an der FU, sondern bundesweit. Solch eine Situation wäre ein Novum studentischer Proteste und könnte folgenreiche Impulse ausstrahlen. Es würde aufzeigen, welche Stärke und Druckpotentiale zu entwickeln möglich sind, wenn die Aktionen nicht indirekter und symbolischer Natur sind, sondern direkt vor Ort vorgetragen werden, innerhalb der eigenen Institutionen - und in denen muss ja jede politische Maßnahme erstmal auch umgesetzt werden.
Unseres Erachtens liegt hierin der Schlüssel für eine Trendwende bei den Auseinandersetzungen nicht nur im Bildungsbereich, sondern im Sozialbereich generell. Die Betätigungen innerhalb der Studierendenproteste, die sich seit Jahrzehnten in symbolischen und medienträchtigen Aktionen auf den Straßen - und ständigen Niederlagen - äußern, müssen wieder zurück an die Universität geholt werden - im Zusammenhang einer direkten und solidarischen Aktionspolitik.


Zur Sache

Ein studentischer Streik ist dabei zwar keine Methode, aber ein Ansatz, aus dem heraus sich mehr machen lässt, denn ihm wohnt eine diskursive Kraft inne, die zu mobilisieren vermag und damit Kapazitäten schafft, um die eigentlichen Aktionen durchzuführen und Diskussionsprozesse in Gang zu bringen. Da der auf der VV beschlossene einwöchige Warnstreik wohl entscheidend für den weiteren Verlauf sein wird, muss alles dafür getan werden, damit er sich nicht zum Rohrkrepierer entwickelt. Voraussetzung dafür ist, zu zeigen, dass wir handlungsfähig sind und Aktionen durchführen, in denen sich eine vielversprechende Strategie widerspiegelt und keine diffuse Artikulation von Unmut.
Studierende verfügen im Gegensatz zu den Beschäftigten im Bildungsbereich kaum ökonomische Druckmittel, dennoch bieten sich auch im Rahmen der eigenen Möglichkeiten effektive Aktionsformen an, wenn dem eine gewisse Direktheit und Entschlossenheit zugrunde liegt. Neben den üblichen Aktivitäten, die zu einer öffentlichen Diskreditierung und Prestigeschädigung des Präsidiums führen müssen, sind es vor allem direkte Aktionen in den universitären Institutionen, auf die es ankommt. So können entschlossene Belagerungen des Präsidialamtes und z.B. hohen Gremien einen Druck darstellen, wenn sie die Handlungsunfähigkeit der Zielobjekte bewirkt. Eine andere Form findet sich in der Besetzung und Blockade wirtschaftlich relevanter Institute mit erhöhtem Drittmittelaufkommen, die in einer engen Kooperation mit Wirtschaft und Staat stehen und ihnen direkt oder indirekt zuarbeiten. Unterbrechungen, insbesondere in den Sonderforschungstrakten, können hier zu einer kostenintensiven Verzögerung bei Entwicklungs- und Produktionsprozessen führen. Als neuralgischer Punkt dürfte vor allem der Verwaltungsapparat gelten. Gerade die Blockade des Verwaltungsbereiches kann als effektiv und direkt angesehen werden, trifft sie doch ganz konkret den Bereich, in dem das vorgeht, was bekämpft werden soll.
Hierbei sollten keine Sorgen entstehen, dass dies bei anderen Studierenden und Angestellten zu gewissen Mitleidenschaften führen könnte. Es ist das legitime Recht eines jeden Betroffenen, zu allen erforderlichen Mitteln zu greifen, um legitime Interessen durchzusetzen, auch unabhängig von Mehrheiten, wenn ihnen seitens der weniger oder gar nicht Betroffenen die Solidarität verweigert wird. Es ist der essentielle Charakter von Streikaktionen, dass ein gewisser Schaden provoziert wird, der aufzeigt, welche reelle Macht Handelnde haben. In jedem Falle muss das Aktionsfeld eng gehalten werden, damit die Kräfte gebündelt bleiben und nicht aufgrund einer Auffecherung ins Leere laufen. Nur so entwickelt sich die Schlagkraft, die notwendig ist, um das beabsichigte Signal einer Warnung zu erreichen und den Konflikt so kurz wie möglich zu halten. Bei allem bleibt es dabei, dass richtig große Druckpotentiale nur durch den solidarischen Schulterschluss mit den Beschäftigten entwickelt werden. Wie das Beispiel des sogenannten Tutorenstreiks an der FU 1986, des letzten richtig erfolgreichen studentischen Streiks der Stadt zeigt, entsteht beachtlicher Druck, solange Solidarität und Widerstand quer durch die Statusgruppen existieren, ihre Spaltung aufgehoben wird und sich mit klaren Forderungen auf lokale und direkte Aktionen in den eigenen Einrichtungen selbst besonnen wird.

Nächste Vollversammlung: 5. 12. 2005, 12.00 Uhr!

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