Gebührend Studieren

Das Urteil des BVeFG beeinflusst das Bildungssystem nachhaltig

In einer Hinsicht ist die Bilanz der Bundesregierung rekordverdächtig: so oft wie in der Ära Schröder verwarf das Verfassungsgericht noch nie von einer Regierung verabschiedete Gesetze. Zuletzt traf es am 26. Januar das bundesweite Verbot von Studiengebühren.

Die Begründung der Richter fällt dabei geradezu erschreckend einleuchtend aus: Bildung ist Landesangelegenheit, der Bund hat gar keine Befugnis, hier reinzureden. Das weiß jeder Pennäler. Wieso konnte es dann soweit kommen? Beschäftigt die Regierung nur Ein-Euro-Job-Juristen? Unterschätzte sie ihre guten Beziehungen zum BVerfG? Wohl kaum. Es dürfte ihr schlicht darum gegangen sein, Zeit zu gewinnen - um bei der ein oder anderen Wahl in besserem Licht dazustehen, und auf bessere Gelegenheiten zu hoffen, da man vielleicht doch eine günstigere Verhandlungsposition findet. Doch die Rechnung ging nicht auf, Buhlmahn & Co. haben sich verzockt. Den Einsatz verloren aber haben die Studierenden, die sich plötzlich einer gleichsam konfusen wie bedrohlichen Situation gegenüber sehen.
Fünf unionsgeführte Länder - BadenWürttemberg, Saarland, Bayern, Niedersachsen und Hamburg - werden schnellstmöglich Studiengebühren einführen, die sich aller Voraussicht nach ersteinmal zwischen 500 und 1.000 Euro bewegen werden. Keine Abstimmung mit den anderen Ländern, keine Übergangsregelung. Der Zug ist abgefahren.
Auch das ist Politik. Allen anderen Bundesländern, die bis dahin immer noch keine Gebühren eingeführt haben, droht eine Flut von Gebührenflüchtlingen. Mit der Mindestfolge, daß es wohl in jedem auch noch so exotischen Studiengang einen NC von 1,0 geben dürfte; vielleicht hilft dann sogar nur noch die Studienplatzlotterie. Wahrscheinlicher aber ist, daß auch die 11 übrigen Länder mittelfristig nachziehen und Gebühren auf ähnlichem Niveau verlangen werden. So oder so aber wird sich das Gesicht der deutschen Hochschulen drastisch und grundlegend wandeln. Der schleichende Umbauprozeß im Hochschulbereich der letzten zehn Jahre, gegen den sich mehrere bundesweite Studierendenstreiks weitgehend erfolglos zur Wehr setzten, ist auf einen Schlag zu seinem vorläufigen Ende gelangt.
Fiel es dank verschärfter BAFÖG-Bestimmungen und Regelstudienzeiten einem Großteil der Studierenden schon jetzt schwer, über die Runden zu kommen, machen Studiengebühren das nun für sie unmöglich. Wer sich mit Jobben eher schlecht als recht durch's Studium schlägt, bringt kaum noch zusätzlich 1.000 - 2.000 Euro im Jahr auf. Langfristig dürfte die Zahl der Studierenden deutlich zurückgehen. Für viele Schüler wird ein Studium in ihren Überlegungen, was sie nach der Schule machen wollen, gar keine Rolle mehr spielen. Viele von ihnen werden deshalb gar kein Abitur mehr anstreben, bzw. es werden deutlich weniger Eltern ihr Kind aufs Gymnasium schicken. Was das für den Arbeitsmarkt und das gesellschaftliche Klima bedeutet, ist kaum absehbar. Jedoch darf davon ausgegangen werden, daß sich die soziale Kluft unter dem Druck der Veränderungen im Arbeits-, Gesundheits-, Sozial- und nun Bildungsbereich auf dramatische Weise entwickeln wird.
Daß die bundesweite Einführung von Studiengebühren noch aufzuhalten ist, erscheint zweifelhaft. Die Politik hat versagt, die Uni-Streiks zeigten wenig Wirkung. Wiederholt sich zum kommenden Semester das überkommene Prozedere aus ASTA-geleiteter Vollversammlung, gutgemeinten Resolutionen und Protestschwänzen, wird wohl jede Mühe vergebens bleiben. Die schwache Beteiligung an Studierendendemos nach dem Urteil vom 26. Januar läßt auf eine weitverbreitete Protestmüdigkeit an den Unis schließen. Nur wenn es gelingt, aus den Fehlern der zurückliegenden Hochschulstreiks die richtigen Konsequenzen zu ziehen, und dies rechtzeitig eingeleitet und publik gemacht wird, könnte soetwas wie ein UniStreik noch Sinn machen.
Ein neuerlicher Uni»Streik müßte anders organisiert sein - nämlich von unten nach oben und weder durch ASTAs gelenkt, noch durch Politgruppen vereinnahmt; er müßte sich auf eine deutlich breitere Basis vor allem aktiver Prostierender stellen; einen längeren Atem zeigen als nur bis zu den Weihnachtsferien; er müßte in den Forderungen klar und in den Methoden härter und bei weitem entschlossener sein; und vor allem käme es darauf an, einen sozialen Standpunkt zu beziehen, also den solidarischen Schulterschluß zumindest mit den Hochschulbeschäftigten zu üben, anstatt nach einem gemeinsamen Interesse aller Studierenden zu suchen, das es nicht gibt und nie gab.
In dieser Hinsicht sind die Voraussetzungen so gut wie nie. Studiengebühren sind jetzt kein fernes Gespenst mehr, sondern greifbar und bezifferbar. Motiv und Ziel eines Protestes könnten kaum klarer sein. Hinzu kommt, daß auch unter wissenschaftlichen Mitarbeitern die Geduld mit ihrer Situation - Unterbezahlung, bzw. unentlohntes Arbeiten - überstrapaziert ist. Die Situation ist an einem Wendepunkt angelangt. Und das bedeutet immer auch eine Chance.

Matti