2.6.: Bundesweit Demonstrationen gegen Studiengebühren

In Halle nahmen unserer Schätzung nach zu Höchstzeiten 3.000 Studierende an einer Demonstration gegen Studiengebühren teil. Auch in Dresden (5.000), Potsdam, Frankfurt/Main (2.500) und Hannover (7.000) wurde demonstriert (Teilnehmerzahlen nach Angaben eines Redners auf der Abschlusskundgebung)

In Frankfurt durften die anwesenden Mitglieder des Bildungssyndikat Lahn eine kämpferische Demo erleben. Nachdem kurz zuvor schon eine große Kreuzung in der Frankfurter Innenstadt besetzt wurde, verließ die Demonstration die angemeldete Route, um in die Innenstadt zu gelangen. Dadurch konnten wesentlich mehr Menschen erreicht und ein Verkehrschaos ausgelöst werden.

Termin:
Info-Abend: Bildungssyndikat in Halle
Do., 9.6. 2005 18:00

im Reformhaus, Große Klausstraße 11

Halle
Während die Leipziger Studierendenräte mit Bussen nach Dresden mobilisierten, nahm das Leipziger Bildungssyndikat an der Hallenser Demo teil, um die dortige FAU-Ortsgruppe bei der Initiierung eines Hallenser Bildungssyndikates zu unterstützen.
Dazu wurde ein Flugblatt verfasst, in dem Studierendenproteste allgemein und mögliche Aktionsformen diskutiert wurden (Volltext siehe unten). Die Flugblätter und auch die Aufkleber fanden guten Anklang. Insgesamt war die Demo bisweilen recht regnerisch, aber auch vor allem am Ende kraftvoll und energisch, mit Sprinteinlagen und Sprüchen wie "Bildung für alle und zwar umsonst" oder gar "Alles für alle und zwar umsonst". Teilgenommen haben nicht nur Studierende, sondern auch Angestellte und SchülerInnen. Im Anschluss gab es noch ein Konzert.

Frankfurt
In ausgelassener Stimmung wurde versucht, zur Zeil (Frankfurter Einkaufsmeile) zu gelangen. Am Anfang der Zeil änderte sich die Situation:
Fast alle Demonstranten blieben vor einer Polizeikette stehen. Es wäre ohne Probleme möglich gewesen, einen Block zu umgehen, um auf die Einkaufsmeile zu gelangen und damit noch sehr viel mehr Menschen zu erreichen. Auf diese Idee kamen aber sonderbarerweise nur sehr wenige. Stattdessen verweilte die Demonstration vor der Polizeikette, aus der eifrig gefilmt wurde. Die Transpis wurden nach und nach durch die Polizei einkassiert und letztendlich auch eine Person festgenommen. Dies hätten wir uns sparen können.
Schließlich gelang es Vertretern des Frankfurter AStA, die Demonstration unter ihre Kontrolle zu bekommen und zum Römerberg zu lotsen, wo die Abschlusskundgebung stattfand. Hier fielen die Funktionäre des Frankfurter AStA erneut unangenehm auf, als sie eine Durchsage verweigerten, durch die darauf hingewiesen werden sollte, dass keine 100 Meter entfernt, in der Paulskirche, ein Festakt stattfand, an dem der hessiche Ministerpräsident Roland Koch teilnahm. Dies geschah erst ganz am Ende der Kundgebung, weshalb nur noch sehr wenige Studierende vor die Paulskirche zogen.
Letzendlich überwiegen jedoch die kämpferischen Eindrücke des Auftaktes.




Flugblatt des Bildungssyndikats Leipzig

Die heutige Demo ist Teil des „Summer of Resistance“, der vom fzs (StuRa-Dachverband) ausgerufen wurde, um die drohende Einführung von all­gemeinen Studiengebühren zu verhindern – zeitgleich demonstrieren KommilitonIn­nen in Potsdam, Dresden, Hannover und Frankfurt/M. Schon zu Beginn des Jahres hatte dieses dezentrale Konzept am 3. Februar bundesweit 30.000 Studierende auf die Straße gebracht. Weitere Aktionen gibt es seit Mitte April: am 13.4. sprachen sich 2.000 Studierende der Uni Hamburg für Aktionswochen aus, am Folgetag kam es zum ersten massiven Polizeieinsatz gegen Studierende; Ende Mai werden erneut die Verwaltungs­gebäude in Hamburg und Bremen blockiert; weitere Demos, VV und Proteste wurden u.a. aus Braunschweig, Düsseldorf, Erlangen, Essen, Flensburg, Freiburg, Göttingen, Greifswald, Heidelberg, Hildesheim, Jena, Kiel, Köln, Leipzig, Lüneburg, München, Oldenburg, Osnabrück, Regensburg und Stuttgart gemeldet. Was aber mehr als bloß Meinungsäußerung ist, beantworten die Institutionen mit 100en Gewahrsamnahmen und dutzenden Anzeigen. Regt sich Widerstand, der über Plakate, Demos und lautes Brüllen hinausgeht, wird er gnadenlos mit Gewalt beantwortet: wie das Beispiel der Hamburger, Oldenburger und Stuttgarter Studierenden zeigt, die wegen ihres Protestes förmlich zusammengeknüppelt wurden.
Und ein Rückblick im Aufruf der heutigen „Norddemo“ konstatiert: „Trotz unserer Proteste wurden die Hochschulkürzungen durchgesetzt. Trotz unserer Proteste wurden ‚Langzeit­studiengebühren’ und ‚Verwaltungskostenbeiträge’ eingeführt. Trotz unserer Proteste sollen Studiengebühren eingeführt werden. Trotz der Proteste wird die Hochschulzulassung verschärft und es sollen Gebühren für die Bewerbung an Hochschulen erhoben werden. Tausende Menschen demonstrieren gegen Sozialkürzungen in allen Bereichen. Und dennoch halten die Verantwortlichen an ihrer asozialen Politik fest."
Wer, zum Missvergnügen der Bildungspolitiker aller Couleur, schon etwas länger an der Hochschule ist, kennt das Protest-Prozedere bereits. Unsere Erfahrungen in Leipzig sind folgende*: der StuRa beruft eine Vollversamm­lung ein und veranstaltet eine Demo, etwa einmal im Semester, denn die Misere an den Unis ist permanent. Diese Gelegenheiten nutzen die RepräsentantInnen der Studis zur ränkespielenden Öffentlichkeitsarbeit: sie sprechen gern mit den „verantwortlichen Politikern“, appellieren und argumentieren, sie monopolisieren die Informationskanäle/Deutungshoheit und bemühen sich, das Ruder studentischer Bewegungen im Griff zu behalten. Der verstärkte Rückgriff auf Basisgruppen, AGs und AKs, Protest- und Streikkomitees ist da nichts weiter als outsourcing. Außerdem dient dieser „Einsatz“ zur institutionellen Selbstlegitimation: „wir tun was für Euch!“ – dabei wird hier nur auf die politische Karte gesetzt, was man auch als Staatsbürgersyndrom bezeichnen könnte.
Offensichtlich aber sind Partys gegen Studiengebühren, also die „Besetzung von Hörsaalgebäuden“; sind symbolische Aktionen, die sich teils über Wochen hinziehen; und sind Presseerklärungen nicht das geeignete Mittel, die Minister und Bürokraten den „Druck der Straße“ spüren zu lassen. Bei wirtschaftlich relevanten Forschungseinrichtungen und Instituten, die es an jeder Uni gibt, sind die Entscheidungsträger und „Profis der Nation“ sicherlich sensibler.
Außerdem müssen wir uns nicht auf die Uni beschränken – es gibt auch andere gesellschaftliche Bereiche, in denen Studierende relevant sind. So würde etwa ein Gros der Gastronomie und andere Teile des tertiären Sektors (Uni, Callcenter, Marktforschung, etc.) einige Schwierigkeiten haben, wenn ihre studentischen Angestellten in den Streik träten.
Besinnen wir uns auch auf eine gesellschaftliche Funktion der Uni, nämlich (hoch-)qualifizierte Arbeitskräfte auszubilden. Der StuRa, der das Humboldt’sche Bildungsideal wie eine Monstranz vor sich herträgt, läuft geradewegs an der studentischen Realität vorbei. Die Unis sind Ausbildungs­orte wie die Autowerkstatt oder der Friseursalon auch, mit dem Unterschied dass an der Uni keine Ausbildungsvergütung gezahlt wird – viele Kommilito­nInnen helfen sich mit künftigen Karriereaussichten über diese „Durststrecke“ hinweg. Freilich erwächst v.a. aus akademischen Reihen die Macht- und Wirtschaftselite des Landes – die Wahrscheinlichkeitsrechnung aber steht allzu güldenen Hoffnungen entgegen. In den vergangenen 50 Jahren hat sich der Anteil der Akademiker an der Erwerbsbevölkerung auf 16,5% versechsfacht und in einigen Branchen gehören diplomierte PraktikantInnen inzwischen zur Normalität – wie lang diese zweite Etappe auf dem „Weg nach oben“ noch ist, bleibt unklar. Die als Bologna-Prozess bekannte Studienreform (Bachelor/Master) wird die Schere zwischen Traum und Wirklichkeit der (Aus-)Bildung noch weiter öffnen: bei gleich bleibenden Ressourcen kann die Quote Studierender nur erhöht werden, indem das Studium effektiviert (d.h. stressiger) und beschleunigt wird – BA als Regelabschluss ist das Mittel dazu. Eine, oft beschworene, allgemeine Abkehr von der Massen-Universität steht also nicht auf der politischen Agenda.
So heißt es nun, statt zu hoffen oder gar zu beten/bitten, sich zu organisieren! Zeit für kämpferische Gewerkschaften! Selbstorganisiert und Solidarisch!

Bildungssyndikat Leipzig – libertäre Basisgewerkschaft im Bildungswesen. Kontakt: Kolonnadenstr. 19, 04109 Leipzig. Email: sy.bi.le@gmx.de
Weitere Infos auf der Seite der BSy-Föderation: www.fau.org/syndikate/bsy2/

*) siehe auch die Broschüre “Wi(e)derDenken!”