Bildung für Deutschland

In der aktuellen DA (Nr. 167) erschien auf S. 4 unter dem Titel 'Bildung von Gleichheit - über den Standortfaktor Humankapital' eine gekürzte Version eines Textes vom Bildungssyndikat Leipzig, der sich kritisch mit der öffentlichen Diskussion um PISA II und der Funktion des (Aus-)Bildungswesens auseinander setzte. Im folgenden dokumentieren wir die ungekürzte Version.

Bildung für Deutschland

Als Ende November vorab Teilergebnisse von PISA II (1) veröffentlicht wurden, ging ähnlich wie schon nach PISA I ein Aufschrei durchs Land: „Deutschland weltweit unter Mittelmaߓ empörte sich beispielsweise das Börsenblatt am 22.11.04 (2). Die hier geäußerte Sorge um die Stellung des deutschen Staates (was die von ihm betreute Ökonomie mit einschließt) ist typisch für den öffentlichen Diskurs um Bildungsfragen. Damit drückt er jedoch auch eine Wahrheit über die Funktion des Bildungswesens in kapitalistischen Verhältnissen aus. Dieses ist durch seinen Aufbau, seine Lehrmethoden und Lehrpläne darauf ausgerichtet, Humankapital hervorzubringen (3). Das wird auch keineswegs verheimlicht. So schrieben etwa die sog. 5 Wirtschaftsweisen in ihren Jahresbericht folgende Passage zum Thema: „Humankapital ist sowohl ein wichtiger Standortfaktor als auch theoretisch wie empirisch bestätigter wesentlicher Bestimmungsfaktor für Wachstum. [...] Eine zentrale Rolle für Humankapital als ökonomisch verwertbarem Wissen spielt das Bildungssystem.“ (4) Wie aber ist diese Rolle nun konkret beschaffen?

Der Staat stellt über die Bildungseinrichtungen den Unternehmen ein Reservoir an entsprechend qualifizierten Arbeitskräften zur Verfügung, an denen sie sich nach ihren Bedarf bedienen können. Da aber diese Gesellschaft nur eine relativ geringe Anzahl an Positionen bereit hält, für die eine umfassendere Ausbildung nötig ist, übernimmt das Bildungswesen zugleich auch die Selektion. Es siebt durch permanente Tests diejenigen nach unten aus, denen wegen ihres Misserfolges in diesen eine weitere Ausbildungskarriere versperrt bleibt (5). So soll gewährleistet werden, dass die Menschen in die entsprechenden Positionen in der gesellschaftlichen Hierarchie sortiert werden und die jeweils dafür nötigen Kenntnisse – und nur die - vermittelt bekommen. Dies kann selbstverständlich immer nur ein Annäherungsprozess sein, denn letztendlich entscheidet das Kapital nach seinen Maßgaben wann es wen einstellt oder es eben auch bleiben lässt. Zudem kann gar nicht vorab so genau gewusst werden, wann welche Qualifikationen in welchem Ausmaß gebraucht werden. Daher kommt es auch in schöner Regelmäßigkeit zum Ruf nach Bildungsreformen, welche ein optimaleres Ergebnis in diesem Annäherungsprozess bringen sollen.

Momentan werden in der BRD diesbezüglich v.a. zwei Themenfelder diskutiert. Zum einen sollen an der Spitze des Selektionsprozesses Eliteunis (6) eingeführt werden, um dort diejenigen zu sammeln und zu fördern, die als zu gut für die Bedingungen an den Massenunis gelten. Zum anderen aber wird aber auch von Fraktionen der herrschenden Klasse vermehrt gefordert, mehr Geld und Aufwand in Kindergärten und Grundschulen zu stecken (7) - so z.B. auch der bereits erwähnte Bericht der „Wirtschaftsweisen“. Dort wird u.a. kritisiert, dass die Leistungen (nach denen ja die Selektion vorgenommen wird) sehr stark vom sozialen Hintergrund der SchülerInnen abhängen (8). So nähmen nur 18% der Arbeiterkinder, aber 63% der Beamtenkinder ein Studium auf. Als Gegenmaßnahme wird empfohlen, durch bessere Ausstattung des Elementar- und Primarbereichs des Bildungswesens Defizite schon frühzeitig auszugleichen (alles S. 37). Würden sie nicht Studiengebühren fordern (S. 38) – von denen Linke wohl zu recht eine Abschreckungswirkung v.a. auf Arbeiterkinder befürchten (9) – könnten sie dies glatt von ‚progressiven’ KritikerInnen des deutschen Bildungswesens abgeschrieben haben (10).

Schließlich fordern auch diese nicht ein Ende der Klassengesellschaft und der Selektion in ihre Positionen, sondern lediglich, dass diese sozial gerecht ablaufen solle. Sie wollen also, dass der Selektionsprozess sich wirklich nach der Begabung und nicht etwa nach sozialen Vorteilen richtet. Damit bejahen sie jedoch den Biologismus, welcher der Ideologie von der Begabung zu Grunde liegt. Ähnlich wie bei der mittlerweile zum Glück als reaktionär geltendenden Aussage: „Frauen gehören an den Herd, weil sie häuslich veranlagt sind“, wird auch mit ihm ein gesellschaftliches Verhältnis als „natürlich“ legitimiert: „HauptschülerInnen gehören in die Hauptschule und danach in die Handarbeit, weil sie praktisch veranlagt sind“. Die in der Selektion herrschende Chancengleichheit verschleiert diesen Biologismus, ändert aber nichts an ihm. So werden die Resultate der Selektion allgemein anerkannt – selbst von den von ihr negativ Betroffenen. Gesellschaftliche Verhältnisse sind jedoch menschengemacht und können daher auch von Menschen geändert werden.

Grund genug dafür gäbe es auch in Bezug auf das Bildungssystem allemal. Durch die Funktion des Bildungswesens arbeiten die meisten Schulen mit Lehrplänen, die gänzlich unabhängig vom individuellen Lerninteresse der SchülerInnen entwickelt und angewendet werden. Stattdessen hätte die Aufgabe der Bildungseinrichtungen darin zu bestehen, als ein allen zugänglicher Ort der Möglichkeiten zu fungieren, an dem mensch Materialien, Gleichgesinnte oder eben auch ExpertInnen zur Verwirklichung der eigenen Bildungsinteressen finden kann. Diese Bildungsinteressen vertragen sich nicht mit Schulphasen und kommen auch nicht durch „Abschlüsse“ zu einem Ende. Ein derart geändertes Wesen der Bildung muss daher mit einer grundlegenden Veränderung der Gesellschaft einhergehen.

Bildungssyndikat Leipzig
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Fußnoten:
(1) Einen Überblick zu PISA inkl. Texten und Pressemeldungen bietet http://www.skh.de/pisa/index.htm?dpa/2004/04-11-21-a.htm
(2) http://www.boersenblatt.net/sixcms/detail.php?id=79333
(3) Das wir uns hier im wesentlichen auf diesen Aspekt beschränken, heißt nicht, dass es nicht zusätzlich auch noch andere geben kann.
(4) ‚Jahresgutachten 04/05 des Sachverständigenrats Wirtschaft’, http://www.sachverstaendigenrat-wirtschaft.de/gutacht/04_i.pdf, S. 36
(5) vgl. Egbert Dozekal: ‚Die deutsche Universität’, Bremen 2003, S. 18
(6) vgl. Freerk Huisken: ‚Motor und Elite’, http://jungle-world.com/seiten/2004/48/4414.php
(7) vgl. Rainer Balcerowiak: ‚»Humankapital« Bildung’, http://www.jungewelt.de/2004/11-26/011.php
(8) s. dazu auch in Bezug auf PISA II: http://www.spiegel.de/unispiegel/studium/0,1518,330879,00.html
(9) s. z.B. http://idw-online.de/pages/de/news89208
(10) s. z.B. ‚Chancengleichheit und Elite’, Interview mit Michael Hartmann, http://www.gew-berlin.de/blz/3373.htm