Das Praktikumsunwesen
Praktika sind der Renner. Das Arbeitsamt drückt dich rein, den Arbeitgeber kostest du nix, und für viele Jobs ist ein vorgeschaltetes Praktikum inzwischen Pflicht ...
Es gibt inzwischen Arbeitsamts-Maßnahmen, die zu einem großen Teil oder vollständig aus einem Betriebspraktikum (3-6 Monate) bestehen. Die Arbeitslosen kosten den Betrieb also nix. Diese Möglichkeit wurde Mitte der 90er Jahre im Arbeitsförderungsgesetz verankert. In den Neunzigern waren die Chancen recht groß, nach einem absolvierten Betriebspraktikum einen Arbeitsplatz zu bekommen, oder es ergab sich zumindest eine befristete Anstellung. Heute machst du ein Praktikum meistens genau so lange, wie der Betrieb keine Lohnkosten für dich bezahlen muss. Viele Firmen holen sich immer die gleichen Jobs (z. B. Büroarbeiten, Telefonzentrale) einfach immer wieder neue PraktikantInnen.
Oft bietet die Fortbildungsmafia selbst ein Praktikum in einem ihr angeschlossenen Betrieb an, welches vielleicht in ein befristetes Arbeitsverhältnis mündet (um die Quote fürs Arbeitsamt zu simulieren), danach bist du dann wieder arbeitslos.
Immer häufiger verlangen Arbeitgeber, dass du erstmal ein paar Tage (zum Beispiel auf dem Bau) oder gar drei Monate auf Probe arbeitest. Dies wird dann Praktikum genannt und meist damit begründet, dass man z. B. erst mal sehen muss, ob man auch zusammenpasst, oder die BewerberInnen sollen erst mal zeigen, was sie so drauf haben! Das Ganze geschieht natürlich im beiderseitigen Einverständnis zum Wohle beider Parteien... Dieses Probearbeiten wird in der Regel überhaupt nicht bezahlt, manchmal gibt es das Angebot, nach einer eventuellen Einstellung einen Teil dieser Arbeitszeit doch noch vergütet zu kriegen.
In vielen Branchen (z.B. Medien, Architektur, Modedesign) werden die Bewerber für Praktika gezielt nach ihren schon vorhandenen Kenntnissen eingestellt (z.B. Webdesign). Das heisst, du musst die geforderten Kenntnisse für den Job schon mit in die Firma bringen. Also nix mit ausprobieren und dazu lernen, sondern du wirst gezielt für etwas eingeplant, wofür normalerweise jemand regulär beschäftigt und bezahlt werden müsste. (Ein Beispiel: Aus einer Annonce: Kostümbildnerin sucht Praktikantin, gerne gelernte Schneiderin oder Modedesignerin, für Näharbeiten.)
Auch früher schon waren für viele Studiengänge Praktika vorgeschrieben. Neu ist, dass Leute nach Studienabschluss unbezahlte Praktika machen, um überhaupt einen Job zu bekommen.
Eine Besonderheit stellt die Medienbranche (insbesondere Radio und TV) dar. Da es für viele Jobs gar keine Ausbildungsgänge gibt, finden sich hier alle Arten von unbezahlten Praktika. Das Geld zum Lebensunterhalt verdienen die Leute dann halt abends hinterm Tresen. Es werden sogar Praktika für Kabelträger angeboten und auch absolviert alles, um beim Fernsehen mitmachen zu dürfen.
Aus: wildcat, Januar 2004, Nr. 68, S. 48