Studi-'Streik' - in Berliner Universitäten

Was passiert, wenn die nächste Vollversammlung nicht mehr für Streik stimmt?
Dann haben ein paar hundert Leute mehrere Wochen lang ihre Lehrveranstaltungen nicht besucht, damit alle Studierenden später keine Studiengebühren und Schließungen von Studiengängen erdulden müssen. Erreicht haben wir das dadurch natürlich nicht, sondern eher eigene Enttäuschung und Verbitterung.

Wenn es uns wirklich ernst damit ist, Studiengebühren zu verhindern und kostenlose Bildung für alle zu erkämpfen, müssen wir uns über ein Erfolg versprechendes Streikkonzept Gedanken machen. Mit unserer derzeitigen Protestform können wir höchstens erreichen, dass sich vielleicht ein Mitglied des Berliner Senats dazu herablässt, uns persönlich zu erklären, dass kein Geld da ist. Wenn wir mehr wollen, müssen wir uns jetzt überlegen, wie wir als Studierende ökonomischen Druck ausüben können - und das möglichst schnell!

Denn wenn wir einfach nicht zu unseren Lehrveranstaltungen gehen, schaden wir uns erst einmal nur selber damit. Wie können wir als Studis sinnvoll streiken? Gibt es überhaupt so etwas wie einen sinnvollen Unistreik?

Den gibt es schon, nur müsste er anders aussehen.

Stellen wir uns vor, die MitarbeiterInnen der Univerwaltung beschließen, sich den Stellenabbau nicht mehr gefallen zu lassen, und finden auch, dass das Arbeitslosengeld II keine sinnvolle Alternative zu ihrem Job darstellt. Nun können wir sie zusammen mit den Wissenschaftlichen MitarbeiterInnen und anderen an der Uni beschäftigten dazu einladen, mit uns Studis eine gemeinsame Vollversammlung zu machen.
Einige von ihnen werden bestimmt kommen, und wir können gemeinsam darüber reden, wie gegen die Kürzungen an der Uni vorgegangen werden kann. Es könnten an der Uni oder sogar berlinweit hochschulübergreifend Arbeitsniederlegungen stattfinden (auch Beamte können im Rahmen des Gesetzes ihre Arbeit verweigern, z.B. indem sie einfach nur Dienst nach Vorschrift machen und nicht mehr durch eine unzumutbare Anzahl von Überstunden den "Laden am Laufen halten")...

Das ließe sich je nach Belieben weiter fortführen.

So wäre auch denkbar, dass sich andere Bildungseinrichtungen wie Kitas (bei denen extrem gekürzt wird) und Schulen an den Streiks beteiligen. Die Perspektive wäre ein unbefristeter Streik aller Berlinerinnen und Berliner, die von Umverteilung von Unten nach Oben betroffen sind (z.B. Bankenskandal). Das gleiche gilt natürlich auch für andere Städte und Regionen.

Dann aber würde der Streik schon ganz anders aussehen.
Es wäre nicht mehr nur ein Wettstreit zwischen den einzelnen gesellschaftlichen Gruppen um die zugestandenen Haushaltsmittel, sondern ein Kampf aller gegen die Logik des Systems, das Kürzungen erst nötig macht. Das hört sich zwar realitätsfern an, ist aber immer noch realistischer als zu glauben, dass wir mit unseren derzeitigen Protesten die Streikziele erreichen.

Darauf, dass die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft oder gar der DGB von sich aus beschließt, etwas - über bloß sozialpartnerschaftliche Verhandlungen und symbolische Aktionen hinaus - gegen den Kürzungswahn zu unternehmen, können wir lange warten.

Auch werden die betroffenen Lohnabhängigen im Bildungsbereich und darüber hinaus nicht einfach für uns und andere Bedürftige mitstreiken, bloß weil wir behaupten, es nicht wirtschaftlich wirksam zu können. Erst wenn wir selber einen ökonomischen Hebel ansetzen, der die Mechanismen angreift, unter denen wir und auch sie zu leiden haben, werden sie uns als potenziell bündnisfähig auffassen können. Solange wir uns aber - was ja nicht so bleiben muss - auf symbolischen Widerstand ("Protest") beschränken und so mit dem vorgegebenen Programm abfinden, gilt streng genommen:

HUMANKAPITAL - Du willst studieren? Spende deine Nieren.

Der Verwertungszwang starrt aus allen Ecken!
Mindestens so lange, bis er mal praktisch in Frage gestellt wird.

Deine Professorin ist nicht zu sprechen, weil sie gerade mit Forschung für die ,Wirtschaft' einen Erlös erzielen ,muss'? Gegen deine Studiengebühren haben sie und andere Beamte in Parlamenten und Gerichten ja vielleicht auch nichts einzuwenden, da sie die Studiengebühren ihrer Kinder locker zahlen könnten, wofür die dann aber auch in Hörsälen Platz fänden, die nicht mehr von dir und deinesgleichen verstopft würden.

Ups! Da haben doch Studis, indem sie einfach ihr gutes Recht auf Betreuung wahrnahmen, allein mit ihrer Anzahl die Sprechstunde der Professorin verstopft - oder irgendwer doch gleich das Türschloss zum privatwirtschaftlich genutzten Teil des Forschungsinstituts?

Dir stößt auf, dass Bertelsmann Bildung privatisiert und um dies Modell durchzusetzen über ein Centrum für Hochschul-Entwicklung Stimmung gegen dein bisher ,kostenloses' Studium macht?
O-o! Bertelsmann erfolgreich boykottiert? Das ist doch eigentlich gar nicht wirksam zu bewerkstelligen. Wer hat denn da so gründlich recherchiert - oder etwa einfach Suchwörter wie ,Mehrheitsbeteiligung' und ,Tochterfirma' in eine WWW-Suchmaschine eingegeben und geguckt was passiert!

Der Job, den du machst, macht dich kaputt?
Beim Job, der ja Grundlage des Auskommens ist, können einzelne auf sich gestellt nur wenig bewirken. Es werden aber immer wieder Fälle bekannt, wo sich welche Hilfe von anderen, die dort arbeiten, oder von außerhalb des Arbeitsplatzes organisieren. Wenn das Schule macht!

Egal ob du produzierst oder konsumierst - Bund und Land Berlin mit Einkommens- und Mehrwertsteuer immer mit dabei. Auch sie von Sachzwängen, getrieben'... so lange ihnen alle möglichen Erlöse winken. Es scheint dir unmöglich, Erlöse, und damit auch Steuereinnahmen die Berlin von dir erhebt, so zu mindern oder auch anders zu verteilen, dass sie nicht zu deinem eigenen Schaden eingesetzt werden können?
Es gibt jetzt schon in Berlin tätige Menschen, die mit Wohnsitz und oft auch Auto im Land Brandenburg gemeldet sind. Dieses umliegende Land bekommt wegen dieser Einwohner im Länderfinanzausgleich Zuschüsse, die sonst Berlin erhalten hätte. Oft und viel in der mehrwertsteuerbefreiten Studentenwerks-Mensa zu essen ist aus Berliner Sicht somit auch unpatriotisch! Aber leider, leider muss sich der bei Rückmeldung zwangsweise eingezogene Studentenwerksbeitrag ja amortisieren. Beim Einkaufen mit Absicht mehr an niedriger besteuertem wie z.B.
Grundnahrungsmitteln zu erwerben, wiese hingegen nur auf irrationale Rachsucht hin!


Solange einzelne unkoordiniert vorgehen, ist der Effekt noch zu vernachlässigen, aber das Gegenteil ist bereits in Umrissen sichtbar: Viele machen gemeinsam, was sie wollen, und nicht mit einander, was sie sollen. Stattdessen einander auf Augenhöhe gegenübertreten und einander die Hände zur Hilfe reichen und so gemeinsam zurückdrängen, was die meisten kaputt macht! Was hätten wir beim Gebäudesperren für ein Gefühl gehabt, wenn uns nicht doch Angestellte ab und zu freundlich unterstützt hätten!
Das gemeinsame Vorgehen mit Menschen die ähnlich wie Studierende von Kürzungen betroffen sind, ist notwendig, um selber etwas bewirken zu können. Aber nur wenn dies nicht auf die Uni beschränkt, sondern in der gesamten Gesellschaft umgesetzt wird, wirkt es auch nachhaltig.

Das aber hieße womöglich Generalstreik, Anarchie, Kommunismus - alles für alle? Wäre möglich! Was dabei herauskommt, auf halber Strecke stehen zu bleiben, ist bereits aus der Geschichte der Arbeitendenbewegung bekannt, dieser Endpunkt heißt in Berlin rot-roter Senat! Verlieren wir nicht noch einmal alles, nur weil wir nicht alles gewinnen wollten!

Selbstorganisierung statt Trittbrettfahren!

Bildungssyndikat Berlin - FAU-IAA

WIE ES DIESMAL BEGANN ...
war: "Studi-Streik an der TU Berlin",12.11.2003)

An der Technischen Universität Berlin beschloss die Vollversammlung der Studierenden am 5. November 2003, den Unibetrieb zu "bestreiken", zu boykottieren.
Die Gründe und Anlässe sind die Erwägung des Abgeordnetenhauses, Studiengebühren einzuführen, und die neuen Universitätsverträge, worin der Berliner Senat den Berliner Universitäten drastische Kürzungen auferlegt – nachdem er selbst vertragsbrüchig wird.

Die Forderungen des Streiks sind:

volle Ausfinanzierung der de facto 135.000 Studienplätze in Berlin (gegenwärtig ausfinanziert maximal 85.000) der dauerhafte Verzicht auf jede Form von Studiengebühren (also auch auf Studienkonten), viertelparitätische Besetzung der Universitätsgremien und überhaupt: keine Kürzungen im Bildungs- und Sozialbereich vorzunehmen.

Mit den beiden letzten Forderungen solidarisierte sich die Vollversammlung mit den anderen Kürzungsopfern in Berlin und dem Bundesgebiet.

Als der Allgemeine Studierenden-Ausschuß (AStA) das Mikro zur Diskussion und Ergänzung der Beschlussvorlage freigegeben hatte, ergriff ein lohnabhängiger Langzeitstudent, Mitglied des Bildungssyndikats Berlin, das Wort und lenkte die Aufmerksamkeit der rund 1.000 Anwesenden auf ein scheinbar abwegiges Feld.

Wer von ihnen zur Zeit von Lohn abhängig sei, wollte er wissen. Das war etwa die Hälfte der Studierenden. Jene sollten, so der Vorschlag aus dem Bildungssyndikat, einen Streik an ihrem Arbeitsplatz organisieren, um der berliner Wirtschaft ihre Abhängigkeit von Studierenden klar zu machen. Eine solche direkte Aktion - und alle anderen die unmittelbar ökonomischen Druck erzeugen, der durchaus den Rahmen der Universität sprengt - könnte die Wirtschaft des Landes dazu zwingen, sich gegen Studiengebühren zu stellen. Der Senat Berlins sähe sich also gezwungen, seine Ambitionen auf neue Geldquellen aufzugeben.

Das Bildungssyndikat Berlin ist zwischenzeitlich zusammengekommen und beriet das weitere Vorgehen. Dabei kamen auch die Erfahrungen aus den Protesten an der FU Berlin zum Tragen. Für eine möglichst gute Entwicklung der Proteste ist es demnach nötig, dass Tagesordnung und Redeleitung in Händen der Anwesenden, der Vollversammlung sind, und nicht unter der Kontrolle des unkontrollierten Gremiums AStA. Die nächste Vollversammlung findet am Mittwoch, 12. November 2003, um 14 Uhr im Audimax (Hauptgebäude der TU), statt.

Zudem sollte man in studentischen Reihen zu einer realistischen Einschätzung der Situation gelangen, um nicht in wenigen Wochen der Resignation zu erliegen: Es ist nicht damit zu rechnen, dass die Einführung der Studiengebühren unmittelbar verhindert werden kann - daraus allerdings eine Demobilisierung abzuleiten ist genau die falsche Schlußfolgerung. Die Vollversammlung ist sinnvoll, wenn sie desillusioniert zusammen kommt, auf der Suche nach und offen für Optionen – und handlungs- statt event-orientiert.

Was ist da erfolgversprechender als ein Streik der Studi-Jobber?

Weitere Informationen

findest Du unter http://asta.tu-berlin.de/streik/streik.html