Vom McDonald's Workers Resistance (MWR) lernen
Das englischsprachige Info-Portal libcom.org interviewt eines der Gründungsmitglieder der Betriebsgruppe McDonald's Workers Resitance (MWR) und fragt nach den Erfahrungen und Lehren eines der wichtigsten Versuche libertärer Organisierung im UK der letzten Jahre.
Wie in der "Direkten Aktion" #179 angekündigt, dokumentieren wir hier die ungekürzte Fassung des Interviews mit einem ehemaligen Mitglied des inzwischen aufgelösten MWR, da in der Zeitung nur ein bearbeiter und gekürzter Text Platz gefunden hat. Auf das versprochene ergänzende Material müsst ihr aber leider noch etwas warten.
Hi, wer bist Du?
Der Proletarier, der früher unter dem Namen Funnywump bekannt war.
Kurz gesprochen, was war McDonald's Workers Resistance?
Es war die attraktivste Rebellion, die es je in einem Burger-Restaurant gab. Diesen Namen gab sich eine Gruppe von McDonald's-Beschäftigten, die in einer Filiale in Glasgow (Schottland) arbeiteten. Wir stellten MWR auf die Beine und forderten andere ArbeiterInnen auf, sich zu beteiligen. Der Name wurde auch von anderen Gruppen in Großbritannien (UK) und im Ausland aufgegriffen. Die Bewegung umfasste hunderte von Leuten, die sich nicht schon vorher aus Zusammenhängen radikaler Politik kannten!
Gegen Ende des Bestehens von MWR hielten wir einige grundlegende Prinzipien fest:
- Unterstützung aller auf Stundenbasis entlohnten Angestellten der Firma, ungeachtet ihrer Ethnie, ihrer sexuellen Orientierung, etc.
- hierarchiefreie Organisation
- Vertrauen in direkte Aktion und Konfrontation
Letzten Endes scheiterten wir auf spektakuläre Weise.
Wie hat es angefangen?
Früher hätte ich geantwortet, indem ich auf bestimmte Ereignisse verwiesen hätte, die uns zur Organisierung anstachelten. Ereignisse wie solche, dass das Management versprochene Bonus-Zahlungen verweigerte, oder dass wir einmal als ein Kunde starb weiterarbeiten sollten (die KundInnen sind an der Leiche vorbeigetreten). Da diese Ereignisse sich aber wohl nicht wiederholen werden, und da sie nicht notwendigerweise (oder auch nur logischerweise) motivierend wirken, will ich's versuchen und anders antworten.
Wahrscheinlich war die Alterszusammensetzung der ausschlaggebende Punkt zur Organisierung: Es war eine Belegschaft aus Schulkindern und Schulabbrechern, die noch nicht vollkommen in ihren produktiven Rollen sozialisiert waren. Es gab auch UniversitätsstudentInnen, die sich aus dem Bett quälen mussten, und gering qualifizierte ArbeiterInnen, von denen viele daran gewöhnt sind, regelmäßig den Job zu wechseln. Niemand arbeitete hier, weil er oder sie "eine Wahl getroffen" hätte, oder glaubte es wäre ein "guter Job".
Es wäre härter gewesen, dasselbe Projekt in einer anderen Filiale zu starten. Zum Beispiel hatte ich auf dem Höhepunkt unseres Kampfes das Privileg, mit ArbeiterInnen in einem Londoner Laden zu sprechen, die sich organisierten. Die meisten waren erst vor kurzer Zeit eingereist, viele von ihnen illegal - ihr Organisierungspotential war offensichtlich sehr viel stärker eingeschränkt als unseres.
Ein anderer Aspekt half uns am Anfang: Bevor wir je explizit organisiert aufgetreten sind, verband die ArbeiterInnen in unserer Filiale ein starkes soziales Band. Am Zahltag gingen alle ins Pub und viele freundeten sich an, verabredeten sich, und so. Als dann jemand sagte, "Wir sollten wirklich etwas unternehmen," war das dann auch keine hohle Phrase ... und die Unruhe breitete sich in unserer inzenstuös kleinen Welt wie eine Geschlechtskrankheit aus.
Es war auch wichtig, dass die Leute der MWR-Kerngruppe die besten und erfahrendsten ArbeiterInnen unserer Filiale waren – bei McDonald's kannst du übrigens schon nach einer Woche als erfahrener Arbeiter gelten. Der Druck ist groß, großer Umsatz mit sehr scharf kalkulierten Arbeitskosten. Der Druck wird direkt über die Hierarchie aufgebaut, so dass unsere direkten Vorgesetzten häufig von uns abhängig waren, um ihre eigenen Bosse glücklich zu machen. Dies half uns, einen gewissen Raum zu schaffen.
Ich schätze, dass der springende Punkt ein grundsätzlicher ist: Wir kamen in die Puschen, weil Leute agitiert haben, die auf Arbeit respektiert waren. Das ist wahrscheinlich eine Vorbedingung für jede ArbeiterInnenbewegung, die es je gegeben hat und jemals geben wird. Und all das marxistische Theoretisieren wird das nicht ändern.
Warum habt ihr euch nicht einfach einer Gewerkschaft angeschlossen?
Das war niemals eine Option für uns. Da könnte man auch fragen, warum wir nicht einfach zum Olymp geflogen sind und Zeus baten, das Unternehmen mit einer fürchterlichen Sintflut zu strafen.
Während der McVerleumdungs-Verhandlung [Verfahren gegen zwei AktivistInnen, Mitte der 1990er] beschrieb der Oberste Gerichtshof die Einstellung McDonald's zu Gewerkschaften als „abgeneigt“; das ist so als würde man Ed Gein [bzw. Joachim Kroll; Serienmörder] als schlechten Nachbarn bezeichnen. Sie haben Tests mit Lügendetektoren durchgeführt, um Sympathien für Gewerkschaften herauszukriegen, wurden wiederholt für illegale Einschüchterungsmaßnahmen gegen Organiser verurteilt und haben ganze Filialen geschlossen als sich die ArbeiterInnen zu organisieren begannen [z.B. 2002 in Wiesbaden]. In keiner einzigen McDonald's-Filiale in der englischsprachigen Welt konnte eine Gewerkschaft Fuß fassen. Auch wir haben es anfangs versucht und hatten von insgesamt 60 ArbeiterInnen 40 Unterschriften gesammelt – aber die Fluktuation ist so hoch, dass diese Taktik wenig erfolgversprechend ist.
In dem Maße wie wir mehr über Gewerkschaften erfuhren und mit ihnen einige Zeit verbracht hatten, fielen uns auch andere Gründe auf, warum das kein wünschenswerter Gang für unseren Kampf ist. Aber der "Was ist falsch mit den Gewerkschaften"-Ansatz verfehlt den Kernpunkt. Aus wirtschaftlichen Erwägungen heraus sind die Gewerkschaften nicht daran interessiert, gering qualifizierte Arbeitskräfte mit hoher Fluktuation zu organisieren. Für gewöhnlich nannten sie McDonald's das "schwarze Loch" aller Organisierungsbestrebungen. Also ist die Frage nach Gewerkschaften für ArbeiterInnen in vielen prekären Branchen von geringer Bedeutung.
Das mag sich auch ändern – wir hatten Kontakt zum radikalen Flügel der institutionalisierten Arbeiterbewegung, nicht im UK, aber in einigen anderen Ländern, und das sind engagierte, idealistische, kreative Leute. Sie kauften uns Drinks. Sie waren sehr an unseren Aktivitäten interessiert und waren scharf darauf, neue Organisierungstaktiken für Betriebe kennenzulernen, aus denen sie bisher ausgeschlossen sind. Vielleicht entwickeln sie gerade neue Kampfformen und organisieren junge ArbeiterInnen. Ganz klar, wenn wir einen Kampf erleben wollen, der konfrontativ, revolutionär ist und auf direkter Aktion fußt, dann hoffen wir doch, dass dieser Raum von libertärer Selbstorganisation ausgefüllt wird. Aber die muss ja irgendwo anfangen; können wir bei den Gewerkschaften vielleicht auf Innovation und Offenheit gegenüber neuen Strategien hoffen?
Wie sahen eure ersten Probleme aus, und wie seid ihr damit klargekommen?
Tja, ohne gesetzlichen Schutz war unsere Lage sehr prekär. In den ersten beiden Jahren, als die Gruppe nur in einer Filiale existierte, waren wir ganz erfolgreich damit, das Arbeitstempo runterzufahren, Bonus-Zahlungen sicherzustellen, gegen Mobbing vorzugehen, etc. Aber jede offene Auseinandersetzung hätte dazu geführt, dass wir alle unverzüglich auf der Straße landeten. Wenn wir die Dinge weitertreiben wollten, dann mussten wir die Gesamt-Belegschaft als solche organisieren. An diesem Punkt, meine ich, verwandelten wir uns von einer praktischen Gruppe in eine ideologische Gruppe. Damit meine ich, dass das Ausmaß der uns harrenden Aufgabe so viele Organisationsbemühungen erforderte, dass der Aufwand durch materielle Gewinne kaum aufgewogen werden könnte. Das schreckte uns nicht.
Welche Probleme gab es die ganze Zeit lang?
Aus genannten Gründen mussten wir uns anonym organisieren und als geheime Gruppe operieren. Da bedeutete, dass wir nur ungern öffentlich auftraten, uns fotografieren ließen, Journalisten trafen oder TV-Interviews gaben. Einige Hindernisse konnten wir umgehen: bei Pressekonferenzen waren entweder keine Aufnahmen zugelassen oder wir trugen Masken. So machten wir auch ein Fernsehinterview mit der BBC, auf der Grundlage, dass unsere Gesichter verhüllt würden bevor auch nur eine Aufnahme gemacht wird. Aber der größte Nachteil war, dass unsere Organisationsnetzwerk immer unterwandert war und wir die meisten Beteiligten nie getroffen haben. Wir waren nie in der Lage gewesen, so was wie eine Konferenz zu organisieren.
Klar wurde dieses Anonymitäts-Ding auch irgendwie ein Spiel. Als wir erst einmal wussten, dass sie uns beobachteten und dass unsere Anwesenheit in der Belegschaft ihnen Sorgen bereitete, war es wichtig, so wenig greifbar wie möglich zu sein. Wir fühlten uns ein bisschen wie Zorro, oder Scarlet Pimpernel [Romanheld aus „Das scharlachrote Siegel“ von Emmuska Orczy], oder so. Von Zeit zu Zeit schickten wir provozierende Kommuniqués raus. Das Ding mit den Masken war auch deshalb wichtig, weil alle außer mir bei MWR ziemlich hässliche Typen waren.
Wann ging es so richtig los?
Im Oktober 2000 machten wir eine erste Ausgabe unserer Zeitung und veröffentlichten eine Stellungnahme auf der Website McSpotlight [www.mcspotlight.org – entstand nach dem Erfolg im McVerleumdungs-Verfahren 1997]. Im Jahr darauf brachten wir unsere eigene Seite an den Start und hatten bis Ende des Jahres Kontakt mit einem schnell wachsenden Netzwerk von McDonald’s-ArbeiterInnen.
Kannst du Zustand und Aktivitäten des MWR zu seinem Höhepunkt schildern?
Wir waren ca. 20 Gruppen. Einige davon mögen nur ein, zwei Leute gewesen sein, aber es waren doch auch immer Leute in verschiedenen Filialen einer Stadt. Einige dieser Gruppen waren sehr stark dabei, eigene Flugblätter und Websites herzustellen. Es gab mehrere Gruppen in Australien und ein halbes Dutzend in Nordamerika. Wir hatten auch eine sehr umfangreiche Kontaktliste – die war in einer dieser Yahoo-Adressen gespeichert, und da man von einem Yahoo-Account nur etwa 100 Emails pro Stunde versenden kann, brauchte man einen ganzen Tag um eine einzige Nachricht zu verschicken. Ende 2002 wuchs der Einfluss des MWR für kurze Zeit exponentiell an. Anfang 2003 waren einige der Leute von der Ursprungsgruppe, die noch immer dabei waren, umgezogen und arbeiteten bei McDonald’s außerhalb von Schottland. Unseren neuen KollegInnen erzählten wir nicht, dass wir mit MWR vertraut sind, und mussten uns von ihnen Witze anhören, die wir selbst geschrieben hatten. Um ehrlich zu sein, wir hatten wohl irgendwann die Schnauze voll davon. Das würde aber bedeuten, dass wir substanziellen Einfluss gehabt hätten. Einfluss ist nicht das richtige Wort, „Profil“ passt vielleicht besser.
Habt ihr Streiks organisiert?
Der Hochpunkt unserer Bewegung war der 16. Oktober 2002. Einiges von dem, was an diesem Tag ablief ist im Internet dokumentiert [im Internet auf Englisch unter http://libcom.org/library]. Ein paar der Berichte erwiesen sich als nicht ganz zutreffend, aber vier Jahre später scheint das nun auch nicht so wichtig. Es war ein großer Coup, viel größer als wir erwartet hatten, und das hat ganz schön Auftrieb gegeben. Ich dachte nicht wirklich, dass viel passieren würde, aber als ich an diesem Morgen meine Emails checkte waren da all diese Berichte, die schon aus Australien hereinkamen. Es war eine sehr aufregende Zeit. Was auch immer aktive Sabotage gewesen sein mag und was nicht, zahlreiche technische Probleme und Beispiele gewöhnlicher Inkompetenz wurden der unsichtbaren Hand des Widerstands zugeschrieben! Andere Aktionen waren weniger erfolgreich. Aber auch der 16. Oktober war nur auf symbolischer Ebene erfolgreich.
Habt ihr jemals daran gedacht, Konkurrenten wie Burger King nach Geld zu fragen?
Ha! Nein. Du meinst, mit Masken auf und Bananen unter unseren Pullis? Einige von uns hatten auch in anderen Fast-Food-Ketten gearbeitet, von daher waren wir auch auf die nicht scharf.
Wann ging es bergab?
Es ging nicht bergab – es brach zusammen! Und zwar Ende 2003.
Und warum?
Ich habe schon auf einige unserer taktischen Fehler angespielt, und es hatte auch etwas mit dem Niedergang unserer Glasgower Gruppe zu tun. 2003 arbeiteten nur noch drei von uns bei McDonald’s, und wegen des Geheimnis-Problems haben wir keine neuen Leute integrieren können. Wir wurden älter, hatten weniger Kontakt zu den übrigen Arbeitskräften und unser Diskurs war nicht mehr ganz der ihre. Und wir waren einfach müde – ihr wisst ja selbst, wie viel Arbeit solche Projekte machen. Es war großartig, dass so viele Angestellte Kontakt zu uns aufgenommen haben, aber das bedeutete auch Stunden vor dem Computer. Dazu kommt noch, dass wir inzwischen sechs, sieben Jahre bei McDonald’s gearbeitet hatten. Das ist eine lange Zeit. Es war Zeit Schluss zu machen, und wir versuchten einen Nachruf zu schreiben.
Da wollten wir die organisatorische Arbeit natürlich einigen der anderen Gruppen übergeben (tatsächlich hatten wir auch über Jahre hinweg darauf gedrängt, dass ArbeiterInnen mit der geografisch nächstgelegenen Gruppe Kontakt aufnehmen, und nicht mit uns), aber 2003 ist auch von ihnen eine Vielzahl weggefallen. Schließlich weißt du selbst, dass Libcom nicht lange laufen würde, wenn du und alle Admins aussteigen würden. Das Projekt würde von ein paar Freaks übernommen werden, wie im [Roman] „Herr der Fliegen“.
Ich war jedenfalls sehr unzufrieden mit der Art und Weise, wie es endete, und ich fühlte mich ein bisschen als hätten wir eine Menge Zeit verplempert. Aber jetzt, mit ein paar Jahren Abstand kann ich sehen, dass … Ohne eine umfassendere Bewegung kann eine Initiative wie unsere immer nur ein Experiment sein.
MWR hatte eine Menge positives Medienecho – gibt es Medienerfahrungen, von denen du berichten möchtest?
Am Anfang haben wir auch gutes Feedback gehabt, aber dann änderte sich was und über uns wurde nie wieder berichtet. 2002 haben wir sehr viele Interviews gegeben, und sie wurden nie verwendet. Vielleicht weil das Material wirklich Mist war, oder aber weil McDonald’s Druck ausübte – ich weiß es nicht. In anderen Ländern haben wir’s immerhin in einige Radios geschafft, aber nicht im UK. Was die Presse angeht, in „The Face“ zu stehen (2001) war schon ziemlich cool [Mode- und Kunstzeitschrift, 1980 gegr., 2004 eingestellt; nachzulesen auf libcom]. Und in „Loaded“ standen wir (2002) zwischen Kate Moss und Carmen Electra, was man ja kaum laut aussprechen möchte.
Eure Webseite war sehr wichtig für euch; irgendwelche Gedanken dazu, und zum Netz allgemein?
Das Internet ermöglicht einen Grad von Organisierung und Kontakt, der für vorhergehende Generationen einfach nicht finanzierbar gewesen wäre. Das kann eine große Hilfe sein und ich denke, das Potential der ArbeiterInnenbewegung im Internet ist enorm – die Strukturen dazu werden von Leuten geschaffen, die nicht notwendigerweise politisch [drauf] sind. Seiten wie etwa pissedofwitress.com [bzw. angekotzterkellner.de] könnten Strukturen kollektiven Kampfes werden.
Natürlich birgt das Netz auch Gefahren. Es ist möglich, „das Netzwerk“ mit Organisation zu verwechseln – das ist ein weiteres Problem von MWR gewesen, das ich bereits erwähnt habe. Wenn du tausend Kontakte hast, aber kein einziger in der Lage ist, an seinem Arbeitsplatz eine Struktur aufzubauen, dann hast du tausend Mal null. Wir haben nichts. Ich meine jetzt nicht, dass das unbedingt auf MWR zutraf, da gab es einige inspirierende und mutige Versuche, Widerstandsstrukturen unter ArbeiterInnen zu schaffen. Sondern es handelt sich um ein Problem der Art und Weise, wie heutzutage organisiert wird. Die Leute wollen zumindest das Gefühl haben, dass sie vorankommen, und da praktisch verankerte Strukturen fehlen, gründen sie Netzwerke. Mit dem Internet kannst du für alles ein Netzwerk aufmachen. Du kannst z.B. ein Netzwerk von … Wäscherei-ArbeiterInnen bilden, du findest sicherlich ein Dutzend mit anarchistischen Sympathien, eine in Helsinki, einen in New York und mindestens einer in Hackney. So kriegst du das Gefühl, dass es vorangeht. Aber das ist eine Illusion, denn fünf Millionen Mal nichts ist immer noch nichts.
Ich will diese Netzwerke nicht abqualifizieren, sie können sehr nützlich sein – wie auch MWR es war. Aber sie sind nur dann nützlich, wenn es darum geht unabhängige Strukturen unter Leuten zu schaffen, die tagtäglich zusammenarbeiten. Unabhängige Strukturen unter Leuten, die tagtäglich zusammenarbeiten; das ist es.
Was gibt’s zu McSues [„sue“ heißt, jemanden verklagen ], eurer Zeitung zu sagen?
Es hat viel Spaß gemacht und war in den frühen Tagen überaus wichtig, als Internetzugang noch sehr viel weniger verbreitet war. Wir waren glücklich Unterstützer zu haben, die sich die Zeit nahmen und die erste Ausgabe über die Theke hinweg verteilten. Das war jetzt vielleicht nicht die beste Art, die Zeitung unter die Leute zu bringen. Ich denke, es hat erst Drive aufgenommen als wir eine Reihe von Kontakten hatten und die Zeitung in Bündeln verschicken konnten, damit sie in einer Filiale verteilt, in einem Spind versteckt, in Manteltaschen gesteckt werden könnten.
Und euer Humor?
Aye, was ist damit bloß passiert? Dieses Interview ist so trocken wie deiner Mutter ... Aber es stimmt schon, einiges an Humor war nicht gerade oberstes Niveau. Ich war entsetzt darüber, wie lange libertäre Kreise die Auseinandersetzung über Pädophilie-Witze führten …
MWR wollte aber doch nicht wirklich behaupten, dass Ronald McDonald pädophil wäre, oder?
----
[Dokument] Aus McSues #2: Das geheime Tagebuch von Ronald McDonald, ein sehr dreckiger Clown!
Montag: Habe meine Arbeitskleidung bepisst und vollgekotzt.
Dienstag: Sollte heute vor einigen Kameras plaudern. Ich hab mich nicht verarschen lassen, weil ich mich nicht zum Affen mache und wertvolle Zeit zum Saufen verschwende. Aber McDonald’s erklärte, dass sich Zweijährige in mich verlieben sollten, damit sie den Fraß von McDonald’s kaufen. Klar, ich sollte alles tun was Kinder verrückt nach mir macht. Danach war ich ganz schön fertig und es war Zeit, ins Bett zu gehen. Es ist immer Bett-Zeit, wenn die große Hand die kleine Hand berührt.
Mittwoch: Ich knalle mir das Gesicht mit Make up zu, so viel ist klar, aber warum zu Teufel habe ich einen gelben Schwanz?
Donnerstag: Tag rumgebracht mit Filme-Glotzen und Chips-Reinhauen.
Freitag: Besuch bei McDonald’s und Kinder erschreckt mit einer Aufblas-Puppe in Form eines gigantischen gelben Schwanzes. Manchmal erschrecke ich mich selbst.
Samstag: Fickte ein Hühnchen.
----
Seltsamerweise erregten solche Artikel Anstoß. Wir mussten über eine nachträgliche Rechtfertigung nachdenken, irgendetwas die Richtung, das Unternehmensimage zu schädigen. Pädophilie-Witze waren wahrscheinlich unser einziges Erbstück für die revolutionäre Bewegung …
Aber im Ernst: die Leute müssen sich das Zeug durchlesen, und dann erkennen sie auch, dass es nicht so ist… Jedenfalls nicht so verdammt arschgesichtig wie andere Sache, die hergestellt werden. Und diese Art von Witzen rissen wir nunmal auf Arbeit. Ich meine, das sind Sachen, die nur in dieser Umgebung funktionieren. Wenn du DozentInnen für englische Literatur organisieren willst, würdest du doch ganz anders rangehen, nicht wahr? Du würdest wahrscheinlich Zitate einbauen von … Terry Eagleton [Literaturwissenschaftler; bzw. Hans Mayer], oder so. Du würdest versuchen, mit dem Diskurs zu arbeiten wie am Arbeitsplatz geführt wird. Deswegen verstehe ich die Gewohnheit nicht, Flugblätter für „die Öffentlichkeit“ zu schreiben. Es muss spezifisch ansprechend sein. Ein Flugblatt für „ArbeiterInnen der Nahrungsmittelindustrie“ ist meiner Meinung nach nicht sehr sinnig. Ein Flugblatt für Bäcker ist besser. Ein Flugblatt für die Bäckerei, in der du arbeitest, ist noch besser. Und ein Flugblatt für deine Bäckerei über den neuen Arbeitsschritt, der letzte Woche eingeführt wurde? Ja dann kann das was werden. Keine Ahnung, was meinst du dazu?
Ich meine auch: je spezifischer desto besser. Aber ich denke, es gibt auch einen Raum für allgemeinere Materialen für ein breiteres Publikum. Was hälst du von dem neuen Flugi, „Restaurants abschaffen“ z.B. [siehe licom.org]?
Genau, das Flugblatt wäre sehr gut. Eine hervorragende Idee. Die Analyse ist gut, klar; aber es ist die Besonderheit, die seine Bedeutung ausmacht. Es ist auf dieser „Flugi für Bäcker“-Ebene und ich denke nicht, dass man es sehr viel besser hinkriegt. Selbstverständlich ist es nicht darauf gerichtet, Strukturen des Kampfes (oder Teams, wie sie es nennen würden) aufzubauen – das wäre dann eine Herausforderung für die Leute, die das Flugblatt hergestellt haben, und jene, die es eventuell inspiriert. Diese Strukturen, diese Teams können nur von ArbeiterInnen geschaffen werden, die auch respektiert werden. Und ob sie nun schriftlich oder mündlich kommunizieren, sie werden sich mit den Besonderheiten vor Ort auseinandersetzen müssen.
Welche internationalen Kontakte habt ihr mit MWR geknüpft?
Nun, wir haben immer die Ansicht vertreten, dass unsere Organisation genauso multinational sein müsse wie das Unternehmen; aber du meinst wahrscheinlich Kontakte zu politischen Gruppen und Arbeiterorganisationen? Wir hatten freundlichen Austausch mit Gewerkschaften in Italien, Kanada, den Niederlanden und Frankreich. Gute Beziehungen unterhielten wir auch zu Syndikalisten, besonders zur FAU in Deutschland und zur IWW in Australien. Es gab auch noch die CNT Vignoles, die sich in einer Filiale in Paris organisierten, und die französische CNT-AIT, die ebenfalls seit Jahren bei McDonald’s engagiert war, es gab die SAC und andere. Die Zusammenarbeit mit den Chainworkers in Italien, die mit der [Basisgewerkschaft] CUB verbunden sind, war großartig [über das Kollektiv gibt es auch einige deutschsprachige Texte]. Es gab GenossInnen, die unsere Zeitung ins Griechische und Tschechische übersetzten. Wir waren froh, so viel Unterstützung zu erhalten.
Welche Beziehung hattet ihr zur anarchistischen Bewegung?
Nochmal: Wir waren froh, so viel Unterstützung zu erhalten und ist bin allen dankbar, die uns geholfen haben. Ganz besonders möchte ich die Solidarität unterstreichen, die wir von gewissen GenossInnen in Schottland erfahren haben.
Natürlich gab es auch Feindseligkeiten gegen unsere Aktivitäten. Ich denke da an unsere erste Anarchistische Buchmesse, wo wir vom Ausmaß/Niveau der Ablehnung doch überrascht waren. Zu dieser Zeit hatten öko-anarchistischen Protest-Ansätze großen Einfluss und es gab diesen schrecklichen Trend, „Kämpfe von ArbeiterInnen“ als eine Kategorie wie „Anti-Knast-Kämpfe“ zu definieren – es war schwer, eine ernsthafte Diskussion über Klassenkampf zu führen. Ich meine, es war einfacher einen Beitrag in „The Face“ unterzubringen als bei „Indymedia“.
Und wie reagierten die Tierrechtler?
Viele „Tierrechtler“ waren auch im Klassenkampf engagiert, also unterstützten sie uns. Andere waren nicht wirklich an der Organisierung von ArbeiterInnen interessiert, sahen aber was wir taten als weitere Front in ihrem Kampf gegen das Unternehmen. Diese beiden Strömungen bildeten die Mehrheit, da bin ich mir sicher. Aber ja, manchmal hatten wir ne Menge Ärger, wie z.B. bei der Anarchistischen Buchmesse. Und dann gibt es freilich noch die Freaks und Spinner. Wir haben auch Morddrohungen und so was bekommen. Ich schätze mal, dass sie zum nekrophilen Flügel der Tierbefreier gehören. Wir sollten nicht zu viel Zeit darauf verwenden, uns darüber den Kopf zu zerbrechen.
Du erwähntest mal, dass sich eure Politik verschlechterte, dass sie zu Gipfelprotesten etc. hin tendierte, als ihr mit der anarchistischen Bewegung in Kontakt gekommen wart.
Ja, aber da lag ich falsch. Unsere Politik wurde besser – einige von uns entwickelten ein theoretisches Verständnis und wir änderten unsere Einstellung zu Rassismus, Sexismus, etc. Es war unsere Praxis, die sich verschlechterte. Vor allem Bouncer und ich hängten uns ins politische Engagement rein, und das heißt, dass wir an einen Kampf glaubten, der nirgendwo verankert war wo er von Bedeutung hätte sein können. Ich hatte viel Spaß bei dieser Art von Aktivismus und manchmal wünsche ich, ich könnte noch immer denselben Enthusiasmus dafür aufbringen – letzten Endes aber orientierte sich unsere Agit-Prop zu sehr an der Szene. Ich meine, wenn man schon von „Agit-Prop“ redet, wo verdammt soll das noch hinführen?
Ich erinnere mich: Wir wollten von der anarchistischen Bewegung ernst genommen werden, respektiert werden; darum hätten wir uns nie den Kopf zerbrechen sollen. In unserem letzten Jahr wollten wir so etwas wie eine syndikalistische Gruppe werden. Wir versuchten, eine schmerzhaft langsame und hoffnungslos erfolglose demokratische Entscheidungsstruktur aufzubauen. Wir begannen ein wenig inspirierende und unrealistische Lohnauseinandersetzung und forderten sechs Pfund Stundenlohn als Einstiegsgehalt – wir hatten nach unserem Wachstum 2002 einfach Höhenflüge. Warum Lohnforderung? … weil es genau das ist, was Arbeiterorganisationen machen, nicht wahr? Wir verloren unseren Innovationssinn und unsere Abenteuerlust.
Das ist ein Punkt, der häufig vernachlässigt wird, weil er gleich mit dem liberalen “Anti-Kapitalismus” in Verbindung gebracht wird ... aber die Annahme, dass ArbeiterInnen am meisten an materiellen Forderungen interessiert sind, muss auf den Prüfstand. Wir wollten nicht für McDonald’s arbeiten, ob sie uns nun sechs oder 20 Pfund die Stunde zahlten. Also wie kamen wir auf die Idee, dass andere ArbeiterInnen von einer solchen Kampagne angeregt würden?
Im Rückblick, meinst du ihr hättet irgendetwas tun können, den Zusammenbruch zu vermeiden, außer eine Lohnforderung aufzustellen?
Wir hätten im informellen Rahmen bleiben sollen und weiterhin nichts mehr als eine Inspiration sein wollen, anstatt eine einheitliche Struktur aufzubauen. Wir machten einen Fehler als wir versuchten, zwischen Gegenwart und Zukunft wie wir sie uns wünschten, zu vermitteln. Wir hätten einfach weiter Witze über den Kinder fickenden Ronald McDonald machen sollen. Das zu sagen ist schwer. Das Problem war, dass wir sehr schnell politisiert wurden, unser Einfluss wuchs und wir Dinge nach vorn bringen wollten, die der Situation nicht angemessen waren. Im Grunde genommen waren wir die revolutionärste Sektion der arbeitenden Klasse und wir traten auf der Stelle – in der Hoffnung, der Rest von euch Wichsern würde aufholen!
Meinst du nicht, dass revolutionäre Betriebsgruppen praktische Forderungen wie Lohnerhöhungen aufstellen sollten?
Nicht unbedingt. Ich meine, findest du es nicht etwas befremdlich, dass wir diese Frage ohne Kontext überhaupt aufwerfen können? Du würdest nicht fragen „Meinst du nicht, dass revolutionäre Betriebsgruppen praktische Forderungen aufstellen sollten, wie z.B. längere Pausen?“ Denn ganz offensichtlich hängt das vom Kontext ab, davon was praktisch und was Quell der Unzufriedenheit ist. Lohnforderungen können sehr wichtig sein, sie können aber auch unrealistisch und einfallslos sein. In anderen Zeiten können sie auch reformistisch und konterrevolutionär sein. Ich will hier keine post-materialistische Captain-Planet-Position vertreten, aber ich meine, dass wir nicht davon ausgehen sollten, dass Lohnforderungen immer ein Ziel ersten Ranges sein müssen. Wie dem auch sei, ich würde mich nie gegen höhere Löhne aussprechen, ebenso wenig wie ich längere Pausen ablehnen würde!
Wolltest du, dass MWR zu einer Massenorganisation von McDonald’s-ArbeiterInnen würde?
Ja, das wollte ich, und ich glaube, das war der Grundgedanke. Wenn du aber mit „Organisation“ eine administrative und funktionale Struktur meinst, dann hätten wir uns wohl missverstanden. Ich denke, wir hätten weiterhin versuchen sollen, eine Inspiration zu sein für eine ganze Menge von McDonald’s-ArbeiterInnen. Wir hatten mit diesem Ansatz außergewöhnlichen Erfolg; demgegenüber scheiterten wir und verzweifelten letztlich daran, aus dem Interesse das wir geweckt hatten, „eine Organisation“ aufzubauen. Besonders angesichts der hohen Fluktuation in der Belegschaft war dieses Unterfangen immer damit konfrontiert, dass die beteiligten ArbeiterInnen schon weiterzogen als wir gerade mal förmlichen Kontakt mit einer Gruppe hergestellt hatten. MWR hätte vielleicht besser überlebt als eine Strömung in der Gesamt-Belegschaft, in der die Gedanken sich informell unter den ArbeiterInnen verbreiten.
Da MWR ja eine explizit revolutionäre Gruppierung war, würde mich doch interessieren, wie ihr euch positioniert habt in der Spannung zwischen kleinen Gruppen mit klarer politischer Ausrichtung und großen Gruppen (oder solchen, die gern groß sein wollen), wie sie von Anarchosyndikalisten und revolutionären Syndikalisten befürwortet werden?
Nun ja, die explizit revolutionären Stellungnahmen wurden insbesondere von der Glasgower Gruppe verfasst, und zwar zu einem Zeitpunkt da sich unsere Reihen lichteten und wir von einer praktischen Gruppe mit entscheidendem Einfluss in einer Filiale zu einer Propagandagruppe geworden waren, die ihren Schwerpunkt eher auf die Kommunikation mit einer breiteren Belegschaft konzentrierte. Es ist wichtig, diese beiden Dinge nicht zu vermengen.
Das waren unsere Gedanken und wir wollten sie nicht verstecken. Ich denke, es wäre unehrlich und überheblich gewesen, wenn wir nicht öffentlich erklärt hätten, wie unserer Meinung nach die Zukunft aussehen sollte. Aber wir haben niemals von jemandem verlangt, die Stellungnahme zu teilen. Wir bestanden auf grundlegenden Absprachen über praktische Taktiken, die für die Kampfformen und die Beziehungen zu KollegInnen von unmittelbarer Bedeutung waren.
Ich denke es ist wichtig, dass ArbeiterInnen ihre Gedanken auf Grundlage der genauest möglichen politischen Analyse veröffentlichen und verteidigen/argumentieren. Aber sie sollten nicht erwarten, dass der Rest der Arbeitskräfte wie sie selbst wird. Vielleicht erinnerst du dich an den Artikel „Give up Activism“ [gekürzte Übersetzung auf www.nadir.org], der in der „anti-kapitalistischen Bewegung“ sehr populär war, wenn auch wenig Konsequenzen darauf gezogen wurden. Einer der Punkte war, dass Aktivisten meinen, die Welt wäre in Ordnung wenn nur jeder so werden würde wie sie. Nun, klassenkämpferische Anarchisten sind auf einem ähnlichen Trip. Ich denke aber, die Revolution wird von ArbeiterInnen gemacht werden, die die wirtschaftlichen Beziehungen, die unser aller Leben vergällen, kollektiv in Frage stellen. Das wird nicht durch Magie vor sich gehen, sondern wird ausgehen müssen von bewussten Bemühungen der radikalisierten Teile der Klasse – an dieser Bewegung werden aber auch ArbeiterInnen teilnehmen, die in die Moschee gehen, Mascara tragen, eher Middlemarch [bzw. einen Roman wie „Germinal“] als Marx lesen, an New-Age-Mystik glauben, vor’m Essen „Danke“ sagen, oder … Antiquitäten sammeln. Ich sehe also keinen Widerspruch darin, für eine kohärente revolutionäre Politik zu argumentieren und sich mit jedem zu organisieren mit dem man alltäglich zusammenarbeitet, ob der andere nun koschere, vegane oder getoastete Sandwiches isst.
Nochmal zur Organisationsfrage: Meinst du, Leute wie wir, die wir libertäre Revolutionäre oder Anarchisten sind, sollten uns als solche – als Anarchisten – organisieren, oder besser mit unseren KollegInnen am Arbeitsplatz?
In deprimierenden Zeiten wie heute sollten sich die Leute, die eine politische Analyse teilen, zusammentun und sich gegenseitig unterstützen. Sie sollten sich in den Arm nehmen und ihre Biergläser vollheulen. Manchmal kann es nutzbringend für sie sein, z.B. bei Öffentlichkeitsprojekten zu kooperieren oder sich auf die Weise zu organisieren, die der anderen Art von Gruppierung, den im Alltag verankerten Gruppen hilft. Denn das sind die einzigen Strukturen, die die Gesellschaft verändern können. Und sich als Anarchisten zu organisieren bedeutet ja zumeist, zu irgendeinem beknackten Treffen zu gehen bevor man in die Kneipe gehen kann. Ich denke, die Welt wäre ein besserer Ort, wenn es solche Treffen nicht gäbe und GenossInnen, die miteinander rumhängen wollen eine bessere Entschuldigung dafür finden. Bingo-Nächte, oder Kino-Touren, oder sonst was.
Mit den Alltagsgruppen stellt sich die Frage, ob sie sich in eine reformistische, sektiererische oder, sagen wir mal, betriebsbornierte Richtung entwickeln. Bei einer Gruppe wie MWR, wenn sich da ein oder zwei große Belegschaften „anschließen“ würden, wie würdest du verhindern, dass die Radikalität des MWR verwässert wird?
Wenn sich ArbeiterInnen anderer Filialen MWR anschlossen, so behinderte das doch nicht die ursprüngliche Gruppe, weiterhin ihre Gedanken zu veröffentlichen. Das Problem entstand nur, weil wir gegen Ende hin versucht haben, eine zentralisierte Struktur daraus zu machen. Damit werden die Dinge viel komplizierter. Wenn du dich auf irgendetwas konzentrieren willst, das über die Ziele und Prinzipien hinausgeht, dann brauchst du einen Konsens, und das ist verdammt schwer. Und wir hatten [diese] Probleme. Als z.B. der Irak-Krieg anfing, waren wir dafür, dass die Organisation zu direkter Aktion am Tag X aufrufen sollte. Da gab es aber einen Typen bei uns, der auch Soldat war (ein verdammt guter Grund, gegen die Krieg zu sein, wenn du mich fragst) und mit anderen zusammen gegen diese Idee argumentierte – am Ende stimmten wir darüber ab, oder machten einen ähnlichen Mist. Aber ernsthaft, wir hätten unseren Gedankengang einfach darlegen und abwarten können, wie andere Gruppen und Einzelpersonen darauf reagierten. Ich werde wohl nie zum Anarchosyndikalisten, oder?
Was war deiner Meinung nach das wichtigste, was sich mit MWR gezeigt hat?
MWR demonstrierte den McDonald's-ArbeiterInnen und denen ähnlicher Ketten wichtige Dinge. Da dieses Interview aber mit Libcom läuft, liegt wohl das Hauptinteresse auf der Frage, was Revolutionäre daraus lernen können.
Nun, wir haben immer versucht, ein Publikum radikaler ArbeiterInnen zu erreichen - dabei waren wir auch ziemlich erfolgreich. Uns erreichten Mails von Post-ArbeiterInnen aus dem Ausland, die Kämpfe bei der britischen Post auf unserer Internet-Seite verfolgt haben; wir hatten Berichte von Streikenden; und hatten Streikende, die Texte von unserer Site auf Streikposten verteilt haben, etc. ...
'tschuldigung, mir war nicht klar, dass sich „Arbeiter“ und „Revolutionär“ als Kategorien ausschließen! Alle Macht deiner Kommune, Genosse. (lacht) Was ich meine ist, dass die Fragen und die Art meiner Antworten ein besonderes Publikum voraussetzen [besser: vorstellen]. Wenn das hier irgendjemanden interessiert, und das ist reichlich zweifelhaft, so werden das doch Leute sein, die sich explizit der Notwendigkeit bewusst sind, dass die Wirtschaft transformiert werden muss. Revolutionäre ArbeiterInnen. Ich bezweifle nicht, dass viele andere Artikel auf eurer Seite auch von ArbeiterInnen gelesen werden, die diese Ideen nicht teilen. Aber irgendeine Jugendliche, die bei McDonald’s jobbt, wird sich höchstwahrscheinlich einen Scheiß darum scheren, mit welchen anarchosyndikalistischen Gruppen wir zusammengearbeitet haben oder wie irgendwelche Tierrechtsdeppen reagiert haben. Vielleicht wird sich Libcom eines Tages von der anarchistischen Bewegung befreien und sich nicht länger in diesem Zusammenhang definieren müssen. Das scheint mir sehr viel spannender als MWR! Kann ich dich irgendwann mal interviewen?
Meiner Meinung nach hast du wichtige Punkte angesprochen. Mit "Publikum" meinte ich einfach ArbeiterInnen, die allgemein angekotzt sind davon, wie die Dinge stehen – also nicht notwendigerweise überzeugte Anarchisten. Aber bei wem das dann auf Interesse stößt, da muss ich dir wohl Recht geben. Du kannst uns gerne interviewen, aber ich glaube, das interessiert dann noch weniger Leute ...
Revolution scheint eine sehr vertrackte Angelegenheit zu sein. Einige Sachen sind aber immerhin ziemlich klar: Die Machtbeziehungen, die wir ändern wollen, liegen nicht in Händen der Regierungen oder "auf der Straße", sondern sind verstreut in der Gesellschaft, in wirtschaftlichen und sozialen Beziehungen. Die Transformation ökonomischer Beziehungen wird effektive selbstorganisierte Strukturen der Arbeiterklasse in der Wirtschaft erfordern; diese Strukturen bewähren sich in der Verteidigung der Interessen der ArbeiterInnen, schaffen so Vertrauen und versetzen die Arbeiterklasse vielleicht in die Lage, kollektiv zu produzieren und zu verteilen. Der Gedanke, dass diese Strukturen "spontan erstehen" werden, ist hohl.
Nun, ich sehe auch ein, dass diese Strukturen nur in gewissen Zeiten vorankommen und zu anderen Zeiten in der Defensive sein werden. Und ich weiß nicht, welche Form diese Strukturen annehmen werden oder sollten. Vielleicht sollten sie formell konstituierte Gewerkschaften sein (meiner Meinung nach sehr unwahrscheinlich), oder auch so informell wie eine Gruppe von KollegInnen (ein Team, wenn du so willst), in der sich in vorhergehenden Kämpfen Solidarität entwickelt hat. Auf jeden Fall aber muss es Strukturen geben, right? Daher muss es die große, unausweichliche, unaufschiebbare Aufgabe eines jeden sein, der über Revolution reden will, herauszufinden wie wir solche Strukturen aufbauen können. Und ich habe den Eindruck, dass diese Frage – die Frage, die uns nachts wach halten sollte – weniger Aufmerksamkeit erfährt als Diskussionen darüber, wie man Polizeiketten durchbricht, oder was in der Sowjetunion geschah, oder wer wen auf einer anarchosyndikalistischen Konferenz im Jahre 1952 brüskiert hat. Es scheint, dass wir über alles reden würden, nur um dieses Monument für die Bedeutungslosigkeit unserer Politik/Aktivität zu meiden.
Und ich habe keine Ahnung, wie wir diese Strukturen aufbauen, da habe ich eigentlich kaum Hoffnung. Ich habe die letzten Jahre im Transportsektor gearbeitet und bin dann irgendwann ausgestiegen, ich wollte kaum mit meinen KollegInnen sprechen, geschweige denn mit ihnen auf die Barrikaden gehen. Ich weiß es wirklich nicht. Aber wenn es mal einen richtigen Enthusiasmus geben würde, das kollektiv rauszufinden, dann wäre ich gern ein Teil davon.
Die Bedeutung von MWR ... es war ebenso wichtig wie jedes andere Experiment, das den Klassenkampf in der zeitgenössischen Gesellschaft für kurze Zeit erleichtern konnte. In den letzten Jahren hat es viele ähnliche und viel bedeutendere Kämpfe [outbreaks of struggle] gegeben. An wichtigeren Bewegungen fallen mir spontan ein: die JJ Food-ArbeiterInnen, wilde Streiks der Post-ArbeiterInnen [z.B. im Februar 2006 in Belfast], die Kurier-Gewerkschaft, die Gewerkschaft der Sex-ArbeiterInnen, das KollegInnen-Kollektiv in der U-Bahn, etc. All diese Bewegungen, Kämpfe, Strukturen (inkl. MWR) verdienen Beachtung, wenn wir versuchen, den kollektiven Kampf zur Normalität unter ArbeiterInnen zu machen. Ich meine, deswegen habt ihr euch doch die Zeit genommen, all diese Fragen zu stellen, oder?
Hast du irgendeine Lieblingsgeschichte oder Anekdote, die mit MWR zu tun hat?
Es gab viele sehr lustige Sachen, da werd ich gleich ganz nostalgisch. An das Treffen in London kann ich mich ganz gut erinnern, da hab ich vorhin schon drauf angespielt. Das war 2002, ich war zu einer Gruppe von ArbeiterInnen eingeladen und all die Theorie von sozialem Wandel schien damals etwas wirklicher zu werden. Dass wir, als ArbeiterInnen verschiedener "Rassen" und Nationalitäten, in der Lage waren, uns einfach so zu treffen und zu debattieren, sehr kritisch – aber eben ausgehend von der Prämisse, dass wir als ArbeiterInnen die Dinge ändern müssen; und das war schon was besonderes. Und man war geneigt zu glauben, “Ja, das können wir schaffen!” Das klingt ziemlich blöd, nicht wahr?
Ja, ich meinte etwas lustiges.
Ach, du hättest da sein müssen. Die Happy-Meal-Spielsachen waren recht witzig, es muss Widerstand in China gegeben haben, da bin ich mir sicher. Da gab es eine Figur, die nach Beschwerden aus dem Verkehr gezogen wurde. Niemand weiß mehr, was es darstellen sollte; ich meine, es war einfach eine verdammt große Erektion, und zwar pink und irgendwie geädert. Es hatte einen Helm und alles. Und die KundInnen brachten dieses Ding zurück und sagten: "Das gebe ich meinem Kind nicht, ihr kranken Bastards." Und dann gab es noch "Bongo, den Affen" und "Spunky, den Cocker Spaniel" ... Und dann gab es mal die "Furbies". Ein kleines chinesisches Mädchen bekam so ein Furbie in die Hand. Furbies sollten angeblich "Furbisch" sprechen, also irgendwelches Kauderwelsch. Aber dieses sprach Mandarin und sagte: "Bastard, du sollst tot umfallen. Bastard, du sollst tot umfallen."
Äh, ich glaube, so wird's wohl kommen. Was machen die Ex-MWR-Leute heute?
Unglücklicherweise geht die Zeit ins Land und die Leute ziehen weg und man beginnt, den Kontakt zu verlieren. Aber so weit ich weiß, lebt niemand in Mailand und vögelt ein Supermodel, oder so. Ein Typ, der am Anfang ein wenig bei uns dabei war, hat weitergemacht und hat eine sehr erfolgreiche Karriere in der Managementstruktur vor sich und ich freue mich sagen zu können, dass wir immer noch Freunde sind.
Nach bestem Wissen und Gewissen kann ich aber sagen, dass sich niemand der mit MWR zu tun hatte, in unserer Gruppe oder einer anderen, heute mit radikaler Politik befasst.
Zum Schluss: Isst du eigentlich manchmal bei McDonald's?
Nein! Verdammt, nie! Aber das hat eher persönliche als politische Gründe. Nach sieben Jahren bei McDonald's muss ich schon allein vom Geruch kotzen. Wir haben – abgesehen von den Coca-Cola-Produkten – nie zum Boykott aufgerufen. Ich habe nicht eine besondere Wut auf die Firma, oder so. Aber das Essen riecht verdammt eklig, findest du nicht?
Im Schlusssatz sollte man aber doch einen besseren Punkt machen ...
Der Kampf muss in der Höhle des Löwen geführt werden.
Yeah, Leute, kämpft!
Anregende Worte. Danke, Funnywump.
Das Interview wurde von John Stevens im November 2006 geführt. Englischer Originaltext unter libcom.org.