Merkels Little Guantanamo

Das Gipfelspektakel ist vorbei. Tausende von gut gelaunten und entschlossenen AktivistInnen sind auf dem Rückweg in ihre Städte in mehr als 30 Ländern. Sie haben zusammen zwei Tage lang den Gipfel erfolgreich eingesperrt und hinterlassen unter anderem eine reichlich demoralisierte 20.000-köpfige Bürgerkriegsarmee, die zu keinem Zeitpunkt in der Lage war, effektiv irgendwelche Sperrzonen oder Demonstrationsverbote durchzusetzen. Bei all der berechtigten Euphorie sollte aber nicht vergessen werden, dass im Windschatten des Gipfels das BRD-Regime eine Anzahl von Maßnahmen angewandt hat, die deutlich zeigen, mit welchem Arsenal es künftig gegen soziale Proteste auch abseits der Gipfel vorzugehen gedenkt. Die faktische Übernahme eines zivilen Krankenhauses durch die Bundeswehr scheint dabei fast noch das kleinere Problem.

Käfighaltung

Als die ersten der vielen hundert Festgenommenen die Gefangenensammelstellen verließen, fiel es zunächst schwer, ihren Schilderungen Glauben zu schenken. In den Hallen des Rostocker Siemens-Geländes, berichteten sie, habe die Polizei Metallkäfige aufgestellt, in die sie die Festgenommenen pferchte. Diese mussten teilweise tagelang auf dünnen Matten in den Käfigen ausharren, bekamen so gut wie keine Verpflegung, während man an ihnen durch Dauerbeleuchtung Schlafentzug ausprobierte. Ebenfalls Tag und Nacht liefen die Videoüberwachungskameras, mit denen die Schließer die inhaftierten Männer und Frauen beobachteten. Nur mit der Ausgabe der orangeroten Gefangenenbekleidung scheint irgend etwas nicht funktioniert zu haben. Aber das verwundert angesichts der auch ansonsten desolaten Fehlplanungen auf Seiten der Polizei nicht wirklich. Es wird sich zeigen, ob die Bundesregierung bei Merkels Little Guantanamo in Zukunft noch nachzulegen gedenkt.

Schutzhaft

Mehrere Dutzend DemonstrantInnen wurden von den willkürlichen Personenkontrollen an Camps und Bundesstraßen weg verhaftet und bis zum Ende des Gipfels ohne irgendeinen konkreten Anlass in Schutzhaft genommen. Die "Rechtsgrundlage" hierfür bildet ein entsprechendes Lex-G8 über die "Sicherungsverwahrung" im Lande Mecklenburg-Vorpommern. Ähnliche Gesetze hatten bereits der Kaiser und die Nazis gegen ihre Gegner zum Einsatz gebracht.

Sonderjustiz

Nach den Auseinandersetzungen während der Großdemonstration in Rostock, bei der es u.a. mehr als 400 verletzte Polizisten gegeben haben soll, von denen auf Nachfrage ein einziger stationär behandelt werden musste, hat die Justiz in Schnellgerichtsverfahren mindestens zehn DemonstrantInnen abgeurteilt. Diese Sondergerichtshöfe haben ihr Standardurteil - neun Monate ohne Bewährung - teilweise ohne die Anhörung eines einzigen Zeugen, ausschließlich auf Basis von per Fax eingegangenen Polizeiaussagen gefällt. Teilweise gab es noch nicht einmal klare Personenbeschreibungen oder nachprüfbare Orts- oder Zeitangaben. Der Mangel an Fakten wurde aber scheinbar mühelos durch das Übermaß an politischem Verurteilungswillen wettgemacht. Selbst wenn man weiß, dass die herrschende Justiz die Justiz der Herrschenden ist, kommen einem angesichts dieser Sondergerichtsbarkeit zwangsläufig üble historische Analogien in den Sinn.

Bundeswehreinsatz im Innern

Im Windschatten des G8-Gipfels durfte die Bundeswehr schon einmal üben, wie man nicht nur gegen die afghanische oder kosovarische, sondern auch gegen die eigene Zivilbevölkerung aufmarschiert. Rund um den Flughafen Rostock-Laage waren auf jeder Straßenbrücke gepanzerte Fahrzeuge des Heeres aufgefahren und bei vielen Aufmärschen der Polizei konnte man zwischen deren Einsatzfahrzeugen auch immer einmal wieder solche mit dem "Y"-Kennzeichen sehen. Demonstranten berichten außerdem, dass in dem bereits erwähnten Käfiglager ebenfalls Angehörige der Bundeswehr anwesend waren.

In Bad Doberan hatte die Bundeswehr das dortige zivile Krankenhaus quasi im Handstreich übernommen und unter Militärverwaltung gestellt. Dieser Fall von "zivilmilitärischer Zusammenarbeit" (so die Gemeinde) stellt ein Novum und damit gleichzeitig einen Testlauf in der Geschichte der BRD dar. Von einer Zusammenarbeit kann kaum eine Rede sein. Vielmehr handelt es sich um den Kniefall der zivilen Verwaltung vor dem Militär. So wurde beispielsweise das Hausrecht an die Bundeswehr übertragen, weshalb die Einrichtung durch Feldjäger der Bundeswehr gesichert wurde. Verletzte DemonstrantInnen und deren BegleiterInnen konnten sich im Gebäude, bis hin zu Toilettengängen, nur in Begleitung von bewaffneten Feldjägern bewegen, ihnen wurde untersagt die Toiletten abzuschließen. Im Krankenhaus konnten sich Polizisten in Kampfmontur (selbstverständlich ohne Feldjäger-Begleitung) demonstrativ selbst noch in den Krankenzimmern verletzter GipfelgegnerInnen frei bewegen. Es dürfte eine ziemlich einmalige Situation sein, dass eine medizinische Einrichtung, die eigentlich der Behandlung und dem Schutz ihrer PatientInnen verpflichtet ist, in Bad Doberan in ein feindliches Gebiet verwandelt wurde, wo die teilweise traumatisierten PatientInnen, die durch brutale Polizeieinsätze z.B. das Gehör verloren hatten, ständig weiter mit den Tätern konfrontiert wurden. Man darf darauf gespannt sein, wie die Krankenhausverwaltung gedenkt, diese faktische Machtübernahme durch das Militär zu legitimieren. Der Krankenhausträger hatte sich bereits im Vorfeld nicht entblödet, den Beschäftigten einen "feierlichen Appell" zusammen mit der Bundeswehr aufzunötigen.