Libertärer 1. Mai in Paris

Paristourismus einmal anders. Knapp 30 FAUistas aus verschiedenen Städten und Syndikaten beteiligten sich im Zuge ihrer Teilnahme an der internationalen Solidaritätskonferenz i07 an der Maidemonstration in der französischen Hauptstadt. Dort fand am 1. Mai eine der größten libertären Demonstrationen in Frankreich seit mehreren Jahren statt. Schätzungsweise 3.500 bis 4.000 Menschen zogen bei strahlendem Sonnenschein vom Place des Fêtes zum Place de la République, um sich dort in die allgemeine Mai-Demonstration einzureihen.

Nicht nur der 1. Mai in Berlin hat seine "Traditionen"; auch in der französischen Hauptstadt gibt es so etwas. Dazu gehört seit mehreren Jahren das "Cortège Libertaire", die eigenständige Demonstration des anarcho-syndikalistischen und anarchistischen Paris. Diese Demonstration beginnt immer am Place des Fêtes, im 19. Arrondissement, dem Paris der Commune von 1871, unweit des Friedhofs von Père Lachaise, wo die letzten KommunardInnen kämpften und an der "Mur dés Fédéres" hingerichtet wurden und wo sich die Ruhestätten z.B. von Nestor Machno und Eugène Potier, dem Komponisten der "Internationale" befinden. Von dort geht der Zug stets durch die ArbeiterInnen- und MigrantenInnenviertel des 10. Arrondissement bis zum Place de la République, wo sich meistens ein Teil der Demonstration in die "große Mai-Demonstration" einreiht.

Dieser Mai 2007 war für viele eine Überraschung. Während im letzten Jahr lediglich rund 1.000 Leute den Aufrufen der verschiedenen Gruppen und Organisationen (z.B. CNT-F, Fédération Anarchiste, Alternative Libertaire, SCALP) gefolgt waren, schwoll die Menge dieses Jahr auf die Länge mehrerer Straßenblocks an. Die Polizei meldete 2.000 TeilnehmerInnen, die Gruppen mit der "optimistischen Zählweise" bis zu 8.000, die tatsächliche Zahl dürfte nach unseren Beobachtungen irgendwo in der Mitte, bei 3.500 bis 4.500 gelegen haben. Die Spitze des Zuges bildete die anarcho-syndikalistische "Conféderation National du Travail", zwischen deren vier Lautsprecherwagen sich rund 1.500 SyndikalistInnen eingefunden hatten. Dieser Block gab der Demo zugleich ein sehr internationales Gepräge, denn im lautstarken Zug befanden sich auch mehr als 200 GewerkschafterInnen aus mehr als 30 Ländern, die in Paris an der zeitgleich stattfindenden "Internationalen Solidaritätskonferenz" (i07) teilgenommen hatten. Die Konferenz war die dritte und bislang größte ihrer Art, nach dem i99 in San Francisco und dem von der FAU organisierten i2002 in Essen.

Im weiteren Verlauf des "Cortège Libertaire" folgten Blocks der "Fédération Anarchiste", von "Alternative Libertaire", ein Motivwagen der Antifas von SCALP im Star Wars Design und viele andere Gruppen und Unorganisierte.

Die Stimmung auf der libertären 1. Mai-Demo in Paris ist traditionell meistens sehr gut, auch die Parolen enthalten viel weniger Nabelschau als auf vielen "revolutionären" Demos in der BRD. Das liegt vermutlich daran, dass sich die wenigsten Libertären in Frankreich vornehmlich als Teil von Subkulturen begreifen sondern in der Regel die Gesellschaft und deren Veränderung im Blickfeld haben. Gängige Parolen waren z.B. "Qui sème la misère recolte la colère - revolution sociale et libertaire" (Wer das Elend säht, wird die Wut ernten - soziale und libertäre Revolution), "Ni etat, ni patron - autogestion" (Kein Staat, kein Boss - Selbstverwaltung) sowie eine gesunge Parole, die mittlerweile bereits so etwas wie ein "Gassenhauer" ist: "Tout est à nous, rien est à eux, tout ce qu’ils ont, ils nous l’ont volé. Partage des richesses, partage du temps d’travail, Ou alors ça va pêter, ça va pêter!" (Alles gehört uns, ihnen gehört nichts, was sie haben, haben sie uns geklaut. Umverteilung des Reichtums, Umverteilung der Arbeitszeiten - sonst knallt es). Neben diesen und anderen französischen Parolen gab es dieses Mal, bedingt durch die vielen internationalen TeilnehmerInnen, auch jede Menge Parolen- und Liedgut in Spanisch, Deutsch, Schwedisch, Englisch, Italienisch, Russisch, Wolof, Esperanto und manch anderer Sprache zu hören.

Die libertäre Demo trifft dann immer am Place de la République auf die "große Maidemonstration". Während für viele TeilnehmerInnen die Demo damit zu Ende ist, reklamiert die CNT-F seit Jahren für sich das Recht, in der Spitze der Maidemonstration mitzugehen, die von den Gewerkschaften gebildet wird, während im weiteren Verlauf die Dutzenden von politischen Parteien aus aller Herren und Frauen Ländern sowie die sozialen Gruppen folgen. Was selbstverständlich erscheint, das Recht der Gewerkschaft CNT-F im Gewerkschaftsteil der Demo mitzulaufen, führte in den letzten Jahren leider immer wieder zu heftigen Auseinandersetzungen. Bereits mehrfach hat der mehrere hundert Mann starke Ordnerdienst der Gewerkschaft CGT in den vergangenen Jahren versucht, die stärker werdende anarcho-syndikalistische "Konkurrenz" aus der Demonstration zu prügeln, gelungen ist ihm das nie, aber es gab leider auch schon einmal Schwerverletzte bei diesen idiotischen Manövern. Dieses Jahr blieb jedoch glücklicher Weise alles ruhig und die CNT-F sortierte sich nach zwei Stunden Wartezeit unter sengender Sonne hinter den GewerkschafterInnen der SUD in Demo ein. Während des zweiten Teils der Demo, der noch einmal mehrere Stunden lang bis zum "Place de la Nation" zog, gab es immer wieder Berichte von anderen Maidemonstrationen, so konnte man beispielsweise erfahren, dass in Stockholm eine Demonstration der schwedischen syndikalistischen Gewerkschaft SAC mit mehr als 3.000 TeilnehmerInnen von einer bizarren Armee von 4.000 Polizisten begleitet wurde (ein Drittel dessen, was der schwedische Staat an Polizei aufzubieten hat) und dass es dabei mehrfach Angriffe von berittener Polizei auf die Demo gegeben hat.

Und zu guter Letzt: Wir schätzen Eugène Potier und seine "Internationale" sehr - er kann ja nichts dafür, dass die offizielle deutsche Textfassung eine üble sozialdemokratische Verdrehung des Originaltextes ist - aber warum zum Teufel ist ihm die Textzeile mit der Sonn', die ohne Unterlass scheint eingefallen? Einen Vorgeschmack auf die drohende Konsequenz, dass nämlich der (libertäre) Kommunismus in Sonnenbrand und Hautkrebs ausarten könnte, gab es in Paris. Sechs Stunden demonstrieren in knallender Sonne können bei allem Spass eine echte Tortur sein!


Bilder aus Paris:

Paris i07
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Paris 5