Levallois-Perret: Vertreibung und Widerstand
Grassierende Wohnungsnot, Obdachlosigkeit und die Vernichtung von preiswertem Wohnraum sind in Frankreich nicht erst Thema, seit Obdachlose und UnterstützerInnen medienwirksam Zelte an den Ufern der Seine aufgebaut haben. Mehr als 2 Millionen Wohnungen stehen derzeit in Frankreich leer, während gleichzeitig die Mieten in immer astronomischere Höhen steigen und 3 Millionen Menschen einen würdigen Wohnraum suchen. So auch in Levallois-Perret, vor den Toren von Paris, wo eine Stadtverwaltung unter der Fuchtel eines streng rechten Bürgermeisters Wohnungslose drangsaliert.
Levallois-Perret ist ein Ort von rund 60.000 Einwohnern im Department Hauts-de-Seine. Bekannt ist die Stadt, in der einst die Anarchistin Louise Michel lebte, im Wesentlichen dafür, dass sich dort der Hauptsitz des ALSTOM-Konzerns befindet und für seinen Bürgermeister Patrick Balkany. Letzterer ist ein strenger Rechter, der in Levallois als erster französischer Stadt eine öffentliche Video-Überwachung installieren ließ. Mit dem Gesetz nimmt er es selbst nicht so genau. Dafür, dass er drei kommunale Angestellte jahrelang ausschließlich für seine privaten Immobilien arbeiten ließ, wurde er zu 15 Monaten Haft auf Bewährung und zur Rückzahlung von mehreren hunderttausend Euro verurteilt. Gleichzeitig wurde ihm für zwei Jahre das passive Wahlrecht entzogen.
Wenn es nicht gerade um die Rechtsverstöße des eigenen Bürgermeisters geht, versteht die Verwaltung in Levallois allerdings sehr viel weniger Spass. So ließ sie beispielsweise am 15. November 2006 siebzehn Menschen, darunter Kinder und Jugendliche aus ihren Wohnungen, die sich im Besitz der Stadt befinden, vertreiben. Als Grund wurde der schlechte bauliche Zustand der Wohnungen angegeben. Für einen angemessenen Ersatzwohnraum sorgte die Stadt nicht. Ein Teil der Leute jetzt auf der Strasse, in Pensionen oder in unzumutbaren Bruchbuden. Und das, obwohl es in Levallois viele leerstehende brauchbare Wohnungen gibt.
Als Antwort auf die Vertreibungen organisierten sich Jugendliche aus Levallois im «Mouvement Solidaire pour le Logement» (Solidarische Bewegung für Wohnraum). Etliche
Demonstrationen wurden organisiert, an denen sich u.a. auch das Syndicat Interco Paris-Nord der CNT-AIT beteiligte. Andere Leute, die das Wohnungsproblem kennen, schlossen sich der Bewegung die ganze Zeit lang an. Doch die Stadt stellte sich taub.
Schlimmer, sie bediente sich der Zensur und Bedrohung, um die Sache zu ersticken: Weblogs, die über den Kampf berichteten, wurden unterdrückt. Die Stadt forderte die vertriebenen Familien auf, nicht mehr zu den Demonstrationen zu kommen. Und schließlich steht einer der Jugendlichen des Kollektivs permanent unter der Beobachtung der Polizei, wird ständig von einem Polizisten verfolgt, der schon am Ausgang des Hauses wartet, wenn er es verlässt!
Bislang ist er der Stadtverwaltung allerdings damit nicht gelungen, die Entmieteten und ihre UnterstützerInnen zu entmutigen. Diese haben u.a. für den 10. März zu einer weiteren Kundgebung vor dem Rathaus von Levallois aufgerufen. Sie werden dort neben einem Ende der Zwangsräumungen und einem würdigen Wohnraum für alle BesetzerInnen, Obdachlosen und MieterInnen von Bruchbuden auch fordern, dass die Stadt endlich die gesetzlich vorgeschriebenen 20 Prozent Sozialwohnungsbau realisiert. Mit Leerstand und Wohnungsbesetzungen kennt man sich übrigens auch in der Partnerstadt von Levallois-Perret aus: Schließlich war der Berliner Bezirk Schöneberg Anfang der 80er Jahre ein Besetzer-Hochburg.
Protestschreiben
Das Internationale Sekretariat der FAU-IAA hat auf Wunsch des Syndicat Interco Paris-Nord der CNT-AIT den Bezirksbürgermeister, die Stadträtinnen und Stadträte, die Bezirksverordnetenversammlung und die BVV-Fraktion Bündnis90/Grüne von Tempelhof-Schöneberg am 22.Februar über die Vorgänge in ihrer Partnerstadt informiert und eine Stellungnahme erbeten, ob sie auf die Stadtverwaltung und den Bürgermeister von Levallois einwirken kann, ihr Vorgehen gegen die Menschen sowie das "Mouvement Solidaire pour le Logement" einzustellen und ihre Forderungen zu erfüllen. Zugleich hat es ein Protestschreiben an die zuständigen Stellen in Levallois geschickt.
Ihr könnt eigene Protestschreiben direkt auf der Seite der Stadt in die Maske (Eure E-Mail, Betreff und dann der Text] eingeben und abschicken:
http://www.ville-levallois.fr/eQ_contact1.php3
Oder per Brief an:
Hôtel de Ville
Place de la République
F-92300 Levallois.
Französischer Mustertext:
À Monsieur le Maire Patrick Balkany,
à l'Administration Municipale de Levallois-Perret
Nous avons appris que vous avez expulsé dix-sept personnes, dont des enfants et des jeunes, le mercredi 15 novembre 2006, de leurs logements. Comme raison vous avez invoqué le mauvais état des logements - qui appartiennent à la ville. Vous avez omis d'obtenir le relogement des ayants droit. Une partie de ces personnes vit maintenant sur la route, dans des pensions ou dans des taudis. Et cela, bien qu'il y ait beaucoup de logements utiles vides dans Levallois. Il ne l'ont pas choisi. Il ne veulent pas être en marge de la société. Au lieu de cela, vous essayez de supprimer les comptes rendus, "blogs", etc. et de réprimer le mouvement qui s'en prend à vos mesures. Nous vous demandons de, satisfaire aux exigences du "Mouvement Solidaire pour le Logement", mettre fin aux expulsions, tout mettre en uvre afin d'arriver à obtenir un logement digne pour tous, réaliser le 20% à la construction de logements sociaux prescrit juridiquement ainsi que de mettre à disposition immédiate des logements appropriés pour tous!
Deutsche Übersetzung:
An den Bürgermeister Patrick Balkany,
An die Stadtverwaltung Levallois-Perret
Wir haben erfahren, dass Sie am 15. November 2006 siebzehn Menschen, darunter Kinder und Jugendliche, aus ihren Wohnungen vertrieben haben. Als Grund haben Sie den schlechten baulichen Zustand der Wohnungen, die der Stadt gehören, angegeben. Dabei haben Sie es versäumt, den Menschen angemessenen Ersatzwohnraum zu besorgen. Ein Teil der Leute lebt jetzt auf der Strasse, in Pensionen oder in unzumutbaren Behausungen. Und das, obwohl es in Levallois viele leerstehende brauchbare Wohnungen gibt. Stattdessen versuchen Sie, die Berichterstattung und die Bewegung, die sich gegen Ihre Maßnahmen wendet, zu unterdrücken. Wir fordern Sie auf, die Forderungen des "Mouvement Solidaire pour le Logement" für ein Ende der Zwangsräumungen, für einen würdigen Wohnraum für alle betroffenen Menschen und für die Realisierung der gesetzlich vorgeschriebenen 20 Prozent Sozialwohnungsbau sowie die sofortige Bereitstellung angemessenen Wohnraums für die siebzehn vertriebenen Menschen zu erfüllen!
Antwortschreiben des Bürgermeisters von Levallois, Patrick Balkany, an die FAU (26.02.2007):
Sehr geehrte Damen und Herren,
Sie haben mir infolge der Räumung eines gesundheitsgefährdenden Gebäudes (76 rue Jean Jaurès in Levallois) Ihr Mißfallen mitgeteilt, indem Sie mir vorwerfen, die "Zwangsräumung der Bewohner" eines Gebäudes durchgeführt zu haben, "das der Stadt gehört", ohne für "die
Umquartierung der anspruchsberechtigten Personen gesorgt" zu haben. Ich habe Ihren Protest sehr wohl zur Kenntnis genommen, der offensichtlich in ganz Deutschland durch das Netzwerk der FAU verbreitet wurde.
Allerdings muß ich Sie darauf hinweisen, daß die aufgeführten Sachverhalte in allen Punkten unzutreffend sind.
Zuallererst hat die Stadt Levallois keinesfalls die Zwangsräumung der Bewohner dieses Gebäudes durchgeführt. In Frankreich sind nämlich nicht die Gemeinden dafür zuständig, derartige Beschlüsse zu treffen. Der Räumungsbefehl wurde vom Präfekten von Hauts-de-Seine aufgrund von Berichten über gesundheitsgefährdende Zustände erteilt, die das reale Risiko eines Einsturzes des gesamten oder eines Teils des Gebäudes - und damit eine Gefahr für das Leben seiner Bewohner - ergaben: Schließlich ist ein großer Teil des Fußbodens bereits eingestürzt. Die Räumung wurde von der Präfektur beschlossen und durchgeführt, da das Gebäude zu einer Gefahr für die Bewohner geworden war.
Außerdem gehört das Gebäude nicht der Stadt Levallois, sondern einer privaten Eigentümergemeinschaft, die dieses Gebäude seit vielen Jahren nicht mehr instandhielt. Die Stadtwerke von Levallois sowie unser Amt für Hygiene und öffentliche Gesundheit haben gegenüber den Eigentümern entsprechende Maßnahmen verfügt, denen diese nicht Folge leisten wollten. Angesichts der verfahrenen Situation und der Gefahr für die Bewohner des Gebäudes wurde ein Verfahren wegen Gesundheitsgefährdung eingeleitet, das mit der Räumung am 15. November lediglich seinen gesetzlichen Abschluß fand. Dieses Privatgebäude wurde also im Ergebnis eines langen Verfahrens geräumt, um ein gesundheitsgefährdendes Drama der Art zu verhindern, wie es die letzten Jahre mehrfach in Paris vorkam.
Dagegen ist es sehr wohl die Stadt Levallois, die für die Sanierung des Gebäudes (oder seinen Wiederaufbau, wenn es zu beschädigt ist) sorgt, woraufhin es in Sozialwohnungen umgewandelt wird.
Sie werfen mir gleichermaßen vor, die anspruchsberechtigten Personen nicht umquartiert zu haben. Mit Ausnahme einer Familie, die über einen Mietvertrag verfügt, hat die Gesamtheit der Bewohner des Gebäudes (alles Erwachsene) keinerlei entsprechende Berechtigung oder Anspruch. Wie es das Gesetz vorsieht, wurde die Familie mit dem Mietvertrag umgehend
durch die Sozialbehörde der Stadt und des Departements versorgt und ihr dann mehrere Vorschläge zur Umquartierung gemacht. Ich bin froh, Sie darauf hinzuweisen, daß ihre Unterbringung - in einer angemessenen und ihren Erwartungen entsprechenden Wohnung - nunmehr vollzogen ist. Die "anspruchsberechtigten Personen" sind also gut untergebracht worden.
Ich muß zugeben, von dem Absatz überrascht zu sein, der mir erklärt, daß "es in Levallois viele leerstehende brauchbare Wohnungen gibt" ...
Dies beweist eine völlige Unkenntnis unserer Stadt, deren Wohnungsmarkt vollkommen leergefegt ist (sowohl bei den Sozialwohnungen als auch bei den Wohnungen, die Privateigentümern gehören), in der die Nachfrage nach Mietwohnungen das Angebot übertrifft! Es ist daher schwierig für mich, "allen sofort Wohnraum zur Verfügung zu stellen", was ein hochachtbares- und unter bestimmten Bedingungen zweifellos realisierbares - Vorhaben ist, aber in Levallois an die Grenzen stößt ... der prinzipiellen Realität: Aufgrund der für Frankreich höchsten Bevölkerungsdichte pro km2 (25.000 Einwohner/km2 in Levallois) ist es schwierig für mich, alle Fragen zu beantworten, die mir in dieser Hinsicht gestellt werden. Seien Sie dennoch versichert, daß wir diesbezüglich Anstrengungen unternehmen:
Unsere Stadt weist aktuell 18,5% Sozialwohnungen auf und wird die hier vorgeschriebenen 20% etwas überschreiten, wenn die in den letzten Jahren in Gang gebrachten zahlreichen Bauprogramme in den nächsten Monaten abgeschlossen werden.
Schließlich beschuldigen Sie mich, die im Web kursierenden Berichte sowie die Blogs zu sabotieren, die dieser Räumung gewidmet sind: Ich verstehe den Sinn dieses Vorwurfs nicht ganz, nachdem weder ich noch meine Mitarbeiter vermittels des Internets in dieses Thema eingegriffen haben ...
Meine Damen und Herren, seien Sie meiner vorzüglichen Hochachtung versichert.
Patrick Balkany
Abgeordneter von Hauts-de-Seine
Bürgermeister von Levallois
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