Erneuter Streik in Brüssel: kurz, wild, erfolgreich!

Zweite Aktualisierung zum Streik der Volkswagen-Belegschaft in Brüssel

Am Mittwoch Abend gegen 21.00Uhr legte ein Teil der Belegschaft von Volkswagen Brüssel-Forest erneut die Arbeit nieder. Den mündlichen Zusagen des Volkswagen-Konzerns für ein neues Audi-Modell ab 2009 schenkten die ArbeiterInnen kein Vertrauen und forderten nach einer Personalversammlung schriftliche Garantien. Zudem sind sie über die Verzögerungen seitens Volkswagen bei den Verhandlungen über die Höhe der Abfindungen verärgert.
Auch Donnerstag und Freitag blieben die Werkstore blockiert, die Produktion ruhte. Die Auffassung des Werkleiters, ein neuer Streik gefährde den Standort, beeinflusste die Streikenden nicht. Nach der schriftlichen Zusage der Unternehmensleitung am Wochenende erklärten die ArbeiterInnen den dreitägigen wilden Streik für beendet.

Der kurze und erfolgreiche Arbeitskampf wurde von den ArbeiterInnen, nicht von einer der drei Gewerkschaften initiiert und geführt. Auch nach der Niederlage des letzten siebenwöchigen Streiks verlor die traditionell kämpferische Belegschaft nicht ihre Entschlossenheit.

-----------------------Informationen zum Ende des ersten Streiks--------------------------------------------

Nach sieben Wochen des Streiks nahmen die ArbeiterInnen am Montag, dem 08.01.07, die Arbeit wieder auf. Knapp über die Hälfte der Belegschaft stimmte gegen eine Fortsetzung des Streiks und damit für das Verhandlungsergebnis zwischen dem Betriebsrat und Volkswagen.

Der erzielte Kompromiss sieht vor, MitarbeiterInnen im Alter von 51 und mehr Jahren in die Altersteilzeit und damit aus dem Unternehmen zu schicken und die noch zu reduzierende Zahl der verbliebenen ArbeiterInnen mit Abfindungen zu entlassen. Damit trennt sich Volkswagen in Einvernehmen mit den Gewerkschaften von mindestens 3200 seiner Arbeitskräfte.

Der Streik der Belegschaft bewirkte offiziell die Sicherung der Golfproduktion für das laufende Jahr. Das sichert lediglich 1000 Arbeitsplätze in zwei Schichten im direkten Bereich, insgesamt arbeiten dann noch ca. 2000 Menschen im Volkswagen-Werk Vorst.
Faktisch hat der Betriebsrat den vor Beginn des Streiks aufgestellten Forderungen des Unternehmens zugestimmt: die Golf-Produktion wird Ende 2007 beendet und das Personal
dementsprechend reduziert. Die Zusage eines neuen Modells im Jahre 2009 soll für die Einstellung weiterer 1000 MitarbeiterInnen sorgen, was für die Entlassenen und deren Familien heute kein Trost ist.

Die kämpferische Minderheit von 46% der Belegschaft nahm dieses lächerliche Ergebnis eines vielversprechenden Streiks zähneknirschend zu Kenntnis, die geladene Stimmung vor den Werkstoren eskalierte aber nicht.

-----------------------Informationen zum siebenwöchigen Streik----------------------------------------------

Die von der Entlassung betroffenen Arbeiterinnen und Arbeiter des Volkswagen Werkes Vorst in Brüssel wurden von ca. 30.000 Menschen aus nahezu allen Teilen Europas unterstützt. Die äußerst dynamische Demonstration am Samstag, dem 2. Dezember, führte Unternehmensleitung und Gewerkschaftsfunktionären vor Augen, dass sich die Menschen gegen die massiven Angriffe auf ihre Arbeitsbedingungen zur Wehr setzen.

An der Demonstration beteiligten sich die im VW-Werk vertetenden Gewerkschaften, wovon die christliche CSC (Confédération des Syndicats chrétiens) gegenüber der sozialistischen FGTB (Fédération générale des Travailleurs de Belgique) und der liberalen CGSLB (Centrale générale des Syndicats Libéraux de Belgique) die meisten Mitglieder aufweist. Darüber hinaus unterstützten MetallerInnen aus allen Ländern, unabhängige Betriebsgruppen aus Volkswagen-Werken, Zulieferbetrieben und anderen Automobilisten, und linke organisierte Gruppen den Kampf der Volkswagen-Belegschaft.

Etliche Feuerwerkskörper, laute Sprechchöre, Pfiffe und Sirenen begleiten den riesigen Demonstrationszug, der vom Süd- zum Nordbahnhof der Brüsseler Innenstadt führt. Die Wut der Arbeiterinnen und Arbeiter bekommen auch Delegierte der IG Metall zu spüren. Diese stellte kurzfristig einen Bus und Funktionäre für die internationale Solidarität, während die Belegschaft an deutschen Standorten weiterhin nicht über den Streik informiert wird. Gerade weil sogar Betriebsräte die Meinung vertreten, es gehe in erster Linie um die deutsche Standortsicherung, ist der Hass der Belegschaft in Brüssel gegenüber deutschen Angereisten gewaltig. Eine Flasche trifft einen Metaller, die gesamte IGM-Delegation zieht sich mit einem Aufgebot an Ordnern als Geleitschutz wieder zu ihren Bussen zurück.

An diesem Samstag haben die Menschen die Entlassung von 4000 MitarbeiterInnen verhindern können. Die Pläne und scheinheiligen Angebote des Unternehmens, die u.a. schlechtere Arbeitsbedingungen bei Arbeitsplatzgarantie zumindest für einen Teil der Belegschaft vorsehen, gilt es weiterhin abzuwehren. Leider deuten Verhandlungen seitens der Gewerkschaften auf ein mittelfristiges Ende des Arbeitskampfes zu einem "Kompromiss" hin.

Zur Zeit benötigen die ArbeiterInnen vor Ort unsere Solidarität durch das Informieren über die ihre Situation und durch Solidaritätsbekundungen, die ihr Durchhaltevermögen stärkt.

Wir geben Soliadressen und weitere Möglichkeiten der Unterstützung hier bekannt, sobald wir mehr erfahren.


-------------------------------------VORSPIEL-------------------------------------

Am Abend des 17. Novembers wurde die Nachricht des Abzugs der Golf-Produktion über die Medien verbreitet. Spontan legten die ArbeiterInnen der Spätschicht ihre Arbeit nieder, die Nachtschicht schloss sich dem wilden Streik an.

Die Entscheidung des Unternehmens betrifft 4000 (3500 ProduktionsarbeiterInnen und 500 Angestellte) der 5800 Beschäftigten im Volkswagen-Werk Forest und mindestens ebenso viele ArbeiterInnen der Zulieferbetriebe. Der Betriebsrat sucht bislang lediglich nach Wegen, die geplanten Entlassungen sozial abzufedern, was bedeutet, dass die 4000 Stellenstreichungen von den sozialpartnerschaftlichen Gewerkschaften schon akzeptiert werden. Die Belegschaft hingegen will den Verlust ihrer Existenz nicht hinnehmen. Seit gut einer Woche bestreiken sie das Werk ebenso wie zwei Zulieferbetriebe. Entgegen den zu Demoralisierungszwecken gezeigten Interviews einzelner verzweifelter Stimmen sind die ArbeiterInnen kampfbereit, was die Vertreibung von Werksschutz und Zivilpolizei aus einer Belegschaftsversammlung sowie eine spontane Straßenbesetzung zeigte.

Kurze Gegendarstellung: auch wenn die Belegschaft das Werk mit Militanz bestreikt, etliche Karosse und Scheiben zu Bruch gingen, kann nicht von einer Werksbesetzung gesprochen werden. In den ersten Stunden eroberten die Arbeiterinnen und Arbeiter zwar das Werk und bewirkten den Rückzug der Geschäftsleitung, seitdem befinden sich die Streikposten allerdings an den Toren außerhalb des Werksgeländes.

---------------------SITUATION IM VOLKSWAGEN-KONZERN---------------------

Während in Wolfsburg der neue Tarifvertrag nach und nach die Abteilungen heimsucht und die Wochenarbeitszeit für die Bereich festgelegt wird, greift der Volkswagen-Konzern mit Verschlechterung der Arbeitsbedingungen und Stellenabbau die europäischen Werke an. Traditionell kämpferische Standorte wie Pamplona (Spanien) und Brüssel (Belgien) haben in der jüngsten Vergangenheit darunter zu leiden. Die Positionierung der Betriebsrates in Deutschland ist distanziert bis resignierend: einerseits wird versichert, dass die negativen Folgen der Arbeitsplatzsicherung an deutschen Standorten für die europäischen Werke nicht vorhersehbar waren, andererseits geben Betriebsräte zu Bedenken, dass gerade Wolfsburg in der letzten Zeit hinsichtlich der Arbeitsbedingungen "viel einstecken" mußte und deshalb "einfach mal an uns gedacht werden muss".
Bei diesen Aussagen verwundert es nicht, wenn am 20. Dezember die in Brüssel arbeitenden Wolfsburger mit Begleitschutz aus dem Werk geleitet werden mussten, um nicht den Streikenden in die Hände zu fallen. Der Hass auf das Stammwerk ist groß, geschürt durch den offensiv vom Betriebsrat begünstigten Standortwettbewerb.
Das Volkswagenwerk Forest in Brüssel ist einer der letzten großen Arbeitgeber in der Region, nachdem Renault sein Werk vor knapp zwei Jahren geschlossen hatte. Die Arbeitslosenquote liegt derzeit bei 12 Prozent. Für die Arbeiterinnen und Arbeiter ist der aktuelle Arbeitskampf der Kampf um ihre Existenz.
Ferner ist die Belegschaft in Brüssel bekannt durch ihre Kampfbereitschaft und Entschlossenheit. So ist Volkswagen Brüssel der letzte Standort, an dem das sogenannte Flexibilitätskonto, ein Plus-Minus-Stundenkonto für die Arbeitszeit, verhindert werden konnte.
Eine Strategie seitens des Unternehmens, die kämpferische Belegschaft durch den aktuellen Stellenabbau loszuwerden, um sie durch neue unorganisierte Arbeitskräfte zu ersetzen, ist durchaus denkbar. So werden in dem Werk Fertigungslinien für den Polo errichtet, die ein Kontingent an Fahrzeugen des spanischen Standortes Pamplona übernehmen sollen. Das Standortroulette bittet für das nächste Modellfeuerwerk noch um die Einsätze, die Arbeiterinnen und Arbeiter bekommen jetzt schon die Rechnung.
Die Vereinzelung der Arbeitskämpfe in der jüngsten Vergangenheit bei General Motors, Daimler Chrysler, Siemens oder der Bahn hat uns gelehrt, dass Solidarität und internationale Solidarität ein notwendiges Mittel gegen die kapitalistischen Unternehmen ist. Es liegt an uns, den betroffenen Arbeiterinnen und Arbeitern unsere Solidarität zu zeigen.

Weitere Informationen gibt es auf Indymedia Belgien

Material zum Download

- Solidaritätsanschreiben des Internationalen Sekretariats der FAU an die Brüsseler Belegschaft