Aktuelle Reiseberichte aus Chiapas und Guatemala

Liebe FreundInnen, Familie, UnterstützerInnen, hoffentlich InteressierteR,… Seit ein paar Tagen bin ich nun wieder hier, in San Cristóbal, Chiapas (südlichster Bundesstaat Mexikos vor der Grenze zu Guatemala). Viele von Euch waren schon 2004 in meinem Verteiler. Damals habe ich 3 Monate als Menschenrechtsbeobachterin in Chiapas in mehreren indigenen zapatistischen Gemeinden verbracht. Andere fragen sich jetzt aber vielleicht auch, was den um Himmels willen indigene zapatistische Gemeinden sind und warum den im angeblich demokratischen Mexiko Menschenrechtsbeobachtung nötig ist. Nun, für diejenigen, denen diese Zusammenhänge noch neu sind, nun ein kurzer Überblick; diejenigen, die glauben alles schon mal gehört zu haben können getrost den nächsten Abschnitt überspringen.

Das Gebiet in dem Mexiko liegt wurde vor über 500 Jahren von Spanien überfallen, besetzt und ausgeraubt. Die dort lebenden Maya-Stämme wurden versklavt, missioniert, ausgebeutet oder einfach nur umgebracht. Den dort lebenden Mayas wurde ihre Menschlichkeit abgesprochen. Erst später wurde ihnen diese von Fray Bartolomé de las Casas wieder anerkannt, der als Lösung zuerst vorschlug doch stattdessen für die Sklavenarbeit Menschen aus Afrika zu benutzen.

Großartig geändert hat dies für die Maya-Bevölkerung aber auch nichts. Im 19ten Jahrhundert hat dann Mexiko seine Unabhängigkeit von Spanien erklärt. Das heißt, dass die Nachfahren der Spanier, die es sich inzwischen in mehreren Generationen schon in Mexiko bequem gemacht hatten sich von der Spanischen Krone für unabhängig erklärten. Die indigene Bevölkerung, die heutzutage in Chiapas ca. 30 Prozent (in einigen Gebieten aber auch bis über 90 Prozent) der Bevölkerung ausmachen, hatten weiterhin keine Rechte. 1910 gab es dann eine Revolution. Die Truppen von Emiliano Zapata vom Süden her und Pancho Villa im Norden versuchten das herrschende System zu stürzen und setzten sich vorallendingen für eine gerechtere Landverteilung ein.

Das meiste und fruchtbarste Land war damals wie auch heute im Besitz weniger reicher Familien, die indigene Bevölkerung besaß wenig oder gar nichts. Die Revolution endete mit einer Parlamentarisierung des Systems und Verbesserungen in der Landverteilung, die allerdings so gut wie nicht umgesetzt wurden, in Chiapas am wenigsten. Danach kam für 71 Jahre die Einparteien-Herrschaft der PRI (Partido Revolucionario Institucional – Partei der institutionalisierten Revolution), die erst im Dezember 2001 von dem gerade abgelösten Präsidenten Fox beendet wurde (den Wahlbetrug 2006 mit dem sein Nachfolger Calderon an die Macht gekommen ist habt ihr vielleicht mitbekommen). Zusammengefasst blieben die vielen indigenen Gemeinden arm und ohne Land, die wenigen Großgrundbesitzer reich und mit viel Land. Und wie auch schon vor hundert Jahren arbeiten immer noch viele armen indigenen Bauern, Bäuerinnen und auch Kinder auf den Plantagen ohne Rechte und ohne dabei genügend Geld zum Leben zu verdienen (von Bildung und Gesundheit ganz zu schweigen).

1994 haben viele indigene Gemeinden aus Chiapas keinen Ausweg mehr gesehen und beschlossen eine erneute Revolution zu starten. In 7 Bezirksstädten Chiapas hat die Guerilla EZLN (Ejercito Zapatista de Liberacion National – Nationale zapatistische Befreiungsarmee, damals wie heute fast ausschließlich aus indigenen zapatistischen Bauern zusammengesetzt, mit einem hohen Anteil an Frauen in Führungspositionen) mit breiter Unterstützung der indigenen Gemeinden Rathäuser besetzt um auf die Situation der indigenen Bevölkerung aufmerksam zu machen. Die EZLN hoffte damals, dass durch diesen bewaffneten Aufstand alle revolutionären Kräfte Mexikos sich erheben und für eine gerechtere Politik kämpfen würden. Und das Volk hat sich erhoben um die Ziele der EZLN nach einer gerechteren Landverteilung, Recht auf eine autonome Lebensweise, Recht auf Gesundheit, Bildung, Nahrung zu unterstützen, aber auch für die Einstellung der Kampfhandlungen. Denn auf den Aufstand der Zapatistas reagierte die mexikanische Regierung mit Krieg.

Nach 12 Tagen stellte die Mexikanische Regierung ihre Kampfhandlungen ein und in der Folgezeit kam es zu Friedensverhandlungen, in denen die Mexikanische Regierung viel versprach und nichts davon einlöste. Irgendwann hat dann die EZLN den Dialog abgebrochen, da die Regierung kein wirkliches Interesse an weiteren Gesprächen oder aber der Umsetzung der beschlossenen Übereinkünfte zeigte. Im Jahre 2003 haben die Zapatistischen Gemeinden dann ihre eigenen autonomen Regierungen (Juntas de Buen Gobierno – Rat der Guten Regierung) gegründet. Das besondere an der EZLN und der zapatistischen Bewegung war immer, dass alle wichtigen Entscheidungen mit allen Anhängern gemeinsam getroffen wurden. Es gibt keine Führungsriege, die alleine wichtige politische Entscheidungen trifft. Ein Beispiel ist der Aufstand 1994, für den sich die EZLN gemeinsam mit den indigenen Gemeinden entschieden hat.

Die zapatistische Bewegung besteht heute, 12 Jahre nach dem Aufstand immer noch und hat in der indigenen chiapanekischen Bevölkerung, aber auch in ganz Mexiko und auf der ganzen Welt UnterstützerInnen. Dies war eine sehr knappe Zusammenfassung und es gibt haufenweise Internetseiten, die weitaus detaillierter die Geschichte Mexikos und der EZLN wiedergeben, z.B.:

Chiapas.CH
Gruppe Basta
Chiapas98

Besonders wichtig wäre noch hinzuzufügen, dass seit diesem Jahr die Menschenrechtssituation in Mexiko um einiges bedenklicher geworden ist. Folter,
unrechtmässige Inhaftierungen, Verschwindenlassen und sogar Mord verübt von der mexikanischen Polizei werden von der Regierung geduldet oder sind sogar erwünscht. Dies ist am deutlichsten momentan in Oaxaca sichtbar, wo sich aus dem Streik der LehrerInnen, der im Juni diesen Jahres brutal aufgelöst werden sollte, eine Massenbewegung gebildet hat, die nun durch Bürgerkriegsähnliche Methoden zum Schweigen gebracht werden soll (weitere Infos unter www.chiapas.ch ).

Nun aber wieder zurück nach Chiapas. Warum ist nun gerade dort Menschenrechtsbeobachtung notwendig?

Nach dem Aufstand 1994 wurde Chiapas militarisiert. Ca. 30 % des gesamten mexikanischen Militärs ist in Chiapas stationiert. Die Menschen in den Gemeinden
müssen mit der ständigen Präsenz des Militärs leben. Dazu gibt es mehrere Paramilitärische Organisationen, die angeblichen unabhängig vom Militär sind, allerdings oft durch Waffen oder soziale Hilfen von der Regierung unterstützt werden. Diese setzten die im Widerstand lebenden Gemeinden unter ständigen Druck. Viele Menschen leben in ständiger Angst, da das Militär jederzeit einsatzbereit ist und das Paramilitär ständige Drohungen ausspricht und auch umsetzt. Aus diesem Grund wurden im März 1995 die ersten Zivilen Friedenscamps in den zaptistischen Gemeinden ins Leben gerufen. Das Prinzip dieser Menschenrechtsbeobachtung ist präventive Abschreckung. Es geht um internationale Präsenz in den Gemeinden. Die internationalen MenschenrechtsbeobachterInnen gehen in die Gemeinden um den
Handlungsspielraum der Militärs und des Paramilitärs einzuengen und somit den Menschen in den bedrohten Gemeinden ein wenig mehr Sicherheit und Handlungsspielraum zugeben. Das Prinzip der Menschenrechtsbeobachtung zielt darauf ab, Übergriffe in ihrer Entstehung zu verhindern.

Morgen gehe ich nun für 2 Wochen in eine indigene Gemeinde, die im Widerstand lebt. Diese Gemeinde gehört zu den „Abejas“, einer katholischen Gemeinschaft, die zwar die Ziele der EZLN teilt, nicht aber deren bewaffneten Weg (wobei die EZLN sei 1994 nicht mehr zu den Waffen gegriffen hat, sondern seitdem den Aufstand mit Worten führt). Die Menschen die ich besuchen werde sind sehr arm. Sie sind 1999 vor Paramilitärs aus ihrer Gemeinde in ein nahe gelegenes Dorf geflüchtet und bildet nun dort einen Stadtteil. Sie leben dort unter sehr schwierigen Bedingungen. Die Männer können aus Angst vor Übergriffen nicht aufs Feld gehen, womit eine wichtige
Ernährungsquelle wegfällt. Mehr über diese Gemeinde und meine Zeit dort werde ich berichten, wenn ich am 27ten Dezember wiederkomme.

Danach werde ich Anfang Januar nach Guatemala fahren und dort als internationale Begleiterin in einem ZeugInnenbelgeitpogramm arbeiten. Was das ist und wieso dies
nötig ist, werde ich später erzählen.

Wichtig für meine Sicherheit ist, dass ich für den Fall, das mir etwas passiert, Menschen habe (meine so genannten UnterstützerInnen), die meine Situation und die
Situation in Chiapas / Guatemala weiterverbreiten.

Liebe Grüße, bis in 2 Wochen
mariposa

Hier geht es zu den einzelnen Reiseberichten:

Reisebericht 1