Tatort Werkstatt Frankfurt
Bislang fast unbemerkt von der Öffentlichkeit spielt sich in der "Werkstatt Frankfurt" - die im Auftrag der Stadt, der Bundesagentur für Arbeit und im Auftrag der Rhein-Main-Jobcenter-GmbH arbeitssuchende Menschen qualifiziert, ausbildet und ausbeutet (ca. 1.000 MitarbeiterInnen) - seit Anfang dieses Jahres ein Skandal ab, der deutlich macht, was "Fordern und Fördern" im Detail bedeutet. Ein-Euro-Jobber werden massiv auf regulären Arbeitsplätzen eingesetzt, ein Betriebsrat, der versucht wenigstens gleiche Rechte für Ein-Euro-Jobber durchzusetzen, wird bedroht, abgewählt und mit Klagen und Schikanen aller Art überzogen.
Die Stadt Frankfurt und der neue Sozialdezernent Becker von der CDU leugnen ihre Verantwortung und die reguläre Belegschaft der "Werkstatt" schweigt ängstlich unter der autoritären Fuchtel der Geschäftsführung, um ihre Arbeitsplätze zu retten.
Als ob es niemanden interessieren würde...
Da die Informationen über diesen Fall bisher nur auf labournet.de veröffentlicht waren, sehen wir es als unsere Pflicht an, sie ebenfalls zu verbreiten, zumal eine wichtige Veranstaltung mit den Beroffenen, wie auch Arbeitsgerichtsprozesse bevorstehen.
Auf einem Treffen haben wir die absurde Geschichte von den Betroffenen erzählt bekommen, leider werdet ihr nur einen Bruchteil davon in dem folgenden Text wiederfinden.
Der Kernpunkt, der uns sehr angesprochen hat ist, dass KollegInnen, in diesem Fall der ehemalige Betriebsrat der "Werkstatt Frankfurt", die Situation der ZwangsleiharbeiterInnen des Arbeitsamtes (1-Euro-Jobber) ernst genommen- und das gemacht hat, was auch wir seit Jahren verlangen: ihnen wurde im Entleihbetrieb der Status von "ArbeitnehmerInnen" zugestanden. Der ehemalige BR zog daraus ebenfalls die Konsequenz, dass die "1-Euro-Jobber" das Recht auf Teilnahme an den Betriebsratswahlen bekommen sollten. Daraufhin überschlugen sich die Ereignisse.
Dokumentation des Skandals
Seit 2004 wird die Werkstatt Frankfurt e.V., die größte Beschäftigungsgesellschaft Frankfurts und stadtnaher Verein, drastisch umgebaut. In vorauseilendem Gehorsam wurden bei der "Werkstatt" Langzeitarbeitslose nicht mehr als Arbeitnehmer zum "Werkstatttarif" (WTV), sondern auf schon vorhandene Arbeitsplätze eingestellt. "Gemeinnützige Beschäftigung" (also Ein-Euro-Jobs) sollen aber "zusätzlich" sein.
Damit war ein massiver Konflikt bei der "Werkstatt" vorprogrammiert. Im Verlauf dieser Auseinandersetzung werden die demokratisch gewählte Interessenvertretung der Kolleginnen und Kollegen immer mehr unter Druck gesetzt. Mit Mitteln, die Schlimmes letztlich nicht nur für die Personalpolitik bei der Werkstatt, sondern überhaupt für stadtnahe Vereine befürchten lassen. Betroffen sind Mitglieder des Wahlvorstandes der Betriebsratswahl 2006 und ehemalige Betriebsratsmitglieder.
Wegen rechtlicher Einwände gegen die Wählerliste (weil gemeinnützig Beschäftigte - ausschlaggebend für die Größe des Betriebsrats - mitgezählt worden sind) konnte die BR-Wahl nicht zum 31.05.06 abgeschlossen werden. Damit setzte eine betriebsratslose Zeit ein. Die Geschäftsleitung der Werkstatt Frankfurt nutzte über Nacht die neuen innerbetrieblichen Verhältnisse.
Mitglieder des alten Betriebsrates wurden sofort zum 1.6.06 in eine berufsfremde, unterqualifizierte Tätigkeit "versetzt". Widerrechtlich wurde der alte BR in der letzten Mai-Woche nicht zu diesen Versetzungen angehört. Personalsachbearbeiter, Sozialpädagogen sollen nun stupide Beschäftigtenlisten auf Doppelnennungen und ähnliche fehlerhafte Eintragungen kontrollieren.
Als "Abteilungsleiter" wurde ein "Unternehmensberater" auf Honorarbasis engagiert. Dieser stellte sich vor: Er sei sowohl bei der Post als auch bei der Santander-Bank als selbständiger "Unternehmensberater" engagiert worden.
Dort wurden Rationalisierungs- und Umstrukturierungsmaßnahmen durchgeführt, die zum Ergebnis hatten, dass eine große Anzahl von Mitarbeitern dieser Abteilungen die Unternehmen "verlassen" hatten.
Sonderbar, die bei der Werkstatt neu gebildete Abteilung für "Evaluation" ist speziell nur mit Betriebsräten und Wahlvorständen aus der letzten Wahlperiode besetzt, die ihre Verantwortung als Wahlvorstandsmitglieder wahrgenommen haben, den Arbeitnehmerstatus von 1 Euro Beschäftigung zu überprüfen. Genau diese KollegInnen, die sich in der Verdi-Liste zusammengeschlossen hatten, wurden von der Werkstatt-Geschäftsleitung von "Vorgesprächen" während der Wahlphase ausgeladen, das von den Wählern neben anderen deutlichen Zeichen als "Wahlempfehlung" der Geschäftsleitung verstanden werden sollte. Der Verdi-BR-Liste wurde unterstellt, dass sie mit der Wahrnehmung ihrer Rechte als Interessenvertretung die Arbeitsplätze bei der Werkstatt gefährden würden. Heutzutage ein besonders harter Vorwurf.
Übrigens in einem ersten Arbeitsgerichtsverfahren zeichnet sich ab, dass die Versetzungen offensichtlich nicht rechtlich haltbar sind. Nicht nur für die anstehenden Auseinandersetzungen vorm Arbeitsgericht benötigen die Kolleginnen und Kollegen Solidarität.
Pikanterweise beschäftigte die Werkstatt Frankfurt zwei 1-Euro-Jobber auf dem Arbeitsplatz eines Personalsachbearbeiters, der zur "Evaluation" "versetzt" wurde. Der Vorschlag des Arbeitsrichters, diesen Personalsachbearbeiter zum Teil mit seinen bisherigen Aufgaben zu betrauen und andere Sachbearbeiter zum Ausgleich auch teil zu versetzen, lehnte die Geschäftsleitung ab. Vor dem Arbeitsgericht befürchtete sie erstaunlicherweise, eine Versetzung wäre arbeitsrechtlich nicht durchsetzbar.
Der ehemalige Betriebsratsvorsitzende A. B. wurde zunächst betriebsbedingt gekündigt, unwiderruflich von der Arbeit freigestellt und dann während der "Freistellungsphase" zur Sicherheit schließlich fristlos gekündigt.
Anlass für die fristlose Kündigung: Kollege B. habe unentschuldigt gefehlt. Ein sonderbares Fehlen. Zum fraglichen Zeitpunkt hatte Kollege B, die Stimmzettel der BR-Wahl 06 öffentlich mit ausgezählt übrigens in Anwesenheit der an der Kündigung Beteiligten! Wie kurz doch nur das Gedächtnis funktioniert.
Der neu gewählten Betriebsrat weiß um diese Tatbestände. Die Mehrheit widersprach dennoch der Kündigung nicht.
Sozialdezernent U. Becker wurde verschiedentlich auf diese ungeheuerliche Personalpolitik der Werkstattbetriebsleitung aufmerksam gemacht. Er sieht keinen Grund einzugreifen.
Kennt Sozialdezernent Becker seine satzungsgemäßen Pflichten und Rechte als Vorsitzender des Vereins Werkstatt Frankfurt und als Magistratsmitglied nicht? Wir befürchten, die schikanösen Kündigungen trotz Kündigungsschutz für ehmalige und auch jetzige Funktionsträger bei der Werkstatt werden politisch gedeckt.
Mehrere Mitarbeiter wandten sich in ihren arbeitsrechtlichen Angelegenheiten an politisch Verantwortliche der Stadt Frankfurt. In der Hoffnung, dass der Werkstatt-Geschäftsleitung Einhalt geboten wird, durch unangemessenen Versetzungen und Kündigungen weiter zermürben zu wollen. Auch die Kündigung des Haustarifvertrages für die Stammmitarbeiter/innen der Werkstatt spricht für ein konzertiertes Vorgehen, das letztlich auf alle Beschäftigen bei der Werkstatt zielt.
Die Merkwürdigkeiten sind nicht nur als Schikane zu interpretierenden. Die Vorgänge bei der Werkstatt Frankfurt, lassen Schlimmes befürchten. Die betroffenen Kolleginnen und Kollegen brauchen Eure Solidarität. Diese Praktiken dürfen nicht durchgehen und Schule für eine Personalpolitik bei stadtnahen Vereinen und in der Stadtverwaltung machen.
Aus: Abenteuer Sozialarbeit, eine Veröffentlichung des Arbeitskreises Soziale Vereine von ver.di Frankfurt am Main und Region
Veranstaltung
AK Soziale Vereine
Ort: Club Voltaire, Kleine Hochstrasse
Zeit: Mo. 15.01.2007, 19:00 Uhr
Die Veranstaltung, auf der die betroffenen Ex-Betriebsräte anwesend sein werden, möchte über den Ablauf dieses Skandals informieren. Sie will außerdem ein Zeichen der Solidarität für die Ex-Betriebsräte setzen und zugleich für einen Gerichtsbesuch am 23.1.2007 mit den ehemaligen Werkstatt-Betriebsräten mobilisieren helfen. Und sie will z.B. durch die Anwesenheit von Teilen des studentischen Protestplenums ein erster Anstoß für eine Debatte sein, ob und wie der Fall der Werkstatt Frankfurt Perspektiven für eine übergreifende lokale Kampagne gegen die "Prekarisierung von oben" sein kann.