Frankreich: Sie weichen zurück - wir weichen nicht! (update)
Auf dem nebenstehenden Plakat steht: "CPE, CNE, unsichere Verträge - unsere Prekarität, das sind ihre Gewinne - organisiere Dich und kämpfe!"
"Über den CPE hinaus, handelt es sich bei der Ankündigung der Rücknahme um einen ersten Sieg der sozialen Bewegung in ihrem Kräftemessen mit den herrschenden Klassen. Nach mehreren Jahren der Rückschläge, antisozialer Gesetze und verheerender Niederlagen wie 2003, können wir uns mit diesem Sieg wieder erheben, können wir die Aktion wieder forcieren und auf die sozialen Kämpfe der Zukunft hoffen."
So lautet die Einschätzung der CNT-FTE am Tag nach der Rücknahme des "Ersteinstellungsvertrags" CPE in Frankreich. Im folgenden dokumentierten wir u.a. eine Erklärung der Föderation der BildungsarbeiterInnen. In der nächsten Ausgabe der Direkten Aktion, wird es einen ausführlicheren Artikel zu dieser sozialen Bewegung geben ...
Ein FAU-Genosse aus Hannover hat Impressionen aus Paris mitgebracht...
Eine Lehrstunde in direkter Demokratie!
Die Straße hat sich durchgesetzt, mit zwei Monaten von Demonstrationen, Blockaden, Streiks, Besetzungen ... Mit dem Rückzug des "Ersteinstellungsvertrags" (CPE) hat die Regierung ihre Niederlage in der Auseinandersetzung mit SchülerInnen, Studierenden und Beschäftigten zementiert. Wie die Unternehmer, die sich vor ihren Angestellten groß tun und angesichts kollektiver Aktion doch kleinbei geben, so haben auch die Regierenden nachgeben müssen. Für sie ist das zweifellos eine Niederlage, hatten sie doch aller welt versprochen, "man wird sehen, dass wir - anders als unsere Vorgänger - nicht nachgeben werden." Nur ... eine Massenbewegung, ernst, aktiv, dynamisch, selbstorganisiert, gestützt auf breite Sympathie in der Bevölkerung, hat sie zum Nachgeben gezwungen.
Zweifelsohne ist nicht alles erreicht: die Rücknahme des CPE ist kein vollkommener Sieg. Und unter dem Vorwand, den Ärmsten zu helfen, steckt die Regierung den Unternehmern noch so einiges zu. Als ob das etwas ändern könnte. Aber wir werden nicht vergessen: auch ein verabschiedetes Gesetz kann bekämpft werden. Der CPE, rechtskräftig verabschiedet, ist heute Geschichte - eine Lehrstunde in direkter Demokratie!
Muss man sich andererseits über die sozialpartnerschaftlichen Gewerkschaften wundern? Das "Gesetz für Chancengleichheit" und der "Neueinstellungsvertrag" (CNE = CPE für Kleinbetriebe) bilden den Rahmen für die wieder aufgenommenen Gespräche - ist das die Konsequenz dessen, was sich in den letzen beiden Monaten in den Vollversammlungen der Streikenden abgespielt hat? Dafür sollen zweimal drei Millionen Streikende auf die Straße gegangen sein? Außerdem, hat das landesweite Gewerkschaftsbündnis, das sich schon mit der Rücknahme des CPE zufriedengibt, soll dieses Bündnis die Forderung nach Amnestie für die hunderten anlässlich der Demos Festgenommenen "vergessen" haben? So sieht der "kleinste gemeinsame Nenner der Gewerkschaften" aus.
Ohne die Wirtschaft zu blockieren, haben die Studierenden doch Unruhe hervorgerufen: die Vollversammlungen, Diskussionen und der Streikalltag haben Räume der Solidarität, des kollektiven Nachdenkens und der direkten Aktion geschaffen - Handlungsansätze, die mit der Bewegung an Bedeutung für die Gegenwart gewonnen haben. Wenn die Unternehmer auch wieder in die Offensive zu kommen versuchen und "Flexibilisierung, Flexibilisierung!" skandieren, so ist ihnen auch klar, dass die Streiks eben dort erfolgreich waren, wo die sozialpartnerschaftlichen Gewerkschaften schon aufgegeben hatten. Die streikenden StudentInnen haben die Kämpfe geeint und vielerlei Grenzen (zwischen Generationen, zwischen Beschäftigten und Erwerbslosen, Staatsbürgern und 'Illegalen', Zentrum und Trabantenstadt) überwunden, indem sie die Prekarität und soziale Ungerechtigkeit ins Zentrum ihres Kampfes, eines Klassenkampfes gegen die Prekarität stellten. Im unbefristeten Streik zeigt die kollektive Aktion ihre Stärke, ihre Kreativität und Nachhaltigkeit. Die Perspektiven der Bewegung werden in den Vollversammlungen der Studierenden, SchülerInnen und Lohnabhängigen entstehen, und nirgendwo anders ...
Seien wir unbeugsam, sozusagen unflexibel, im Kampf gegen den CNE und das "Gesetz für Chancengleichheit", gegen die staatliche Verfolgung und die unsichere Zukunft, die diese Gesellschaft den Jugendlichen und Beschäftigten bereitet!
Confédération Nationale du Travail, Bureau Confédéral, Secrétariat médias, 13.4.06
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Sie weichen zurück - wir weichen nicht!
Sie weichen dem Druck der Straße, nun liegt es an uns, sie zu stürzen!
Indem sie die Rücknahme des "Ersteinstellungsvertrags" (CPE) ankündigte, hat die Regierung der seit zwei Monaten währenden Mobilisierung der SchülerInnen, Studierenden und Beschäftigten nachgegeben. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass die Rücknahme des Gesetzes als "Ersetzen" des alten durch ein neues Gesetz bezeichnet wird, damit die Regierung ihr Gesicht wahrt. Das neue Gesetz wird nicht über bereits bestehende Sondervertragsformen hinausgehen, die nichtsdestotrotz Geschenke an die Unternehmer darstellen.
Über den CPE hinaus, handelt es sich bei der Ankündigung der Rücknahme um einen ersten Sieg der sozialen Bewegung in ihrem Kräftemessen mit den herrschenden Klassen. Nach mehreren Jahren der Rückschläge, antisozialer Gesetze und verheerender Niederlagen wie 2003, können wir uns mit diesem Sieg wieder erheben, können wir die Aktion wieder forcieren und auf die sozialen Kämpfe der Zukunft hoffen. In den vergangenen Wochen haben wir - die soziale Bewegung, in die die CNT sich einbrachte - gezeigt, dass Streiks und direkte Aktionen auch die Starrsinnigsten (Regierung unter Premier de Villepin) zum Einlenken bewegen können. Dieser Sieg wird den Beginn einer neuen, offensiveren Phase markieren.
Klar, die Rücknahme des CPE stellt mitnichten einen vollständigen Sieg dar ... Aber wir sollten auch nicht verhehlen, dass diese Rücknahme nach dem Kräftemessen der vergangenen Monate ein Durchbruch ist; und der ist umso interessanter, als dass die Regierung zurückwich vor der Straße, der direkten Aktion, dem Streik, den Demonstrationen, Blockaden und Besetzungen. Die Bewegung der vergangenen Monate ist eine erfolgreiche Demonstration der Losung, dass allein der Kampf sich auszahlt und die Probleme sich nicht durch Beschwörung der Präsidentenwahlen 2007 erledigen.
Man kann es nur bedauern: Nachdem die Gewerkschaftsspitzen der Zentralverbände die gewerkschaftliche Einheit diesmal aufrechterhalten hatten, setzen sie nun auf Sozialpartnerschaft und halten seit letzter Woche einer reaktionären Macht das Hintertürchen auf, die gegen eine soziale Bewegung Gewalt einsetzte. Diese Haltung ist umso bedauerlicher als die Studierenden, SchülerInnen und ArbeiterInnen es verstanden haben, ein in den letzten zehn Jahren einmaliges Kräfteverhältnis (rapport de force) aufzubauen - diesen Druck bauten v.a. die zwei berufsübergreifenden Streiktage auf, an denen sich jeweils drei Millionen Menschen beteiligten. Die Gewerkschaftsspitzen entschieden sich, allein die Rücknahme des CPE zu fordern, während die SchülerInnen, Studierenden und zahlreiche ArbeiterInnen weitere Forderungen stellten: die Rücknahme des CNE (CPE für alle in Betrieben unter 20 Beschäftigten, d.h. für ein Drittel der ArbeiterInnen) und des gesamten 'Gesetzes zur Chancengleichheit' (CPE war ein Artikel dieses Gesetzes); sie wandten sich allgemeiner noch gegen die Prekarität, die in der Arbeitswelt inzwischen normal geworden ist. Wenn der CPE auch zurückgezogen ist, so bleiben CNE und das 'Gesetz zur Chancengleichheit' doch in Kraft, welches außer dem CPE noch folgendes ermöglicht: Eintritt in die Lehre ab 14 Jahren möglich, Nachtarbeit für Minderjährige ab 15 Jahren, etc. Diese Maßnahmen vervollständigen das Konzept einer "Schule mit zwei Geschwindigkeiten", jener der Reichen und jener der Armen.
Von einem Ende kann also keine Rede sein. Der Kampf muss weiter gehen, um alle Forderungen der Bewegung der letzten Wochen, aber auch Forderungen des Bildungssektors durchzusetzen. Darum setzt die CNT-FTE ihren Streik fort und ruft zur Beteiligung am Aktionstag der Studierenden-Koordination (11.4.) auf. Nicht zuletzt bekräftigen wir unsere solidarität mit allen Personen, die im Zuge dieser sozialen Bewegung arretiert wurden, und verlangen die sofortige Einstellung aller Gerichtsverfahren sowie eine Amnestie für alle Verurteilten & Inhaftierten.
Möge der Sieg über den CPE andere Kämpfe und Erfolge beflügeln, mit denen wir eine andere Zukunft bauen. Nichts ist zu Ende, alles kann beginnen!
Sekretariat der Föderation der BildungsarbeiterInnen der CNT (CNT-FTE)
In: Classes en lutte #70 (.pdf), 11.4.2006.
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Persönlicher Bericht zur Situation in Frankreich (22.3.06)
Die Jugendrevolte gegen den zukünftigen Arbeitsvertrag bei Ersteinstellung (contrat premiere embauche - CPE) wächst und wird härter. Die Studenten und Schüler befinden sich mehr und mehr im Kampf.
Um euch einen Eindruck der Atmosphäre hier zu vermitteln: Morgen (Donnerstag, 23.3.06) ist der Tag der Wahl zu den Studierendenräten an der Universität, aber alle (inklusive der reformistischen Studentenorganisationen) rufen zum Boykott der Abstimmung auf. Das ist das erste mal überhaupt, dass wir so etwas erleben!
Die letzten Demonstrationen waren außergewöhnlich groß. Massiv und eindrucksvoll. Mit sehr entschlossenen Menschen, die sich auf diese Auseinandersetzung konzentrieren.
Die Bewegung an den Fakultäten ist sehr im Sinne einer direkten Aktion organisiert. Es sind keine Vertreter politischer Parteien oder von Gewerkschaften zugelassen. In den Demonstrationen finden sich keine speziellen Symbole. Selbständige, autonome Vollversammlungen finden statt.
Innerhalb der Bewegung wächst auch eine radikalere Minderheit, was bedeutet, dass nicht nur dieser spezielle Arbeitsvertrag zurückgewiesen wird, sondern das ganze Lohnsystem und der Kapitalismus generell. Es ist sehr interessant.
Einige unserer Mitglieder sind sehr aktiv an den studentischen Vollversammlungen beteiligt. Abhängig von der jeweiligen Stadt: in Caen sind wir Teil des Mobilisationskomitees der Fakultät und des Komitees der prekär Beschäftigten und Arbeitslosen; in Rouen brachten wir gemeinsam mit anderen selbständigen Gruppen Vollversammlungen in die Gänge, die nach dem Muster der Asembleas von 2001 in Argentinien funktionieren. In Toulouse sind wir nicht im Streikkomitee. Die "Linken"/leftists haben es in Beschlag genommen.
Aber wir beteiligen uns an der Agitation auf den Strassen und sind mit unseren Worten und Vorhaben in den Vollversammlungen. (Letzten Sonnabend machten wir einen Umzug in Solidarität mit den sans-papiers. Bei dieser Demonstration waren um die 1200 Menschen.)
In Paris versucht unsere neue Gruppe Kontakte zu Gruppen von autonomen Arbeitslosen bzw. prekär Beschäftigten herzustellen. Einige von uns waren bei den Kämpfen vor der Sorbonne-Universität anwesend. Noch haben wir deswegen keine Probleme.
Staat und Polizei begegnen den Demonstrationen mit Gewalt und Unterdrückung. Wenig überraschend sind die Politiker und Reformgewerkschaften die größten Gegner der Bewegung. Dementsprechend tun sie alles, um die Proteste zu stoppen. Sie fürchten sich vor einer Spontanität, die sie nicht kontrollieren können. Sie fürchten sich vor einer Revolte, wie jene in den Banlieues im November vorigen Jahres. Nun allerdings in einer breiteren Masse und unterstützt von den Arbeitern. Diese Gewerkschafter und die Politiker denken mehr daran, wie sie die nächsten Präsidentschaftswahlen im Jahr 2007 gewinnen können als an die aktuelle Situation. Das Hauptziel der Sozialistischen Partei ist: "wir erwarten 2007".
Nun, nach der großen Demonstration vom Sonnabend mit 1,5 Millionen Teilnehmern rufen die Gewerkschaften zu einem Aktionstag - NICHT zu einem Streik, nicht mal einem eintägigen streik - am 28. März auf. Zehn Tage nach der Mobilisation. Sie rechnen damit, dass die Jugendlichen dann erschöpft sein werden. Damit schaffen sie eine Kluft zwischen sich und der Jugend, was uns nicht stören soll� :-)
Pierre (persönlicher Bericht) 22. März 2006
Mehr Infos auf der Webseite der CNT-AIT Paris
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Streik jetzt! CNT im Kampf gegen zwei Jahre Probezeit
(Text von der Homepage der CNT-F, 20.3.06)
1.500.000 DemonstrantInnen gingen am Samstag, den 18.3.06 in Frankreich auf die Straße. Die Studierenden, die SchülerInnen, aber auch zahlreiche Eltern und ArbeiterInnen haben der Ablehnung Ausdruck verliehen. Sie lehnen die Prekarität ab, lehnen die soziale Ungerechtigkeit ab, lehnen eine unmögliche Zukunft ab.
Angesichts dieser außergewöhnlich starken Demonstrationen, ließ die Regierung seit Samstag verlautbaren, dass sie nicht nachgeben werden, also unflexibel bleiben wolle. Die Demonstration am 18. hat ihrerseits gezeigt, dass die Lohnabhängigen die Studentenbewegung gegen den CPE unterstützen.
Der Durchhaltewillen der Regierung wird von einer Repression begleitet, die systematische Züge annimmt. In Paris gab es am Donnerstag (16.3.) 185 Gewahrsamnahmen und am 18. nicht weniger als 167 Gewahrsamnahmen, die das immer beunruhigendere Verhalten der Polizeikräfte verdeutlichen: nach der gewalttätigen Zerstreuung der Menge musste ein Mitglied der SUD-PTT (Post) bewusstlos ins Krankenhaus gebracht werden, nachdem es von zwei Dutzend CRS-Leuten (in etwa: Bundespolizei) zu Boden geworfen und verprügelt worden war.
Die Bewegung muss indes weitergehen und sich ausweiten. So besetzen Hunderte 'Illegale', StudentInnen und UnterstützerInnen seit dem 18. März das Gebäude des ehem. Sozialamts für Emigranten (SSAE), in der 18 rue Auguste Perret (Paris, 13. Arrondisement) - sie fordern die Rücknahme des Zirkulars und des Gesetzentwurfs von Sarkozy sowie des "Gesetzes zur Chancengleichheit".
In diesem Sinne lenkt die CNT die Aufmerksamkeit der DemonstrantInnen und Streikenden auf die Notwendigkeit, weiterhin die Rücknahme des CPE, aber auch des CNE und des sogenannten "Gesetzes zur Chancengleichheit" fordern, so wie es die Koordination des Studierenden verlangte ... und zwar ungeachtet der Tatsache, dass sich die Gewerkschaftszentralen in ihrer Mobilisierung allein gegen den CPE zu wenden scheinen.
Was auf europäischer Ebene auf dem Spiel steht, vermag eine Erklärung zu geben für die Borniertheit der französischen Regierung: in Schweden wird ein Arbeitsvertrag mit zweijähriger Probezeit vorbereitet, in Spanien soll die Probezeit sogar vier Jahre dauern. Es ist also klar, dass die Regierung sich auf biegen und brechen durchsetzen will und eine Strategie der Spannung verfolgt.
Um diese reaktionären Maßnahmen zu bremsen, müssen wir einig und entschieden in den Streik treten, der das beste Mittel ist, um der Repression, der Polizeigewalt und rechten Manövern zu begegnen. Die CNT bekräftigt ihre unbedingte Solidarität mit den Studierenden und SchülerInnen, die es verstanden haben, ein Kräfteverhältnis aufzubauen. Die CNT ruft sie dazu auf, ihre Streik-Mobilisierung zu verstärken, damit diese nach und nach auch die Lohnabhängigen erreicht.
Der CNE, der CPE und das "Gesetz zur Chancengleichheit" müssen abgeschafft werden. Deshalb ruft die CNT zur Selbstorganisation in Vollversammlungen auf, in denen die kommenden Streiks vorbereitet werden mögen.
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