Geht´s jetzt endlich los?

14 Jahre nach der ötv versucht nun ver.di zu kämpfen...

Die anarcho-syndikalistischen Zeitung "Direkte Aktion" titelte im Januar 2005 noch: “Der Streik kehrt zurück!“. Zu sehen war ein ziemlich wütender King Kong, der versuchte, einen Wolkenkratzer zu erklimmen - ein Verweis auf New York, wo Ende 2005, kurz vor Weihnachten, die Gewerkschaft TWU den öffentlichen Nahverkehr komplett lahm legte. Es ist nicht so unwahrscheinlich, dass jener Streik von 34.000 kommunalen Transport-ArbeiterInnen damals Millionen von Menschen auf der Welt inspiriert hat.

Der Streik ist da

Heute können wir vermelden: Der Streik kehrt nicht nur zurück, er ist in Germany angekommen. Seit Anfang Februar 2006 befindet sich die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di in Baden-Württemberg im Ausstand. Es geht gegen die Verlängerung der Wochenarbeitszeit auf 40 Stunden; der Streik wird nach einem undurchaubaren Muster auch in anderen Ländern und Kommunen geführt. Das Urabstimmungs-Ergebnis von 96 % in Ba-Wü drückt eine ziemlich eindeutige Stimmung nicht nur an der ver.di-Basis sondern in der gesamten arbeitenden Bevölkerung aus: Es ist Zeit einen Punkt zu setzen. Es geht den KollegInnen im Kern nicht um Flächentarifverträge, den ein oder anderen Prozentpunkt Lohnzuwachs oder die Verteidigung der 38,5-Stunden-Woche. Es geht darum, den Spieß wieder herum zu drehen. Nicht immer nur einstecken, sondern auch wieder austeilen zu können.

Was aber will ver.di?

King Kong begegnet Dir auch, wenn Du die Homepage der Gewerkschaft Vereinigte Dienstleistungen ( http://www.verdi.de ) besuchst. Der Riesenaffe weist auf eine New-York-Reise hin, die unter denjenigen verlost wird, die es schaffen, neue Mitglieder zu werben. Seit der Streik beschlossen wurde, steigen die Mitgliederzahlen wieder. Das hat zwei Gründe. Eine Gewerkschaft, die sowieso nicht streikt, erscheint den klüger rechnenden KollgeInnen als reine Geldverschwendung. Da bringt eine gute Rechtschutzversicherung mehr. Dabei sein ist eben nicht alles. Der letzte Streik im öffentlichen Dienst wurde vor 14 Jahren noch von der ötv unter Wulff-Matthies geführt und kläglich verloren. Eine Gewerkschaft, die ihren Apparat und dessen Gehälter, Immobilien etc. durch Mitgliedszahlungen finanziert, braucht einen Streik also als Werbeträger. So wie Greenpeace zweimal im Jahr in die Tagesschau kommen muss, damit die Spendenzuflüsse und das Merchandising wieder angekurbelt werden. Zweitens besteht über das Streikgeld ein ökonomischer Zwang, einer streikenden Gewerkschaft beizutreten. Sie zahlt logischer Weise nur ihren Mitgliedern Streikgeld. Als Nichtmitglied hättest Du nur die Wahl, ohne Geld da zu stehen oder zum Streikbrecher zu werden. Wenn Du ausgesperrt wirst, bleibt Dir nicht mal diese Möglichkeit.

Als die ötv 1992 ihren Streik abbrach, hatten 56 Prozent in einer Urabstimmung fürs Weiterstreiken entschieden. Ein Bekannter von mir arbeitete in einem städtischen Betrieb in Köln und zweifelte das Abstimmungsergebnis stark an. In seinem Laden wären schätzungweise 70 % fürs Weiterstreiken gewesen. Wie dem auch sei: Die Gewerkschaftsführung brach ab und hatte einen kompletten Gesichts- und Vertrauensverlust erlitten. Es war der erste ötv-Streik der Nachkriegsgeschichte, er dauerte vom 25. April 1992 bis zum 7. Mai. Am Ende musste die Gewerkschaft 5,4 % Lohnerhöhung zustimmen, also genau dem Vorschlag der Schlichter bevor der Streik begonnen wurde. Kein Ziel erreicht, undemokratische Streikführung mit dem Geruch der Wahlfälschung, und was vielleicht entscheidend war: Sie hatten soviel Geld verpulvert, dass es schon damals hieß, die ötv könne sich in den nächsten 10 Jahren keinen Streik mehr leisten. Es sind nun 14 Jahre geworden und die ötv gibt es nicht mehr. Nun gibt es ver.di und die Streikkassen seien gut gefüllt, heißt es.

Gibt es irgendwelche Unterschiede?

Wenn man Alfred Wohlfart, Streikführer der Gewerkschaft ver.di Baden-Württemberg, im regionalen Fernsehen zusieht, wie er krampfhaft versucht, bei den anwesenden Experten und Polit-Darstellern Verständnis für irgendwelche fachidiotischen Feinheiten im Tarif-Vertragswesen zu erzielen und dabei niemanden erreicht und völlig am Wesentlichen vorbei redet, kommt man sich tatsächlich vor wie in einer Zeitschleife. Zurück in den 70er Jahren. Als die Gewerkschaften mit alljährlich wieder kehrenden Tarifverhandlungen, Schlichtungskomissionen und Warnstreiks und mit Zombies wie Heinz Kluncker und Oskar Vetter und wie sie alle hießen an der Spitze, daher kamen wie die langweiligste und überflüssigste Sache der Welt.
Auf der anderen Seite sind heute von ver.di Ideen zu hören, die zumindest aufhorchen lassen, wie “Streiken muss auch Spaß machen“. Dass ausgerechnet in Stuttgart, der Hauptstadt der Kehrwoche, die Müllmänner streiken und die Tonnen vor Dreck überquellen, zeugt davon, dass hier mit Phantasie geplant wurde. Kann man nichts gegen sagen. Oder dass eine Vorstellung von “Figaros Hochzeit“ im voll besetzen Opernhaus ausfallen musste und die versammelte Bourgeoisie empört abziehen durfte.

Ein Streik im öffentlichen Dienst hat es dabei ungleich schwerer als ein Streik in der Produktion. Der ökonomische Druck von überquellenden Mülleimern und verspäteten Bahnen ist nur schwer messbar im Vergleich zum Verlust durch Produktionsausfall. Zudem hat der öffentliche Dienst die öffentliche Meinung im Nacken und wenn man die Medien für so wichtig hält, wie es die DGB-Gewerkschaften als konstruktive und wertvolle Säulen dieses Staates nun einmal tun, bekommt man auf Dauer ein Problem. Vielleicht wäre hier eine Kreuzung von Figaros Hochzeit und überquellendem Müll ratsam. Dass die Gewerkschaft den Streik nicht flächendeckend gegen alle führt, im Sinne eines Generalangriffs, sondern punktuell im Sinne einer Guerilla. Und dass sie ihn klassenbewusst führt. Dass also in bestimmten Vierteln kein Müll mehr abgeholt wird. In den Vierteln, in denen die Opernhaus-BesucherInnen für gewöhnlich wohnen und in den Vierteln, wo sie ihre Geschäfte machen und dort, wo sie einkaufen. Dass man also der herrschenden Klasse gezielt und exemplarisch den Saft abdreht, anstatt der gesamten Bevölkerung. Aber hören wir auf, ver.di kluge Ratschläge zu geben.

Die spannende Frage ist nun:

Wie lange wird ver.di durchhalten? Ihre Streik-Gelder scheinen sie diesmal durchaus gezielt und dosiert einzusetzen. Die Sueddeutsche titelte in einem Frank-Bsirske-Portrait gar “Der Streik seines Lebens“. "Wir könnten drei Streiks dieser Größenordnung gleichzeitig finanzieren", sagte Bsirkse am Rande einer Protestkundgebung in Hamburg. "Wir werden diesen Streik so lange durchhalten, bis wir zu einer vernünftigen Regelung mit den Arbeitgebern kommen." Soll es etwa bis zur Fußball-WM reichen? Wenn deutsche, britische, italienische und holländische Fan-Horden als fünfte Kolonne der Gewerkschaft die Innenstädte bepissen und vollkotzen.... Will ver.di dann dem patriotischen Schlagzeilen-Gewitter der Bild-Zeitung tatsächlich widerstehen? Oder mit welchem faulen Kompromiss lässt man sich diesmal abspeisen?

Der New-Yorker Transportarbeiter-Streik endete übrigens mit einer faktischen Niederlage. Und King Kong wurde bekanntlich von Kampffliegern nach heroischem Kampf getötet. Aber in unseren Herzen lebt er weiter, der sympathische Riese, der die Ketten seiner Sklaverei zumindest für einen Tag durchbrach.

Heiner Stuhlfauth

PS: Dies ist eine gekürzte Internet-Fassung eines DA-Artikels. Er wurde am 26. Febuar 06 verfasst, also noch vor dem skurrilen Hamburger Tarif-Abschluss, der sicher eine deftige Würdigung in der kommenden DA Nr. 175 erfahren wird.