Arbeit fürs LEBEN? - Arbeit bis zum TOD! (de, fr, en)
Die Geschichte eines 26jährigen Menschen aus dem Iran, der ohne Arbeitserlaubnis unter miserablen Bedingungen in Leipzig nachts BILD-Zeitung verkaufte, statt Krankenversicherung mit der Sozialamtsbürokratie kämpfen mußte, oft erkältet war und schließlich starb.
Und ein Bericht der Demo: Festung Europa niederreißen - Smash Fortress Europe vom 10.12.2005 in Leipzig, sowie die Dokumentation des Redebeitrags der Mojtaba-Gruppe.
Der 26jähriger Iraner, Mojtaba, dessen Asylantrag abgelehnt worden war und der unter dem Status geduldet in Leipzig lebte, starb am 5. Oktober 05 im Herzklinikum zu Leipzig. Er ist einer von vielen Asylbewerbern, die aufgrund ihrer schlechten finanziellen Lage und des Fehlens einer Arbeitserlaubnis dazu gezwungen sind, als Scheinselbständige für wenig Lohn (pro Nacht je nach Absatz 9 - 15 Euro) jede Nacht zwischen 3 bis 9 Uhr BILD zu verkaufen. Aufgrund dieser Tätigkeit, die auch Mojtaba bei jedem Wetter (Schutz gegen Nässe und Kälte wird nicht bereitgestellt), ausführen musste, war er regelmäßig erkältet. BILD-Zeitungsverkäufer haben keine Arbeitslosen-, Kranken-Pflege oder Rentenversicherung und keinen Kündigungsschutz. Ohne Krankenversicherung können sie nicht direkt zum Arzt gehen, sondern müssen einen Krankenschein beim Sozialamt holen, das jedoch nur 2 Mal in der Woche geöffnet hat.
Als Mojtaba das letzte Mal schwerkrank zum Arzt ging, half die übliche Therapie nicht mehr. Er hatte Probleme beim Atmen und konnte das Essen nicht bei sich behalten. Er ging zum Klinikum und blieb dort zwei Wochen. Obwohl es ihm immer noch schlecht ging und sein Körper stark geschwächt war, wurde er entlassen. Nachdem sich sein Zustand nach einer Woche immer noch nicht gebessert hatte, ging er wieder zum Arzt, der sich erst nach Protesten seiner Freunde bereit erklärte, ihn ins Uniklinikum einzuweisen. Drei Tage später fiel er ins Koma und wurde ins Herzklinikum überstellt.
Sein Herz war entzündet. Sein weiteres Leben hing an einer Maschine, die nach dem Versagen von Lunge und Gehirn schließlich abgestellt wurde.
Schuld an seinem Tod sind die miesen Lebens- und Arbeitsbedingungen, die Sozialamtsbürokratie und das Nichternstnehmen seiner Erkrankung. Dies ist die Regel, die alle betrifft, die ohne sicheren Status in der BRD leben, da sie als Menschen zweiter Klasse oder gar schlimmer behandelt werden. Diese Probleme gehen uns alle an, nicht zuletzt da soziale Verschlechterungen meist an den Rechtlosen erprobt werden, um anschließend normalisiert zu werden.
Demobericht
Am Samstag, dem 10.12., gingen etwa 250 Menschen in Leipzig auf die Straße. Die Demovorbereitungsgruppe wollte damit kritisch an den internationalen Tag der Menschenrechte erinnern, eben jenen Tag, an dem vor 57 Jahren die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von der UN-Vollversammlung unterzeichnet wurde.
Dieses Datum wird von den Unterzeichnerstaaten ganz schnell verdrängt, wenn es darum geht, ImmigrantInnen zu akzeptieren, die für die eigene Wirtschaft einen Nachteil bringen könnten. So starben seit 1993 beim Versuch, in der Festung Europa eine neue Heimat zu finden, 5000 unschuldige Menschen. Spätestens seit Anfang Oktober in Ceuta und Melilla sechs Flüchtlinge erschossen wurden, richtet sich das Auge der Öffentlichkeit auf diese europäischen Bollwerke an der Küsten Marokkos, wo immer wieder Menschen mitten in der Wüste ausgesetzt werden.
Diese tödliche Heuchelei nahmen verschiedene linke Gruppierungen aus Leipzig zum Anlass dazu, eine Demo zu organisieren, die dem Slogan Bewegungsfreiheit für alle - Festung Europa niederreißen folgte. Die Demonstration begann 14 Uhr auf dem Südplatz, wo die versammelten Teilnehmer der Auftaktkundgebung lauschten und die ersten Flyer in ihre Hände bekamen. Darunter war ein recht ausführliches Flugblatt der Leipziger Antifagruppe LeA, das den verstaatlichten Rassismus anprangerte. Auf der ersten Zwischenkundgebung sprachen LeA und die Mojtaba-Gruppe (unterstützt von der FAU Leipzig) thematisierte die "Mauer des Schweigens", die vielen Flüchtlinge im Schatten und den Fall des in Deutschland geduldeten und gestorbenen Iraners Mojtabas (s.o.).
Die demonstrierenden Leute stammten größtenteils aus dem linken und studentischen Spektrum. Doch auch ImmigrantInnen nahmen teil. Über weite Teile der Demostrecke verlief die Demonstration recht kraftlos mit wenigen Rufen. Erst auf dem letzten Dritteln nahm sie Fahrt auf. Rundherum bildete ein für Leipziger Verhältnisse geringes Polizeiaufgebot die Begleitung,doch schon diese versuchten dem Demozug das Tempo vorzugeben (z.B. den Startschuss fürs Losstürmen) und stießen einige Demonstranten zurück, die jenseits der rechten Straßenseite liefen.
Auf der Abschlußkundgebung kamen noch das BgR (Bündnis gegen Realität), der AFBL (antifaschistischer Frauenblock Leipzig), die Anti-Lager-Gruppe aus Halle und die ig3o (die Intitiativgruppe gegen den Naziaufmarsch am 3. Oktober 2005) mit ihren Redebeiträgen zu Wort. Die Veranstaltung löste sich gegen 16.20 Uhr auf, und die Leute gingen ihre Wege im kalten Dezemberwind. Was bleibt ist ungewiss.
Ein Redebeitrag
Hallo! Wir sind heute hier, um auf die Festung Europa im Inneren Europas aufmerksam zu machen:
Wir, das sind Menschen ohne Aufenthaltsgenehmigung, Geduldete, Asylsuchende, Flüchtlinge, die von den deutschen Behörden nicht anerkannt und damit illegalisiert werden. Doch nicht wir wollen am Rande der Gesellschaft oder in der Illegalität leben, sondern die staatlichen Behörden drängen uns dazu. Wir leben in dieser und anderen Städten unauffällig im Schatten. Wir sind nicht wenige - schätzungsweise eine halbe bis eine Million Menschen schlagen sich in der BRD durch und versuchen ihr Auskommen zu organisieren.
Arbeit für Menschen ohne sicheren legalen Status gibt es auf Baustellen, in Großküchen, der Gastronomie, Privathaushalten, Märkten und Schlachthöfen oder hier in Leipzig bei der BILDzeitung. Ohne Verträge und ständig von Abschiebung bedroht, arbeiten wir zu minimalen Löhnen und miesen Bedingungen. Bei der BILD beispielsweise verkaufen wir nachts als Quasi-Selbständige ihre Zeitungen. Die Risiken müssen wir tragen: das Risiko in eine Polizeikontrolle zu geraten, das Risiko ohne ausreichend witterungsgemäße Kleidung zu einem medizinischen Notfall zu werden, das Risiko nicht genügend Zeitungen verkaufen zu können, um morgen wieder kommen zu dürfen
Dass man sich gesund halten muss und auch mal etwas riskieren muss, ist leichter gesagt, wenn man eine Krankenversicherungskarte, einen gültigen Ausweis und die Möglichkeit legal zu arbeiten hat. Mojtaba starb mit 26 Jahren an eben diesen Umständen, unter denen die Mehrzahl von uns beständig lebt:
Er verkaufte die BILD, eine Zeitung die schon mehrmals durch ausländerfeindliche Artikel aufgefallen ist, von 3-8 Uhr morgens, manchmal auch länger. Immer auf den Beinen, ohne Wetterschutz verwundert es nicht, dass er, wie viele von uns, regelmäßig erkältet war. Aufgeben konnte er diese Arbeit nicht, da er das Geld brauchte und sich einzeln gegenüber BILD zu beschweren, hätte ihm nur die sofortige Kündigung eingebracht, denn jede Nacht stehen andere bereit, bei der
kleinsten Verfehlung deinen Job zu machen.
Wenn wir dann dadurch krank werden, können wir nicht einfach zum Arzt, sondern müssen uns einen Krankenschein vom Sozialamt holen, welches nur zweimal in der Woche geöffnet hat. Oder aber wir borgen Versichertenkarten, von Freunden, die einen legalen Status haben. Wenn die Behandlung dann unzureichend ausfällt, oder man uns abweist, wie es Mojtaba geschah, sind wir auf uns allein gestellt. Dann ist es meist schon klar, dass wir ins Krankenhaus müssen, da die wenigen Arztbesuche, die man riskiert meist erst in Notfällen erfolgen.
Mojtabas Tod hätte vermieden werden können, wenn wir nicht als Menschen zweiter Klasse oder schlimmer behandelt werden würden. Es ist an der Zeit, dass wir uns zusammen tun und das Schweigen brechen!
Nehmen wir nicht länger hin als moderne Sklaven zu leben! Moderne Sklaven sind wir, da wir schutz- und rechtlos leben müssen und dennoch gleichzeitig ein bedeutender Teil der deutschen Wirtschaft sind.
Doch auch wenn man uns keine Rechte zugesteht, sind wir nicht wehrlos vor allem nicht, wenn wir uns mit anderen zusammen tun und uns unsere Rechte nehmen!
Durchbrechen wir gemeinsam eine der Mauern, die die Festung Europa im Inneren stärkt: die Mauer des Schweigens!
Wir schlagen allen, die sich in dieser Richtung engagieren wollen, vor uns zu kontaktieren!
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