Zum Streik bei Honda Motorcycle and Scooter India (HMSI)
Der einmonatige Streik bei HMSI im Juli und der Polizeiübergiff auf die streikenden ArbeiterInnen sorgte in Indien für großes Aufsehen. Dies lag vor allem daran, dass der Streik in einer modernen Fabrik eines multinationalen Unternehmens in einer bisher als konfliktfrei erachteten neuen Investitionszone stattfand und er drohte, zum Funken in einer insgesamt spanunngsgeladenen Atmosphäre der modernen indischen Industrie zu werden. Die Brutalität des Polizeiangriffs kann nicht aus dem Streik bei Honda allein, sondern nur aus der allgemeinen Unruhe in den Investitionsregionen erklärt werden.
Zur Region
Gurgaon liegt im Bundesstaat Haryana in der Nähe von Neu Delhi. Eine Stadt innerhalb einer ländlichen Region ohne Tradition von ArbeiterInnenkämpfen. Der neue Stadtkern ist geprägt durch moderne Bürokomplexe, Call Center, Einkaufszentren. Firmen wie Nokia, IBM Microsoft haben hier ihre Firmensitze. Die Regierung von Haryana fuhr bisher eine harte anti-gewerkschaftliche Linie, u.a. durch spezielle rechtliche Regelungen und Repression gegen Organisierungsversuche von ArbeiterInnen. Dies wird als Standortvorteil gegenüber internationalen Investoren verkauft. Der Industriegürtel ist innerhalb der letzten fünf Jahre aus dem Boden geschossen und umfasst rund 90 Fabriken, vor allem der Automobilindustrie. So werden zum Beispiel 70 Prozent aller in Indien produzierten Motorroller in der Region hergestellt. Besondere Präsenz haben japanische Unternehmensgruppen. Japan ist der viertgrößte ausländische Investor in Indien, und rund 70 Prozent aller japanischen Unternehmen in Indien haben ihren Sitz in Gurgaon. Die wichtigste Gewerkschaft in Gurgaon ist die AITUC, die von der kommunistischen CPI(M)unterstützt wird. Die CPI(M) [oder die CPI?!] selbst ist Regierungspartei in West Bengal, dem Bundesstaat mit dem zweitgrößten Zufluss von ausländischen Direktinvestitionen, u.a. hat Mitsubishi gerade einen Vertrag für eine 500 Millionen USD schwere Investition abgeschlossen.
Zur Situation in der modernen Industrie
Dem Streik bei Honda gingen verschiedene Konflikte innerhalb der neuen Automobilindustrie und innerhalb der internationalen Unternehmen voraus, die ein wachsendes Selbstbewusstsein der dort beschäftigten ArbeiterInnen ausdrückten und zu zum Teil beachtlichen Lohnsteigerungen führten. Bei HMSI haben die ArbeiterInnen laut Unternehmensführung bereits im Jahr vor dem Streik 100 bis 150prozentige Lohnerhöhungen erhalten. Im Juni 2005 forderten die ArbeiterInen bei Toyota in Bangalore 100prozentige Lohnerhöhungen. Ein Streik wurde abgewendet, das Management versprach 25 Prozent mehr Lohn. Bei den Autozulieferern Speedomax, Hitachi Electrics und Omax Auto in Gurgaon wurden Arbeitsniederlegungen erst einen Tag vor dem Polizeiangriff auf die Honda-ArbeiterInnen am 25. Juli 2005 beendet.
Zur Fabrik
Die Fabrik ist modern, erst vier Jahre alt. Sie produziert rund 2.000 Motorroller am Tag, beschäftigt zwischen 1.900 und 2.500 ArbeiterInnen. Diese werden zum Großteil über Tagesverträge und/oder Subunternehmen eingestellt. Die Löhne reichen gerade zum Überleben. Auch kommen die meisten ArbeiterInnen aus dem ländlichen Umfeld, viele von ihnen sogar aus den benachbarten Bundesstaaten. Insgesamt soll HMSI im Jahr 2004 rund 550.000 Roller in Indien verkauft haben.
Zum Anlass des Streiks
Der Konflikt begann im Dezember 2004, als Manager einen Arbeiteraktivisten geschlagen und vier weitere ArbeiterInnen entlassen haben, die angeblich an den Gründungsversuchen einer Gewerkschaft im Betrieb beteiligt waren. Als offiziellen Grund der Kündigung gibt das Unternehmen Disziplinlosigkeit im Betrieb an. Die Unruhe im Betrieb steigerte sich in den folgenden Monaten und brach in offenen Konflikt aus, als die Unternehmensführung 57 weitere ArbeiterInnen feuerte, die sich solidarisch mit den vier KollegInnen gezeigt hatten. Mitte Juni 2005 traten fast alle ArbeiterInnen der Fabrik in Streik. Das Unternehmen reagierte Ende Juni mit der offiziellen Entlassung von 1.000 ArbeiterInnen und Aussperrung der Streikenden.
Zum Streik
27. Juni: -- ArbeiterInnen aus dem Umland werden nicht von den Unternehmensbussen abgeholt. Sie sollen ein Papier unterschreiben, nach dem sie von Forderungen und Streiks absehen.
10. Juli: -- Rund 38 Prozent der ArbeiterInnen sollen weiterhin an der Arbeit seien. Es ist unklar, wie viele davon neu eingestellte Streikbrecher sind. Zwei Tage später wird die Anzahl der Arbeitenden mit 200 [pro Schicht?]angegeben. Die Produktion soll auf 30 Prozent geschrumpft sein. Der Verkauf des Rollers Unicorn soll im Juni 66,5 Prozent gegenüber Vormonat Mai zurückgegangen sein.
13. Juli: -- Die Arbeitgebervereinigung der Autozulieferindustrie (ACMA) fordert von der Regierung Schritte gegen den Streik bei Honda zu unternehmen, da er die Produktion in den umliegenden Fabriken zu beeinflussen droht.
17. Juli: -- Die Presse berichtet, dass das Unternehmen bereits 200 Millionen USD durch den Streik verloren hat. Sie berichtet ebenfalls, dass ein Großaufgebot an Polizeieinheiten aus den umliegenden Regionen nach Gurgaon verlegt werden. Gewerkschafter berichten von ersten Provokationen und Einschüchterungsversuchen seitens der Polizei und des Managements. Das Management bietet gleichzeitig an, 100 der ausgesperrten ArbeiterInnen wieder an die Arbeit zu lassen.
25. Juli: -- Zwischen 2.000 und 3.000 ArbeiterInnen von Honda und von benachbarten Fabriken demonstrieren in Gurgaon. Sie werden unterstützt durch Angehörige. In der Nähe der Fabrik kommt es zu Handgemenge mit der Polizei. Die Demo geht weiter. Es wird berichtet, dass ArbeiterInnen versuchen, den Highway 8 zu besetzen. Die Polizei greift angeblich ohne Vorwarnung die Demonstration mit Schlagstöcken, Tränengas und Gummigeschossen an. Im Fernsehen werden Bilder von Polizisten gezeigt, die auf bereits bewusstlose ArbeiterInnen einschlagen. Ein Arbeiter soll bereits auf der Straße gestorben sein. Die Angabe zur Anzahl der Verletzten schwankt zwischen 300 und 800. Viele haben Knochenbrüche und schwere Kopfverletzungen. Es kommt zu weiteren Straßenschlachten. Polizeifahrzeuge und Busse werden in Brand gesteckt. Das Fernsehen zeigt Bilder einer Gruppe von hunderten von Frauen, die Polizisten mit ihren eigenen Schlagstöcken verprügeln. Rund 300 ArbeiterInnen werden festgenommen, 60 80 von ihnen sitzen weiterhin im Knast, einige von ihnen sind wegen versuchten Mordes angeklagt.
26. Juli: -- ArbeiterInnen und Angehörige suchen in Krankenhäusern und Polizeistationen nach Vermissten. (Später gibt ein Gewerkschaftsanwalt an, gesehen zu haben, wie ein Arbeiter in einer Polizeistation zu Tode geprügelt und anschließend verbrannt wurde. Indische Zeitungen melden am 26. August, dass weiterhin 28 ArbeiterInnen als vermisst gelten.) Es kommt zu weiteren Straßenschlachten mit der Polizei, die sich auch am Folgetag fortsetzen.
28. Juli: -- Solidaritätsstreik in Gurgaon, ausgerufen von linken Parteien, allerdings laut offiziellen Medien mit geringer Beteiligung. Ein Indienweiter Protesttag wird für den 1. August angekündigt.
1. August: -- Die Produktion wird offiziell wieder aufgenommen, produziert werden allerdings nur 800-900 Roller pro Tag. Der Arbeitsaufnahme ist eine Schlichtungsvereinbarung vorausgegangen, an der jedoch keine ArbeiterInnenvertreter teilgenommen haben.
Zu den Resultaten des Streiks
Insgesamt soll der Streik bzw. die Aussperrung das Unternehmen 1,2 Billionen Rupien gekostet haben (22 Millionen Euro). Als offizielles Resultat wird in der Presse präsentiert: Wiedereinstellung der entlassenen ArbeiterInnen mit der Bedingung, dass sie eine good conduct-Erklärung unterschreiben, also von zukünftigen Konflikten und Forderungen absehen. Lohnerhöhung, ohne Angabe der Höhe, aber mit Vorbedingungen, dass für den Rest des Jahres keine weiteren Forderungen gestellt werden. Es gibt widersprüchliche Angaben zur Frage, ob die Streiktage bezahlt werden. Einige Quellen geben an, dass die Löhne für Mai und Juni gezahlt werden. Andere sagen, dass Streiktage nicht bezahlt wurden. Die AITUC fordert die Freilassung der noch inhaftierten ArbeiterInnen und ihre Anerkennung im Betrieb. Es ist unklar, wie sie zu dem Schlichtungsresultat steht. Sie wird allerdings von der CPI(M) besänftigt.
Zu den Reaktionen auf den Streik
Der Streik und der Polizeiangriff sorgten in Indien für großes Aufsehen und zwischen Indien und Japan für diplomatische Spannungen. Premierminister Singh traf Vertreter der linken Parteien, um über den Streik und seine Konsequenzen zu beraten. Am zweiten Tag der Straßenschlachten traf die Vorsitzende der regierenden Kongreßpartei Sonia Gandhi in Gurgaon ein, um zu vermitteln. Der japanische Botschafter spricht in den Medien davon, dass zukünftige Investitionen auf dem Spiel stehen. Lokale Automobilunternehmen drücken die Befürchtung aus, dass der Streik das Produktionsklima in ihren Fabriken gefährden wird. Im Fernsehen flimmern Hunderte von SMS, die Solidarität mit den Honda-ArbeiterInnen ausdrücken. In den Tagen nach dem Streik erscheinen zahlreiche Artikel in den großen Tageszeitungen, die sich fragen, ob der Streik ein Vorläufer einer Welle von Kämpfen in der Exportindustrie bzw. in den multinationalen Unternehmen sei, nachdem seit 2000 die allgemeinen Streikaktivitäten stark zurückgegangen waren. Die BJP übt sich in Nationalismus gegen ausländische Investoren, die CPI schließt sich dem einerseits halbherzig an, ruft aber einen Generalstreik für den 29. September gegen die Verschärfungen beim Arbeitsrecht aus. Die Unternehmer diskutieren ihre Forderungen hinsichtlich der veränderten Arbeitsgesetze vor dem Hintergrund des Streiks, nehmen ihn zum Anlass. Sie fordern u.a., dass Streiks in Zukunft drei Wochen vorher angekündigt werden müssen und Zustimmung von rund 75 Prozent der Belegschaft haben sollten. Für jeden Tag eines wilden Streiks sollen den ArbeiterInnen acht Tageslöhne abgezogen werden.
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