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In den Räumen des Gießener Weltladens eröffnet die Jugendwerkstatt einen
Verkaufsraum für Gebrauchtkleidung. In der Informationsbroschüre wird mit dem irritierenden Slogan: attraktiv-sozial-ökologisch-gemeinnützig für Waren geworben die durch Zwangsarbeit hergestellt oder veredelt werden.
Während auf der einen Seite das Übel der ausbeuterischen Arbeitsbedingungen für Beschäftigte in der Textilindustrie der sogenannten Entwicklungsländer angeprangert wird, sorgen Beschäftigungsträger wie die Jugendwerkstatt Gießen dafür Hungerlöhne auch hier wieder einzuführen.
Werbung zu machen mit der Clean Clothes Campaign, für eine Unternehmung, die hier selbst ausbeuterische Methoden des Wirtschaftens anwendet, um muntere
Umsätze zu erzielen, das empfinden wir als Skandal!
Unserer Ansicht nach ist es nicht vertretbar in den Räumen des Gießener Weltladens Waren anzubieten, die durch Zwangsarbeitsverhältnisse, Lohndrückerei und unwürdige Behandlung der Beschäftigten hergestellt werden.
Die meisten Beschäftigten der Jugendwerkstatt sind sogenannte
Ein-Euro-JobberInnen die gezwungen werden sich für
eine Aufwandsentschädigung von einem Euro je Stunde zu qualifizieren.
Wenn sie diese Arbeitsgelegenheit mit der Forderung nach einem wirklichen
Ausbildungsverhältnis oder einem anständig entlohnten Arbeitsplatz zurückweisen, drohen ihnen existenzgefährdende Sanktionsmaßnahmen bis hin zum vollständigen Entzug der gesetzlichen Unterhaltssicherungsleistungen.
Diese sind ohnehin viel zu gering bemessen um gut Leben zu können.
Die Aufwandsentschädigung ist kein Lohn, zudem erwirbt der so erpresste Mensch keine Versicherungszeiten auf zukünftige Sozialleistungen. Die Erwerbslosigkeit wird dadurch nur verlängert, das Finden einer fair bezahlten Tätigkeit sehr erschwert.
Solche erzwungenen Beschäftigungsverhältnisse führen nicht zu einer Integration in ein Berufsleben, sondern zur billigen Abschöpfung der Arbeitskraft und zeit der Betroffenen durch die jeweiligen Beschäftigungsträger. Diese kassieren zudem pro Zwangsarbeiter jeweils eine Verwaltungspauschale von 350.- bis 400.- Euro monatlich vom Arbeitsamt. Mit diesem Trick werden Unternehmen durch Gelder subventioniert die eigentlich den Erwerbslosen zur persönlichen Unterhaltssicherung dienen sollten.
Menschen auf diese Weise zu behandeln ist nicht fair.
Sinn stiftet solcherlei Beschäftigung sicherlich nicht bei den Betroffenen.
Ein-Euro-Arbeitsgelegenheiten sind Zwangsarbeit
Schluß damit!
FAU Lahn
Auf Wunsch des den Weltladen Gießen betreibenden Vereins veröffentlichen wir diese
"Gegendarstellung des Vereins Solidarische Welt e.V. Gießen zu dem Flugblatt der FAU Weltladen und Zwangsarbeit?
1.Der Weltladen teilt die Kritik an 1 Euro-Jobs und unterstützt sie nur, wenn sie freiwillig erfolgen und dem Betroffenen helfen, wieder in den normalen Arbeitsmarkt zurückzukehren. Wir suchen das Gespräch mit der Jugendwerkstatt darüber.
2. Die Jugendwerkstatt Gießen hat immer eine vorzügliche Arbeit geleistet, um chancenlosen Jugendlichen eine Ausbildung zu ermöglichen.
3.Wir weisen deshalb den Begriff Zwangsarbeit, den die FAU benutzt, mit Nachdruck zurück. Dieser Begriff ist für uns Deutsche mit sklavenähnlichen Bedingungen für Arbeiter/innen aus Osteuropa im 3. Reich verbunden.
4.Die Mitglieder der FAU fragen wir, warum sie ihre Kritik nicht rechtzeitig in das Plenum unserer Weltladengruppe eingebracht haben. Deshalb müssen wir ihr Verhalten dem Weltladen gegenüber als geschäftsschädigend bezeichnen.
5.Wir fordern die Mitglieder der FAU, die gleichzeitig im Verein Solidarische Welt e.V. Mitglieder sind auf, ihr Verhalten zu überdenken, ihre Polemik dem Weltladen gegenüber zu unterlassen, oder wenn sie dazu nicht bereit sind, unseren Verein zu verlassen.
Dieser Text wurde im Plenum am 25.7.05 verabschiedet."
Antwort und Anmerkungen zur Gegendarstellung des Weltladen Gießen
Zu 1.)
1.) 1-Euro-Jobs sind prinzipiell Zwangsmaßnahmen. D.h. bekommt Mensch von ihrem zuständigen Amt die Anweisung einen 1-Euro-Job auszuüben, dann muß sie das tun, sonst erwarten sie Sanktionen!
Soweit kann von Freiwilligkeit überhaupt keine Rede sein. Der einzige Schimmer von Selbstbestimmung welcher sich in diesem Zusammenhang andeutet, ist, das die derart betroffenen sich zur Zeit (im Idealfall) im Rahmen der TrägerInnen welche 1-Euro-Jobs anbieten einen Arbeitgeber aussuchen können. Wenn dieser sie denn dann nehmen will.
2.) Da 1-Euro-Jobs erfahrungsgemäß lediglich Aufbewahrungsmaßnahmen sind und eine bedarfsorientierte Qualifizierung der Betroffenen nur in den allerseltensten Fällen stattfindet, kann hier von einer Hilfe zum Wiedereinstieg in den normalen Arbeitsmarkt kaum die Rede sein. Im Gegenteil!
Längerfristig werden die 1-Euro- Arbeitsgelegenheiten den normalen Arbeitsmarkt durch die Schaffung eines Niedriglohnsektors kaputt machen!
3.) Laut SGB (Sozialgesetzbuch) 12 ist der Sinn, einen Menschen in solche 1--Arbeitsgelegenheiten zu stecken, der Erhalt seines Arbeitsrhythmus, also die optimale betriebswirtschaftliche Verwertbarkeit (anders formuliert Ausbeutbarkeit) und sonst nichts. Und das ganze ungeachtet der gesellschaftlichen und persönlichen Bedingungen (siehe oben) unter denen dieses dann im weiteren stattfindet, oder realer nicht stattfindet.
Zu 2.)
1.) Selbst wenn dem so sein sollte, was sich ausschließlich durch eine mindestens mal repräsentative, unabhängige Umfrage unter den betroffenen Jugendlichen feststellen ließe, würde dies nichts an den politischen und sozialen Kritikpunkten an Hartz IV und den beteiligten Trägern ändern.
2.) Bei Gesprächen mit 1--JobberInnen vor Ort, stellte sich heraus, daß der Großteil ihrer Vorgesetzten SozialpädagogInnen und ähnliches sind, und auf den jeweiligen Arbeitsgebieten ihrer Untergebenen meist erheblich weniger Fachkenntnisse haben als diese selbst. Von einer zweckdienlichen Ausbildung kann daher in den meisten Fällen keine Rede sein.
3.) Zwei junge Frauen, mit denen wir bei einem Ortstermin sprachen, und welche bei der Jugendwerkstatt Praktika ableisten, um ihre Chancen auf dem Ausbildungsmarkt zu verbessern, berichteten uns im übrigen anderes. So wurde ihnen zwar von der Jugendwerkstatt Weiterbildung und Hilfe bei der Lehrstellensuche versprochen, aber trotz wiederholter Nachfrage der beiden, nicht geleistet.
Zu 3.)
1.) Zwangsarbeit gab es vor dem dritten Reich ebenso wie danach und bis heute in zahlreichen Ländern. Der Begriff ist deshalb in seiner Bedeutung überhaupt nicht mit der Singularität des Holocaust vergleichbar. Daher hat seine Verwendung für uns auch keinerlei geschichtsverfälschende Wirkung. Er benennt statt dessen unmißverständlich und ohne Beschönigungen was Sache ist.
2.) Wie in unserer Flugschrift schon erwähnt, kann den Menschen welche die Aufnahme einer solchen Tätigkeit verweigern, der gesamte Lebensunterhalt (bis auf die Miete) gestrichen werden.
Das Prinzip ist klar: Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen!
Wie anders ist das zu bezeichnen, als erzwungene Arbeit - und damit Zwangsarbeit ?
Zu 4.)
1.) Dieser Vorwurf kann ausschließlich an die FAU-MitgliederInnen welche ebenfalls im Weltladen tätig sind gerichtet werden, da die Informierung der Gruppe nur durch die selben erfolgte.
2.) Was ist unter rechtzeitig zu verstehen?
Die beiden besagten Personen sind aus Zeitgründen seit längerem nicht mehr auf den Weltladensitzungen gewesen, weshalb sie über die neuen Untermieter des Weltladens und deren Verflechtungen mit Zwangsarbeitsprofiteuren leider nicht ausreichend informiert waren. Eine später von einem der beiden an die Vorsitzende des Vereins herangetragene diesbezügliche Kritik, wurde mit dem Hinweis, das diese zu spät (MIETVERTRAG?) käme abgewiegelt. Hier hätten die beiden sicher weiter nachfassen müssen.
Grundsätzlich sollten aber Menschen die sich in einem Projekt für gerechtere Arbeitsbedingungen und Löhne in der dritten Welt engagieren einen Konsens haben, das eben diese Bedingungen in der ersten Welt nicht zerschlagen werden. Errungenschaften auf dem sozialen Sektor, sowie auf jenem der Lohnarbeitsbedingungen die wir aufgeben, werden in der dritten Welt wenn überhaupt, dann sicher nicht leichter erkämpft werden können! Daher hätten die bei der Beschlußfindung anwesenden WeltladenmitgliederInnen, insbesondere die im (mit der Jugendwerkstatt kooperierenden) Textilbündnis tätigen, sich ihrer diesbezüglichen Verantwortung auch bewußt sein sollen.
3.) Geschäftsschädigend ist in diesem Zusammenhang wohl kaum die Veröffentlichung eines Mißstandes, als wohl viel mehr die, (wenn auch indirekte) Unterstützung der Ermöglichung des selben!
FAU Lahn, 29.8.2005
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