Argentinien: Eskalation gegen die Arbeiter der besetzten Fabrik Zanon
Eine Woche nach den telefonischen Morddrohungen gegen Raúl Godoy und Alejandro López, Sprecher der Gewerkschaft SOECN und der Zanonarbeiter, kam es zu einem blutigen Überfall. Am 4. März wurde die Frau eines Zanon-Arbeiters entführt, bedroht und verletzt. Drei Männer und eine Frau zerrten die 24-Jährige in ein Auto, schlugen sie und drohten, auch ihrem Kind etwas anzutun: sie wüssten genau, wo sie ihr Kind lässt, wenn sie zur Arbeit fährt. Sie verfügten über Detailwissen und müssen die Familie systematisch beobachtet haben.
Mit einem scharfen Gegenstand fügten sie der Frau blutige Schnitte am Oberkörper und im Gesicht zu und sagten: Das ist für Godoy, für López und für Mariano Pedrero (den Anwalt der Zanonarbeiter). Das ist wegen Zanon. Sag denen, dass wir in der Gewerkschaft ein Blutbad anrichten werden. Wir wollen, dass du mit blutigem Gesicht dort ankommst, um ihnen zu zeigen, wie sie alle aussehen werden. Sie werden alle in die Fabrik umziehen müssen, denn wir werden sie sonst alle umbringen. Nach zwanzig Minuten liessen die Vermummten ihr Opfer frei. In der folgenden Nacht drangen die Täter in das Haus der Entführten ein und bedrohten sie erneut. Das Fahrzeug der Täter ist ein Ford-Falcon. Dieser Autotyp hat in Argentinien einen schrecklichen Symbolwert, denn er wurde von den Militärs für ihre Entführungen benutzt. Vor und während der Miliärdiktatur in Argentinien (1976-83) verschwanden 30000 Menschen. Die meisten von ihnen waren gewerkschaftlich und politisch aktive ArbeiterInnen.
Die ArbeiterInnen von Zanon sehen den Überfall als weitere Eskalation in der derzeitigen Repression, deren Beginn sie auf den November 2003 datieren. Damals ging die Polizei mit grosser Brutalität gegen Arbeitslose vor, denen die Zanonarbeiter in einer stundenlangen Strassenschlacht zuhilfe kamen. Mehrere Menschen wurden durch Gummigeschosse und sogar scharfe Munition verletzt. Der Zanonarbeiter Pedro Alveal verlor dabei ein Auge. Erst vor kurzem ist es den AnwältInnen der Zanonarbeiter gelungen, nach mehreren Einstellungen doch noch ein Strafverfahren gegen beteiligte Polizisten in Gang zu bringen.
Noch ist unklar, woher genau die derzeitigen Angriffe kommen, aber alle Hypothesen deuten in dieselbe Richtung: auf die Provinzregierung. Dies gilt auch für die Vermutung, dass die ehemaligen unternehmertreuen Gewerkschafter dahinterstecken könnten, die schon einmal versucht haben, den Betrieb mit Gewalt zurückzuerobern, denn auch diese Mafia hat beste Verbindungen zur Provinzregierungspartei MPN.
Nachdem zuerst bekannte Führungspersönlichkeiten bedroht wurden, ist nun die Frau eines Arbeiters angegriffen worden, der keinerlei besondere Funktionen in der besetzten Fabrik ausübt. Wenn die Täter damit sämtliche ArbeiterInnen einschüchtern wollten, haben sie sich verrechnet. Bei einem Diskussionstag in der Fabrik über die Vorfälle haben die ArbeiterInnen ihre Einheit und Entschlossenheit bekräftigt. Die Entführte selbst hat sie aufgefordert, auf keinen Fall in ihrem Kampf nachzulassen und sich durch diesen Überfall nicht aufhalten zu lassen. Diese Entschlossenheit haben am 8.3. in Neuquén 5000 Menschen demonstriert. Die entführte compañera ging bei dieser Demonstration in der ersten Reihe. Die CTA (einer der drei Gewerkschaftsdachverbände, der vor allem im Öffentlichen Dienst vertreten ist) hat für diesen Tag in der Provinz Neuquén zu einem Streik mit Mobilisierung aufgerufen. Bei der Demonstration waren neben den ZanonarbeiterInnen und ihren Familien besonders viele LehrerInnen. Unterricht hat an diesem Tag in der Provinz kaum stattgefunden. In der über tausend Kilometer entfernten Hauptstadt Buenos Aires haben am Vorabend im instandbesetzten Vier-Sterne-Hotel BAUEN die Arbeiter der U-Bahn (Subte) ein grosses Treffen organisiert, bei dem viele Organisationen und Delegationen aus Betrieben ihre Solidaritaet mit den ArbeiterInnen von Zanon bekräftigt haben. Hier wurde beschlossen, in der folgenden Woche mit einer "Karawane" nach Neuquén zu fahren, und zeitgleich mit den Zanon-Arbeitern in der Hauptstadt zu demonstrieren. Etwa zweihundert Leute haben dort zwei Stunden lang die Vertretung der Provinz Neuquén belagert.
Wieder einmal hat sich gezeigt, dass die ArbeiterInnen dieser besetzten Fabrik mit grosser Unterstützung aus der Bevölkerung und anderen Betrieben rechnen koennen. Da zu befürchten ist, dass die Angriffe weiter gehen oder noch weiter eskalieren, ist Solidarität zur Zeit besonders nötig.
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