Wie die Bundesagentur Agenturschluss machte
Die Zentrale der Bundesagentur für Arbeit ist offensichtlich wild entschlossen, die Agenturschluss-Aktionen in mehr als 60 Städten am 3.1.2005 zu einem vollen Erfolg werden zu lassen und nach Kräften zu unterstützen. Kurz vor Jahreswechsel sorgte ein Softwarefehler in der Transaktionssoftware dafür, dass mehr als 1.800.000 Zahlungsanweisungen, mithin über die Hälfte aller Buchungen fehlschlugen. Der Schaden wird sich bis zum 3. Januar in den meisten Fällen nicht mehr beheben lassen. Während die Verantwortlichen aus Politik und Verwaltung verzweifelt versuchen, die Auswirkungen gegenüber der Presse herunterzureden, tagen intern die Krisenstäbe, um zu überlegen, wie man mit dieser Situation fertig werden könnte.
Warum also nicht die schlimmsten Träume wahrmachen? Kontoauszug ziehen und am 3. Januar in der lokalen Arbeitsagentur auflaufen und lautstark und nachdrücklich Geld verlangen. Alleine schon der Versuch herauszufinden, ob jemand tatsächlich berechtigt ist und ob er oder sie zum Kreis der von den Fehlbuchungen Betroffenen gehört, dürfte mühelos zu einem Agenturschluss der besonderen Art führen. Auch in Orten, wo derzeit noch keine Aktionen angekündigt sind.
Was ist geschehen?
Durch einen kleinen, aber verhängnisvollen Fehler in der Programmierung der Überweisungssoftware für die ALG2-Bezieherinnen, werden alle diejenigen, die eine Kontonummer mit weniger als 10 Stellen haben, am 3. Januar nicht wie zugesichtert ihre Geld auf dem Konto haben. Während die Verantwortlichen verschämt von "einigen Zehntausend" sprechen, sind in Wahrheit mehr als die Hälfte aller ALG2-BezieherInnen, mehr als 1.800.000 Menschen von der Panne betroffen. Alleine bei der Postbank sind es mehr als 200.000. Wer sein Konto bei einer Sparkasse oder Volksbank hat, gehört mit großer Wahrscheinlichkeit ebenfalls zu den VerliererInnen.
So sollen z.B. bei der Sparkasse in Wuppertal mehr als 10.000 falsche Transaktionen eingegangen sein. Der Umstand, dass in der Zentrale der Bundesagentur eine Software an den Start geht, reiht sich nahtlos ein in sonstige Software-Pannen aus dieser Behörde. So funktioniert die A2LL-Software zur Erfassung der ALG2-Anträge bis heute nicht vernünftig und ist mit dafür verantwortlich, dass weit weniger Fälle abgeschlossen wurden, als offiziell verkündet wurde.
Eine Schlamperei mit fatalen Folgen
Nachdem hunderttausende Überweisungen wegen der Fehler in den Kontennummern automatisch abgewiesen wurden und angeblich bei mindestens einer Bank zum Zusammenbruch des Buchungssystems geführt haben, wurde in Nürnberg sofort ein Krisenstab eingerichtet, der zum einen die Katastrophe medial vermitteln, zum anderen nach Lösungsmöglichkeiten suchen sollte. So wurden die Banken händeringend gebeten, die Überweisungen trotz des Fehlers in den Kontennummern auszuführen. Das allerdings würde auch ohne Feiertage und Haupturlaubssaison manuell Tage bis Wochen dauern. Zumal die meisten Bankcomputer fehlgestellte Beträge ab einer gewissen Höhe automatisch ablehnen. Die Bereinigung dieses Chaos wird sich absehbar noch weit bis in den Januar hineinziehen.
Abwiegeln und mehr Polizei
Auch der Bundesagentur ist klar, dass am 3. Januar viele hundertausend, vermutlich sogar weit über ein Million ALG2-BezieherInnen ohne Geld dastehen werden. Um zu verhindern, dass sich die Empörung darüber Anfang Januar in den Agenturen Bahn bricht, versucht man offensichtlich das ganze Ausmaß der Schlamperei herunterzuspielen und hofft wie üblich darauf, dass sich die Betroffenen klaglos mit der Situation abfinden. Tatsächlich aber wurden in den letzten Tagen in vielen Orten noch einmal Gespräche mit der Polizei und mit privaten Sicherheitsdiensten geführt, um auch in Orten wie Mülheim an der Ruhr, in denen bislang keine Agenturschluss-Aktionen angekündigt sind, am 3. Januar Polizeischutz für die Agenturen anzufordern. Man hat offensichtlich Angst, dass sich aus dem Gefühl um Zahlungen geprellt worden zu sein, in Kombination damit, dass ab Januar das Verarmungsniveau deutlich spürbar wird, eine explosive Mischung zusammenbraut.
Wir wollen Kohle
Für die Agenturschluss-Aktionen eröffnet der GAU aus Nürnberg interessante Perspektiven. Zum einen ist damit zu rechnen, dass auch in Orten, wo die Arbeitsagentur es tunlichst vermieden hat, am 3. Januar irgendwelche ihrer "Klienten" einzubestellen (das ist in vielen Städten der Fall, wo es Agenturschluss geben wird), zu Aufläufen von Betroffenen kommen wird, die ihre Kohle einfordern. In dem Zusammenhang sein noch einmal daran erinnert, dass jeder beim Besuch der Arbeitsagentur das Recht auf einen von ihm gewählten Beistand hat. Zusammen mit der anwesenden Polizei, die sich in Städten wie Oberhausen gleich hundertschaftsweise in und vor der Agentur postieren will und den anderen AgenturschliesserInnen ist ein nettes Durcheinander damit auf jeden Fall vorprogrammiert. Das wird sicherlich nicht eben kleiner, viele Leute an den Einlasskontrollen mit ihren Kontoauszügen herumwedeln und lautstark und empört nach ihrer Kohle verlangen. Das müssen ja beileibe nicht nur tatsächlich "Berechtigte" sein. Die Verstopfung ist damit vorprogrammiert.
In dem von Nürnberg verursachten Chaos werden die SachbearbeiterInnen vor Ort im übrigen keinerlei Möglichkeit haben festzustellen, ob Überweisungen tatsächlich (schon) angekommen sind. Sie werden sich also wohl oder übel auf Barauszahlungen oder Schecks einlassen müssen. Sollte es dabei zu Doppelzahlungen kommen, weil die Kohle zwei Tage später dann doch auf dem Konto eingetroffen ist, muss die Überzahlung zurückgefordert werden. Das führt erneut zu erheblichem Aufwand in einer Situation, wo durch noch nicht fertig bearbeitete Anträge und durch die steigende Zahl von Widersprüche gegen schon bewilligte sowieso niemand mehr so recht weiss, wie es eigentlich weitergehen soll.
So oder so, der 3. Januar und die Zeit danach verspricht interessant zu werden.
Vielen Dank schon mal an die so herzerfrischend unfähige Verwaltung in Nürnberg!.