Irak: ArbeiterInnen im Kampf gegen Privatisierung und Arbeitslosigkeit

Als der Krieg im Irak mit dem Sturz der Hussein-Diktatur offiziell endete, sahen viele Menschen die militärische Beendigung des Regimes als jene "Befreiung" an, die das Bündnis der "Willigen" unter US-Führung versprochen hatten. Aber wie geht es den Menschen im Lande nach der Besetzung des Landes durch die Bündnisarmeen? Wie ist die Situation der ArbeiterInnen im Irak heute, im Frühjahr 2004?

Viele Fragen tun sich auf und noch schwieriger ist es, darauf Antworten zu finden. Vor allem, da es in dem zerstörten Land nach Jahrzehnten der Diktatur keine funktionierende Öffentlichkeit gibt. Als AnarchosyndikalistInnen würden wir gerne mehr wissen über die freiheitlichen Traditionen und die aktuellen Kämpfe der
ArbeiterInnen-Bewegung im Irak. Doch darüber gibt es zur Zeit nicht viele Informationen. Daher haben wir in diesem Artikel, um die sozialrevolutionären Kämpfe und ihr politisches Umfeld im besetzten Irak darzustellen, mehrere Originaltexte von politischen Organisationen aus dem Irak verwendet, aber auch Delegationsberichte und Hintergrundartikel aus anderen Ländern.

Die meisten Informationen fanden wir über die gewerkschaftlichen und politischen Aktivitäten der "Arbeiterkommunistischen Partei des Irak" (WPI) und der "Irakischen Kommunistischen Partei" (ICP). Aber es gibt auch eine weniger bekannte Tradition des freiheitlichen Kommunismus im Irak: So berichtet die südafrikanische Anarcho-kommunistische Föderation, dass es bereits 1976 eine Abspaltung der Jugendorganisation der Irakischen Kommunistischen Partei (HSI) gab, die nicht mit deren damaliger Zusammenarbeit mit der Baath-Diktatur einverstanden war. Die Jugendgruppe gründete daraufhin eine anarcho-kommunistische Arbeiterbefreiungsgruppe (worker´s liberation group) namens "sharila", die zahlreiche Agenten der irakischen Geheimpolizei ermordet haben soll. Diese Gruppe sei dann 1978/79 in den benachbarten Iran gegangen,
um sich dort der revolutionären ArbeiterInnen-Bewegung anzuschliessen.
Gemeinsam mit der iranischen, anarchistischen Organisation "Schrei des Volkes" (scream ot the people) seien sie jedoch 1979 nach der Machtübernahme des schiitischen Ayatollah Khomeini in den Untergrund gedrängt worden. Es wird vermutet, dass diese Gruppen heute immernoch im Untergrund aktiv sind.

Die kommunistische Bewegung und der nationalistisch-religiöse "Widerstand"

Die zwei einflussreichsten marxistischen Parteien sind die traditionelle "Irakische Kommunistische Partei" (ICP) und die moderne "Arbeiterkommunistische Partei des Irak" (WPI), beziehen sich beide auf Marx und Lenin. Sie stehen aber mit ihren politischen und gesellschaftlichen Aktivitäten teilweise in einem Konkurrenzkampf
zueinander und versuchen durch Vorfeldorganisationen die Menschen zu organisieren. So steht die "Gewerkschaft der Arbeitslosen" (UUI) der rätekommunistisch geprägten "Arbeiterkommunistischen Partei des Irak" nahe und hat maßgeblich zur Gründung der "Föderation der Arbeiterräte und Gewerkschaften im Irak" (FWCUI) beigetragen hat. Beide Gewerkschaften organisieren seit Monaten die irakischen ArbeiterInnen in ihren Kämpfen. Aber es gibt auch die "Irakische ArbeiterInnen-Gewerkschaftsföderation" (IFTU), die ebenfalls nach dem Sturz der Hussein-Diktatur gegründet wurde und im ganzen Land aktiv ist. Der Vorstand der IFTU wird jedoch von Mitgliedern der "Irakischen
Kommunistischen Partei" (ICP) dominiert.

Die "Irakische Kommunistische Partei" (ICP) ist die älteste Partei im
Irak und wurde nach dem Ende der britischen Kolonialherrschaft 1934
gegründet. Die Kommunistische Partei war in jahrzehntelanger Opposition
zu der seit 1963/68 blutig herrschenden Diktatur der arabisch-völkischen Partei "Baath" ("Wiedergeburt") und wurde immer wieder verfolgt. Sie verfolgte seit den 1960er Jahren einen arabisch-nationalistischen Staatskommunismus und beteiligte sich ab 1973 trotz der früheren Verfolgung sogar gemeinsam mit der Baath-Partei an der Regierung einer "Nationalen Fortschrittsfront", die mit der
Sowjetunion (UdSSR) zusammenarbeitete. Die ICP verliess das
Regierungsbündnis erst wieder 1979 mit der aufkommenden Diktatur Saddam
Husseins. Seit der großen Verfolgungswelle von 1980 musste die ICP dann
im Untergrund arbeiten. Sie konnte nur noch im kurdischen Nordirak
weiter kämpfen, aber nach dem zweiten Golfkrieg (1991) allerdings auch
in offener Opposition zum Hussein-Regime. Auch die "Kurdische
Kommunistische Partei" ist ein Teil der heute
demokratisch-föderalistisch aufgebauten "Irakischen Kommunistischen
Partei" und beteiligt sich auch an der kurdischen Selbstverwaltung.

Die "Irakische Kommunistische Partei" war anfangs auch Mitglied im
"Irakischen Nationalkongress" (INC). Dort hatten sich 1992 neben
mehreren kurdischen Parteien auch andere von der Baath-Diktatur
unterdrückte Gruppierungen zusammengefunden: zum Beispiel der
schiitische "Hohe Rat für eine Islamische Revolution im Irak" (SCIRI)
und die schiitische "Islamische Al-Daawa Partei" (IDP). Die Kommunistische Partei hat also - damals wie heute - wenig Probleme mit religiösen Fundamentalisten zusammen zu arbeiten. Allerdings sprach sie sich gegen die strenge Ausrichtung des Nationalkongresses auf dessen Unterstützung durch die USA aus, die ihn 1995 zu einem erfolglosen Putschversuch gegen Hussein führte. Gemeinsam mit verschiedenen religiösen und nationalistischen Parteien ist die "Irakische Kommunistische Partei" heute am "Irakischen Regierungsrat" (IGC) beteiligt, da ihr Generalsekretär dort zu einem Vertreter der schiitischen, islamischen Bevölkerung bestimmt wurde. Der Regierungsrat wurde im Juli 2003 von der "Übergangsverwaltung der Koalition" (CPA) eingesetzt und soll so schnell wie möglich eine bürgerlich-kapitalistische Regierung im Irak bilden.

Auf der anderen Seite ist die "Arbeiterkommunistische Partei des Irak" (WPIraq), die die Schwesterpartei "Arbeiterkommunistischen Partei des Iran" (WPIran) ist, welche in der benachbarten "Islamischen Republik Iran" seit 1991 aktiv ist. Die WPI wurde im Irak 1993 von vier marxistischen Gruppen gegründet. Sie verfügt mittlerweile mit etwa 150.000 Mitgliedern über eine gewisse Basis, vor allem in mehreren Städten im kurdischen Nordirak. Die Arbeiterkommunistische Partei hatte
sich aber nie an den bewaffneten Aufstandsversuchen gegen die Baath-Diktatur beteiligt. Auch heute ist spricht sie sich sowohl gegen den eingesetzten "Irakischen Regierungsrat" aus, wie auch gegen die Militärbesatzung und gegen den terroristischen "Widerstand".

Die Arbeiterkommunistische Partei protestiert daher dagegen, dass viele
"Parteien der vorherigen bürgerlichen irakischen Opposition,
insbesondere die arabischen und kurdischen ethnozentristischen
Parteien, die Irakische Kommunistische Partei [ICP] und die Ex-Generäle
und Beamten von Saddams Regime (...) direkt in unterschiedlichem Maße,
unter unterschiedlichen Vorwänden dazu beigetragen [haben], das
Baath-Regime zu unterstützen (...). All diese Parteien, darunter die
islamistischen Parteien und andere reaktionäre Gruppierungen die im
Irakischen Nationalen Kongress [INC] vereint wurden, unterstützen den
Kapitalismus und eine extreme wirtschaftliche Unterdrückung der
Arbeiterklasse. Sie wollen die Bedingungen, die das Baath-Regime der
Arbeitern auferlegt hat, nicht ändern."

Andererseits hatte sich die "Irakische Kommunistischen Partei" (ICP)
zwar gegen einen Krieg zum Sturz Husseins ausgesprochen, aber nachdem
dies nun geschehen ist, versuchen die nationalen KommunistInnen nun
gemeinsam mit dreizehn der politischen Parteien im Irak zusammen zu
arbeiten. Irgendwann wollen sie dann gemeinsam als Nationalversammlung
die Regierungsgewalt im Irak von der US-Koalition oder von den
Vereinten Nationen (UN) übergeben bekommen.

Die Gründung der neuen irakischen Regierung ist für Juli 2004 geplant,
aber momentan steht dem noch der anhaltende militärische Terror des
sogenannten "Widerstandes" entgegen. Dieses
fundamentalistisch-nationalistische Netzwerk hat kein Interesse daran
hat, dass der Kriegszustand im Irak beendet wird. Als politische
Vertretung dieses bewaffneten Terrors wird die "Irakisch Patriotische
Allianz" (IPA) angesehen. Sie ist ein 1992 gegründetes Bündnis von
arabischen Nationalisten und islamistischen Gruppierungen. Die
Patriotische Allianz sieht sich in einem bewaffneten "Heiligen Krieg"
gegen die angeblich "amerikanisch-zionistische Koalition" der
Besatzungsmächte und gegen vermeintliche irakische "Kollaborateure". An
der Patriotischen Allianz sind anscheinend auch kleinere
national-kommunistische Gruppierungen beteiligt, die sich Ende der
1980er Jahre von der "Irakischen Kommunistischen Partei" (ICP)
abgespalten haben: die "Irakische Kommunistische Partei (Kader)" und
die "Patriotisch-Demokratische Irakische Kommunistische Strömung"
(PDIKS), deren Mitglieder wohl allerdings mehrheitlich im Exil leben.

Die Patriotische Allianz wird politisch und finanziell auch von der
europäischen "Antiimperialistischen Koordination" (AIK) unterstützt.
Diese Unterstützung für irakischen Patrioten wird vor allem von
deutschen, österreichischen, italienischen und türkischen
KommunistInnen aus dem Umfeld des "Antiimperialistischen Camps"
organisiert. Die bekannteste Form solcher Unterstützung ist die
umstrittene Kampagne "10 Euro für den irakischen Widerstand". Die
AntiimperialistInnen der AIK führen im Bündnis mit Nationalisten und
Islamisten einen angeblich "gerechten" Kampf gegen die Besatzung der
Anti-Hussein-Koalition.

Der Vorsitzende der "Antiimperialistischen Koordination" bekennt ganz
offen: "Der Baathismus und die Mitglieder der Baath-Partei werden als
Teil der irakischen nationalen Tradition akzeptiert." und "Eine
Widerstandszelle umfasst Nationalisten, Baathisten, Islamisten oder
sogar Kommunisten. Aber sie alle wollen das arabisch-islamische
Heimatland verteidigen."

Die "Antiimperialistischen Koordination" hofft darauf, dass der
andauernde "Widerstand" der Terrorgruppen in einigen Jahren diesen
"Volksbefreiungkrieg" gegen die "Neue Weltordnung" der USA und ihrer
Verbündeten gewinnen wird, um dann selbst die Macht zu übernehmen.

Gegen diesen Terror spricht sich jedoch auch die rätekommunistische
"Gewerkschaft der Arbeitslosen" aus. Die UUI sagt zu der "Widerstand"
genannten Repression im Irak:
"Kein Tag vergeht, an dem Frauen sich durch die Aktivitäten dieses
'Widerstands' sich immer weniger auf die Strassen trauen können. Aus
den Reihen dieses 'Widerstands' kamen Morde an Arbeiteraktivisten,
Vergewaltigungen und Verschleppungen von Frauen als 'politisches'
Mittel. Der 'Widerstand', welcher hier von europäischen Gruppen und
Einzelpersonen finanziell unterstützt werden soll, steht für das
nationalistisch-völkische und/oder politisch-islamistische Lager, er
steht für Reaktion, Brutalität und Unterdrückung, (...) er kämpft nicht
auf der Seite der einfachen Menschen, der Arbeiter und Erwerbslosen.
(...) Da wird gerne vom 'Selbstbestimmungsrecht der Völker' und
'nationalem Widerstand' geredet, Hauptsache, keine Truppen der USA und
ihrer Verbündeten sind in der Gegend, und was dann eine ethnische,
nationale und/oder religiöse Bourgeosie und Diktatur mit den Arbeitern,
Erwerbslosen, Kindern, Frauen, Homosexuellen, Juden und Individuen, die
frei denken und leben wollen, grausam und brutal anrichtet, fällt nach
dieser Denkweise dann unter 'Kultur' und nationales
'Selbstbestimmungsrecht der Völker'..."

Auch die "Irakische ArbeiterInnen-Gewerkschaftsföderation" (IFTU), die
von der "Irakischen Kommunistischen Partei" (ICP) beeinflusst ist, ist
zwar einerseits gegen die Besatzungskoalition, aber sie spricht sich
andererseits auch grundsätzlich gegen jede Form von Militanz aus. Die
Gewerkschaftsföderation IFTU hofft, dass sie durch die Einhaltung des
Demonstrationsverbots und der Beschränkung auf legale Politik die in
der Bevölkerung weit verbreiteten, strengen Ordnungsvorstellungen aus
der Zeit der Baath-Diktatur nicht provoziert.

Die IFTU wurde im Mai 2003 auf Einladung der seit 1980 im Untergrund
tätigen "Demokratischen ArbeiterInnen-Gewerkschaftsbewegung" (WDTUM)
von 400 AktivistInnen aus 12 Branchen gegründet. Die Föderation lehnt
ebenfalls den bewaffneten Terror der islamistischen und
nationalistischen Gruppen gegen Besatzungstruppen und
Übergangsverwaltung ab. Darin sind sich die beiden kommunistischen
ArbeiterInnen-Organisationen IFTU und UUI einig. Allerdings führt die
Arbeitslosengewerkschaft (UUI) auch militante, direkte Aktionen und
verbotene Demonstrationen durch, die dann oft von Islamisten und
anderen Reaktionären angegriffen werden.


Die Situation der Bevölkerung und die Wirtschaftslage

Nach Angaben der "Gewerkschaft der Arbeitslosen" haben im Irak rund
sieben Millionen Menschen - also 70 % der Arbeitskräfte - keine Jobs.
Das führt größtenteils zu Hunger und Obdachlosigkeit, da die
Erwerbslosen nicht den nötigen die Kosten für den Lebensunterhalt einer
Familie bezahlten können, die (umgerechnet) etwa 500 Euro im Monat
betragen. Die offiziellen Angaben der Vereinten Nationen und der
Weltbank gehen zwar "nur" von 50% Arbeitslosigkeit aus, aber diese Zahl
ist bloß deshalb niedriger, weil dafür alle 24 Millionen EinwohnerInnen
als Grundlage genommen wurden - und nicht nur die Erwerbstätigen. Da es
momentan keinen irakischen Staat gibt und auch keine
Arbeitslosenunterstützung, versucht der größte Teil der Bevölkerung
entweder durch illegale Einkommen zu überleben oder durch die
Grundnahrungsmittel des Austauschprogramms "Food for Oil" der
"Vereinten Nationen" (UN).

Die US-Truppen und ihre "Koalition der Willigen" haben die irakische
Gesellschaft und ihre Lebensgrundlagen ruiniert. Die Bombenangriffe und
Gefechte haben die von jahrzehntlanger Diktatur, Krieg und
Wirtschaftsboykott gebeutelte Bevölkerung weiterhin verunsichert. Die
sozialen Netze und traditionellen Verbindungen sind teilweise zerstört.
Millionen Menschen sind ohne Lebensperspektive und viele sogar ohne
Wohnung. Dazu kommt, dass es - wie in Bagdad - pro Tag manchmal weniger
als acht Stunden lang elektrischen Strom gibt. Und die Wasserversorgung
ist so schlecht, daß im Süden des Landes wieder die Seuche Cholera
ausgebrochen ist. Doch mindestens genauso bedrohlich ist die
öffentliche Sicherheit, die durch die andauernden Angriffe von
Islamisten und Nationalisten und durch die Angriffe der
Besatzungsarmeen fast täglich weiter außer Kontrolle gerät.

Auch seit dem offiziellen Ende des Irak-Kriegs geht der Krieg der
Angriffs-Koalition weiter - auch gegen die Zivilbevölkerung: So wurden
zum Beispiel seit dem offiziellen Ende der Kämpfe im April 2003 mehr
als 1.000 Kinder durch noch kurz vorher abgeworfene Mini-Sprengsätze
verletzt oder getötet. Diese Streu-Bomben sind zwar international
geächtet und verboten, aber die USA und Britannien lassen sich davon
nicht abhalten die Langzeit-Waffen weiterhin herzustellen und
einzusetzten.

Die "normale" Kindersterblichkeit im Irak lag vor dem Krieg nur bei 5%
(BRD 4%) und die Frauen brachten durchschnittlich 4,5 Kinder zur Welt.
Die Hälfte der Bevölkerung war jünger als 15 Jahre alt (BRD 15%) und
konnte erwarten im Durchschnitt 67 Jahre alt zu werden (BRD 78 Jahre).
Obwohl 85% der Bevölkerung offiziell eine Schulausbildung erhalten
haben, liegt die Rate der männlichen Analphabeten bei 45%. Für die
irakischen Frauen ist es noch schlimmer, denn sogar 75% von ihnen haben
weder Lesen noch Schreiben gelernt.

Wie auf der ganzen Welt, sind auch im Irak die Frauen der
traditionellen, patriarchalen Gewalt unterworfen. Sie werden nicht nur
durch sexueller Gewalt angegriffen, sondern es gibt auch zahlreiche
"Ehrentötungen". Die "Organisation der Freiheit von Frauen im Irak"
(OWFI) fordert daher nicht nur die Gleichberechtigung durch Einführung
von Frauenrechten, sondern auch eine weltliche Verfassung, um Staat und
Religion vollständig zu trennen.

Die "Gewerkschaft der Arbeitslosen" berichtet ausserdem, dass sich
bekannte Frauenrechtsaktivistinnen aus Angst vor Morddrohungen von
Islamisten niemals länger an einem Ort aufhalten. So geht es auch der
"Organisation der Freiheit von Frauen im Irak", die im Juni 2003 mit
Unterstützung der "Arbeiterkommunistischen Partei" gegründet wurde.
Doch trotz des religiösen Tugendterrors konnten dieses Jahr am 8. März
- dem Internationalen Frauenkampftag - rund 1.000 AktivistInnen auf
einer Kundgebung in Bagdad ihre Forderungen nach Gleichheit und
Freiheit ungestört vortragen.

Die "Unabhängige Frauenorganisation" (IWO), deren Leiterin auch Mitglied
im Politbüro der "Arbeiterkommunistischen Partei" ist, hat sich
ebenfalls der "Organisation der Freiheit von Frauen im Irak"
angeschlossen. Beide Gruppierungen hatten in Suleimaniya - im
kurdischen Teil des Nordirak - geholfen das erste Frauenhaus im Irak
(vielleicht sogar im ganzen Mittleren Osten) aufzubauen.

Die "Irakische Frauenliga" fürchtet sogar, dass die gewaltsame Besatzung
durch die Koalitionstruppen die fundamentalistischen Islamisten noch
bestärkt. Mitte Januar 2004 hat die "Übergangsverwaltung der Koalition"
sogar das fortschrittliche, bürgerliche Familienrecht aus dem Jahr 1959
wieder abgeschafft und stattdessen die religiöse Rechtsprechung des
Islam (Sharia) eingeführt. Die Frauenliga spricht daher davon, dass sie
sich von der US-Koalition nicht befreit fühlt, sondern nach einem
barbarischen Angriffskrieg nun die militärische Besatzung und
wirtschaftiche Ausplünderung erleiden müssen. Das Gerede vom
angeblichen Wiederaufbau, der nach UN-Angaben rund 66 Milliarden Euro
kosten würde, sei nur eine Beschönigung dafür, dass ihnen die Rohstoffe
des Landes jetzt am hellichten Tage geraubt werden können.

Die Wirtschaft im Land wurde jedoch nicht erst durch den dritten
Golfkrieg zerstört: Über 300 Milliarden Euro muss der Irak bezahlen für
die Begleichung der Auslandsschulden und der Reparationszahlungen aus
den beiden ersten Golfkriegen (Irak gegen Iran 1980-88, sowie Irak
gegen Kuwait bzw. die US-Koalition 1990/91). Zudem hat die zwölf Jahre
dauernde Wirtschaftsblockade gegen den Irak auch bei der Bevölkerung
schwere Spuren der Verarmung hinterlassen. Nach der militärischen
Befreiung von der Hussein-Diktatur kam es ausserdem in den Ministerien
und Behörden zu zahlreichen Zerstörungen und Plünderungen, und danach
schliesslich zu Massenentlassungen. Die alliierte Übergangsverwaltung
entließ unter anderem etwa 400.000 Soldaten der irakischen Armee aus
dem Staatsdienst. In den Betrieben, die bereits 1964 und 1972
verstaatlicht wurden und wo rund 80 % aller Arbeitsplätze waren, wurden
ebenfalls Massenentlassungen vorgenommen. Durch diese Entwicklung
wächst die Unzufriedenheit der Bevölkerung und der Widerstand der
Arbeitslosen und ArbeiterInnen.

So organisierten zum Beispiel in einer Fahrradfabrik in Bagdad die
ArbeiterInnen im September 2003 einen eintägigen Streik. Dadurch
konnten sie erkämpfen, dass ihre Löhne verdreifacht und auf ungefähr 40
Euro erhöht wurden. Vor dem Irak-Krieg lag das durchschnittliche
Monatseinkommen bei etwa 200 Euro. Zum Vergleich: In der
Freihandelszone des benachbarten Iran beträgt sogar das Monatseinkommen
von Sweat-Shop-ArbeiterInnen rund 100 Euro. Viele qualifizierte
FacharbeiterInnen und AkademikerInnen sind daher bereits aus dem Irak
geflüchtet, um in anderen Staaten Arbeit zu suchen. Aber andererseits
werden auch ArbeiterInnen aus Südostasien als billige Hilfskräfte ins
Land geholt, um die Wirtschaft aufzubauen. Als zum Beispiel in einer
Firma zum Wiederaufbau der Ölpipelines die meisten irakischen
ArbeiterInnen entlassen und durch andere aus Asien ersetzt wurden, kam
es zu einem zweitägigen, fremdenfeindlichen Streik. Die einheimischen
ArbeiterInnen jagten die ausländischen aus dem Betrieb und ein lokaler
Stammesführer zwang die Firmenleitung mit Bombendrohungen, dass sie
dann wieder mehrheitlich nationale Arbeitskräfte für den Wiederaufbau
einstellte.

Durch den Angriffskrieg der US-Koalition wurden nämlich große Teile der
lebenswichtigen Einrichtungen zerstört. Die Versorgung mit Trinkwasser,
Elektrizität und Medizin ist teilweise zusammengebrochen. Der
"Politische Rat des Mittleren Ostens" geht davon aus, dass der
Wiederaufbau des Irak wohl zehn Jahre dauern wird und 200 Milliarden
Euro kostet. Der US-Kongress hat bereits über 18 Milliarden Euro für
den Wiederaufbau bewilligt. Trotzdem musste der stellvertretende
irakische "Minister für Arbeit und Soziales" zugestehen, dass er keinen
Staat finden könne, der das geplante System einer minimalen
Arbeitslosenhilfe finanziell unterstützen würde.

Währenddessen geht die Aufbauarbeit an den Pipelines und Häfen für den
Ölexport weiter, aber haufenweise Kriegsschrott liegt noch auf den
Straßen Bagdads herum. Nun soll aber für eine Milliarde Euro die
Hauptstadt verschönert werden: Neue Parks und Bürgersteige sind
geplant. Häuser sollen frisch gestrichen und Denkmäler aufgestellt
werden, um mit dieser Kulisse wenigstens ein wenig Normalität
vorzuspielen. So soll das Land attraktiv gemacht werden für
ausländische InvestorInnen. Ende April 2004 fand in London eine (vom
Ölkonzern "Shell" finanzierte) Konferenz über die Privatisierung der
irakischen Wirtschaft statt. Dazu trafen sich die VertreterInnen
mehrerer Konzerne mit dem Irakischen Regierungsrat (IGC) und der
Besatzungsbehörde (CPA).

Bereits im Oktober 2003 veröffentlichte der für die
privatwirtschaftliche Entwicklung zuständige CPA-Direktor eine erste
Liste von irakischen Staatsunternehmen, die zum Verkauf angeboten
werden. Dabei handelt es sich um Industriebetriebe aus den Bereichen
Zement, Dünger und Pflanzen, sowie Medikamente. Aber auch die Phosphat-
und Schwefelminen und die staatliche Fluggesellschaft werden zum
Verkauf angeboten. In einem Erlass der Übergangsverwaltung vom
September 2003 wird ausländischen Firmen sogar ein hundertprozentiger
Geschäftsbesitz und der Transfer aller Gewinne ins Ausland
erlaubt - außer in der Ölindustrie.

In wöchentlichen internationalen Konferenzen in Washington und London
wird das irakische Staatsvermögen an private Firmen zum Kauf angeboten.
Auf einer dieser Konferenzen haben zum Beispiel sowohl "ExxonMobil",
wie auch "Delta Airlines" und die "American Hospital Group" ihr
Interesse an verschiedenen irakischen Unternehmen angemeldet.

Schon heute ist klar, welche Firmen das größte
finanzielle Interesse daran hatten, dass die USA den
Irakkrieg gegen die Hussein-Diktatur gewonnen haben:

"Alliant Techsystems" (Hersteller von Kleinwaffenmunition),

"Bechtel" (hat einen Vertrag über 35 Millionen Euro für den Wideraufbau
abgeschlossen und bereits 1983 einen Vertrag zum Bau von Ölpipelines
abgeschlossen, der direkt zwischen Donald Rumsfeld und Saddam Hussein
ausgehandelt wurde),

"Boeing" (zweitgrößter Lieferant des US-Verteidigungsministeriums und
Wahlkampfunterstützer von George Bush jr.),

"DynCorps" (eine Söldnerfirma, die für die Übernahme von Polizei- und
Justizaufgaben im Irak bereits im ersten Jahr 50 Millionen Euro Gewinn
erwartet),

"Halliburton" (hat durch Vizepräsident Dick Cheney noch vor der Invasion
des Irak den ersten Vertrag zum Wiederaufbau in Höhe von 680 Millionen
Euro bekommen),

"Lockheed Martin" (größter Lieferant des US-Verteidigungsministeriums
und durch den ehemaligen Vizepräsident Bruce Jackson auch
Wahlkampfunterstützer von George Bush jr.),

"Raytheon" (Hersteller von Militärelektronik, vor allem bei den Raketen
"Patriot" und Tomahawk"),

"Stevedoring Services of America" (eine der ersten Firmen, die einen
Wiederaufbau-Vertrag mit USAID abgeschlossen hat und die für etwa 5
Millionen Euro den Hafen von Umm Qasr übernommen hat)

Arbeitslose und ArbeiterInnen in Bewegung

Wegen der zunehmenden Privatisierung der öffentlichen Einrichtungen im
Irak befürchten die ArbeiterInnen nun also vermehrte
Massenentlassungen. Sogar die Weltbank warnte im Oktober 2003 vor den
Plänen der Übergangsverwaltung, die fast zweihundert Staatsbetriebe zu
schliessen. Dies hätte unabsehbare Folgen auf die Arbeitslosigkeit und
damit auf die gesellschaftliche Stabilität des Landes. So hat zum
Beispiel der Manager der Ölraffinerie Al-Daura bereits angekündigt die
Hälfte der 3.000 ArbeiterInnen zu kündigen. Wegen der fehlenden
Arbeitslosenversicherung ist im Irak die Abhängigkeit von der
Lohnarbeit sehr groß. Und die meistens schlecht bezahlten, unsicheren
Arbeitsverhältnisse sind ein Teil der repressiven Ausbeutung durch die
Firmenchefs.

So müssen die ArbeiterInnen der Ölraffinerie Al-Daura - wie in den
meisten Fabriken des Landes - in Schichten zu elf und dreizehn Stunden
für einen Monatslohn von 60 Euro schuften. Ausserdem gibt es dort weder
Sicherheitsschuhe, noch Schutzbrillen, Gasmasken oder andere
Schutzkleidung. Die internationalen Standarts für Arbeitssicherheit und
Gesundheitsschutz sind dort kaum bekannt und werden noch seltener
eingehalten. Allerdings hat der Irak während der Diktatur der
Baath-Partei zahlreiche Schutzabkommen der "Internationalen
Arbeits-Organisation" (ILO) anerkannt.

Für Arbeitssicherheit setzt sich auch die "Föderation der Arbeiterräte
und Gewerkschaften in Irak" (FWCUI) ein. Sie hat nach eigenen Angaben
etwa 350.000 - meist arbeitslose - Mitglieder hat und ist stark von der
Arbeiterkommunistischen Partei (WPI) beeinflusst. Und obwohl die
Föderation erst nach dem Sturz Husseins gegründet wurde, hat sie
bereits einen Entwurf für ein mögliches neues Arbeitsgesetz
veröffentlicht. Jetzt liegt es an der Übergangsverwaltung oder an der
künftigen irakischen Regierung, ob die Vorschläge der FWCUI überhaupt
wahrgenommen werden. Allerdings wird es ohne eine anhaltende
Selbstorganisation und ohne den Widerstand der Arbeitslosen und
ArbeiterInnen kaum eine dauerhafte Verbesserung ihrer Lage geben.

Im Dezember 2003 wurden ausserdem alle Gewerkschaften, die bis zum Ende
des Irakkriegs bestanden hatten, offiziell aufgelöst und müssen sich
nun beim "Irakischen Regierungsrat" (IGC) neu anmelden. Aber im Irak,
wie in vielen arabischen Ländern, wird schließlich nur ein
Gewerkschaftsdachverband offiziell anerkannt werden. Nun hat der
Regierungsrat im Januar 2004 entschieden, die neugegründete "Irakische
ArbeiterInnen-Gewerkschaftsföderation" (IFTU) als offizielle Vertretung
aller irakischen Gewerkschaften anzuerkennen. Zwar sind viele ihrer
FunktionärInnen auch in der "Irakischen Kommunistischen Partei" aktiv,
aber da die Gewerkschaft keine baathistische Vergangenheit hat, wird
sie von den führenden Parteien im Regierungsrat anerkannt. Die
Entscheidung zur Anerkennung der IFTU als offiziellem
Gewerkschaftsdachverband wurde allerdings von der Übergangsverwaltung,
die momentan noch die wirkliche Macht im Land hat, bisher nicht
anerkannt.

Formell hat sich noch keiner der Gewerkschaftsverbände registieren
lassen, was wohl auch an den dauernden Streitigkeiten um das Erbe der
baathistischen "Generellen Föderation der Gewerkschaften" (GFTU) liegt.
Die noch aktiven Restmitglieder der alten Staatsgewerkschaft GFTU
erkennen den Regierungsrat ohnehin nicht an. Und auch die
rätekommunistisch beeinflusste Gewerkschaftsföderation FWCTU hat kein
Interesse mit dem Regierungsrat zusammen zu arbeiten. Daher hatte sich
das irakische "Ministerium für Arbeit und Soziales" entschlossen durch
eine Zusammenarbeit mit der kooperativen "Irakische
ArbeiterInnen-Gewerkschaftsföderation" (IFTU) diese bereits praktisch
als neuer Dachverband anzuerkennen. Nach der für Juli 2004 geplanten
Machtübergabe sollen dann Betriebsratswahlen stattfinden, um die
Machtverhältnisse in den Betrieben zu klären. Aber auch religiöse
Parteien versuchen die ArbeiterInnen für ihre Zwecke zu beeinflussen
und bauen ebenfalls eigene Gewerkschaften auf, die mit den
kommunistischen Föderationen konkurrieren. Es wird wohl auch bereits
darüber nachgedacht, ob sich die von der Kommunistischen Partei
geprägte IFTU nicht besser mit der alten Staatsgewerkschaft GFTU
vereinigen sollte, die sich nun zum Teil langsam von ihrer blutigen
Baath-Tradition verabschiedet.

Die "Irakische ArbeiterInnen-Gewerkschaftsföderation" (IFTU) ist also
auf dem Weg zur offiziellen Anerkennung. Sie ist aus der
"Demokratischen Arbeiter-Gewerkschaftsbewegung" (WDTUM) hervorgegangen,
die seit 1980 im Untergrund aktiv war. Die IFTU hat schon vielen
ArbeiterInnen dazu gebracht in ihren Betrieben eigene
Gewerkschaftskommittees zu wählen. So ist die "Irakische
ArbeiterInnen-Gewerkschaftsföderation" zum Beispiel in einer Fabrik der
staatlichen Lederindustrie (der größten Schuhfabrik im Mittleren Osten)
und in der Pflanzenölfabrik Mamoun vertreten. Sie organisiert ausserdem
viele ArbeiterInnen im Gesundheitsbereich, bei der Eisenbahn, in der
Öl- und Gasindustrie, aber auch SpinnerInnen und NäherInnen.

Allerdings ist auch die kleinere "Gewerkschaft der Arbeitslosen im Irak"
(UUI) ist in vielen Bereichen aktiv. In Nasiriyah hat sie angeblich
bereits 15.000 Mitglieder und auch in Karbala, Balad und Kirkuk wurden
neue Büros der rätekommunistisch geprägten Arbeitslosengewerkschaft
eröffnet. In enger Zusammenarbeit mit der "Arbeiterkommunistischen
Partei" (WPI) und der "Föderation der Arbeiterräte und Gewerkschaften
in Irak" (FWCUI) unterstützt die Arbeitslosengewerkschaft auch
Obdachlose und bedürftige Familien, sowie ArbeiterInnen in der
Landwirtschaft und in der Ölindustrie.

Doch die Probleme bei der Organisierung am Arbeitsplatz sind durch das
militärische Ende der Hussein-Diktatur nicht verschwunden. Viele
ArbeiterInnen haben immernoch Angst vor den Vergeltungsmassnahmen
ehemaliger Regierungsagenten. Denn die baathistischen Netzwerke von
Bespitzelung und Terror gibt es weiterhin - wenn auch verdeckter als
früher. Doch es gibt auch Hoffnung auf Selbstverwaltung und
organisierten Widerstand der ArbeiterInnen: So hatten zum Beispiel im
Winter 2003/2004 rund 600 BahnarbeiterInnen eine Massenversammlung in
einem Zugdepot abgehalten und Delegierte gewählt. Diese sollten der
Provisorischen Übergangsverwaltung klar machen, dass die
BahnarbeiterInnen es trotz der Einschüchterungsversuche mit
Militärgewalt nicht akzeptieren, dass die Übergangsverwaltung mit den
alten Funktionären der GFTU zusammenarbeitet, der "gelben"
(kapitalfreundlichen) Staatsgewerkschaft der ehemaligen Baath-Diktatur.


Die Funktionäre in den Einzelgewerkschaften und in den Firmenleitungen
sind nämlich noch oft die selben, wie im alten Hussein-Regime. Und
viele der früher eine Million Mitglieder der Baath-Partei sind noch
immer - oder mit Hilfe der Übergangsverwaltung schon wieder - in ihren
alten Führungspositionen. Zum Beispiel hatte das Ölministerium, das von
der Übergangsverwaltung gelenkt wird, in der Ölfabrik "Southern Oil
Company" die brutalen Baath-Funktionäre wieder eingestellt. Diese waren
jedoch von den ArbeiterInnen während des Umsturzes erfolgreich verjagt
worden, weil sie in der Diktatur hunderte ÖlarbeiterInnen ermorden
ließen. Anfang Februar 2004 konnten aber die ArbeiterInnen der
"Southern Oil Company" nach drei Monaten Arbeitskampf wenigstens einen
kleinen Sieg feiern: Die Firmenleitung musste ihren Lohnforderungen
nachgeben und der höhere Tarif soll nun auch von den anderen Ölfabriken
des Landes übernommen werden.

Auch in dem Kraftwerk von Najebeeya hat ein ehemaliger Bonze der
Baath-Partei seinen Posten über das Ende der Diktatur hinaus retten
können und arbeitet jetzt mit der Besatzungsbehörde zusammen. Die
ArbeiterInnen im Kraftwerk haben aber ein gutes Gedächtnis: Anfang
Januar 2004 griffen sie das Verwaltungsgebäude des Kraftwerks an und
verprügelten ihren alten Chef, der versucht hatte im Schutz der
Koalitionstruppen jede Form von Gewerkschaftsarbeit zu verhindern.
Ausserdem drohte die Gewerkschaft der KraftwerksarbeiterInnen damit,
sie würde die Stromversorgung in ganz Basra komplett ausfallen lassen,
falls Kürzungen ihrer Löhne nicht wieder rückgängig gemacht wird. Die
KraftwerksarbeiterInnen fordern ausserdem eine gleiche Bezahlung für
die weiblichen Kolleginnen, ein Verbot der Nachtarbeit und ausreichende
medizinische Versorgung, sowie Kinderbetreuung in den Betrieben.

Ende März 2004 demonstrierten hundert ArbeiterInnen der der Allgemeinen
Industriegesellschaft in Al-Askandaria für eine Wiederanpassung der
Gehälter. Sie verlangten ausserdem den Rücktritt der Firmenleitung, da
es zu Bestechungen kam und viele Verwaltungsposten von Baathisten
besetzt sind. Schließlich forderten die ArbeiterInnen Vollzeitstellen,
was die Direktion aber abgelehnt hat.

Auch auf die Übergangsverwaltung mit ihren repressiven Erlässen sind die
ArbeiterInnen nicht gut zu sprechen, denn die hat als neuer Arbeitgeber
im öffentlichen Dienst einen massiven Lohnrückgang betrieben. Bekamen
die ArbeiterInnen in den staatlichen Betrieben zu Beginn der Besatzung
noch monatlich zwischen 60 und 220 Euro, so wurde mittlerweile der
Durchschnittlsohn auf etwa 60 Euro gesenkt, der Mindestlohn sogar auf
40 Euro im Monat. Auch die Zulagen für Familien, Nahrung und Wohnung,
sowie Ortszuschläge und Versicherungen wurden komplett weggestrichen.

Repression gegen soziale Proteste

Während fast alle Gesetze des alten Baath-Regimes nach dessen
militärischer Niederlage abgeschafft wurden, hält die
Übergangsverwaltung noch an einem Gesetz aus dem Jahr 1987 fest, mit
dem der Acht-Stunden-Tag abgeschafft worden war. Asserdem verbietet es
den ArbeiterInnen in den verstaatlichten Betrieben (und das war und ist
im Irak die überwiegende Mehrheit) Gewerkschaften zu gründen oder zu
streiken. In einer Anordnung vom Juni 2003 drohte dann die
Übergangsverwaltung sogar damit, dass alle Menschen, die "zivile
Unordnung anstiften", also "jede Art von Streik oder Unterbrechung in
einer Fabrik oder einem wirtschaftlich bedeutenden Unternehmen"
organisieren, von ihnen festgenommen und als Kriegsgefangene behandelt
würden. Dass dann angeblich ihre Menschenrechte durch die "Genfer
Konventionen" geschützt seien, ist jedoch nur blanker Hohn angesichts
der im Mai 2004 aufgedeckten Folterungen irakischer Gefangener durch
die Koalitionstruppen.

Die Gewerkschaften im besetzten Irak werden immer wieder von den
Besatzungstruppen unterdrückt und ausserdem von
islamistisch-nationalistischen Gruppierungen angegriffen:

Bereits im Juli 2003 wurden 3.000 DemonstrantInnen von Islamisten mit
Steinen beworfen als die Arbeitslosengewerkschaft UUI in Nasiriyah und
Bagdad große Proteste gegen die Übergangsverwaltung und für eine
Arbeitslosenversicherung organisiert hatte. Gleichzeitig konnten jedoch
in Bagdad tausende Arbeitslose friedlich demonstrieren und ebenfalls
ihre Forderungen nach einer Arbeitslosenversicherung, für das Recht auf
Arbeit und 100 Euro monatlichen Mindestlohn auf die Strasse tragen.

Von Juli bis August 2003 hatten dann AktivistInnen der
Arbeitslosengewerkschaft einen 45-tägigen Sitzstreik organisiert, bei
der 55 Mitglieder von der Armee festgenommen und ohne Begründung
tagelang festgehalten wurden. Und im November 2003 wurden erneut zwei
Mitglieder der Arbeitslosengewerkschaft festgenommen, darunter der
bereits zweimal von Besatzungstruppen inhaftierte Generalsekretär der
UUI. Ihm wurde vorgeworfen Demonstrationen der arbeitslosen
ArbeiterInnen angeführt zu haben, auf denen Arbeitslosenhilfe und Jobs
gefordert wurden.

Ebenfalls im November 2003 hatten die Besatzungstruppen das
Gewerkschaftsbüro der Arbeitslosengewerkschaft durchsucht und zwei
Schusswaffen gefunden, wobei nur der Besitz von einer Waffe erlaubt
ist. Allerdings, so ihr Generalsekretär, braucht die UUI diese Waffen,
um sich gegen die ständigen Bedrohungen und Kriegserklärungen
("Fatwahs") durch islamistische Gruppen wehren zu können.

Im Dezember 2003 stoppten dann zehn US-Militärfahrzeuge am zentralen
Busbahnhof von Bagdad und etwa zwanzig SoldatInnen stürmten das dortige
Büro der "Irakischen ArbeiterInnen-Gewerkschaftsföderation" (IFTU) im
ehemaligen Gewerkschaftshaus der TransportarbeiterInnen. Acht
Mitglieder des Föderationsvorstandes wurden von der Besatzungsarmee in
Handschellen abgeführt. Ohne Angabe von Gründen wurden ausserdem
zahlreiche Akten beschlagnahmt, Plakate heruntergerissen, Scheiben
eingeschlagen und das Türschild der Gewerkschaft schwarz übermalt. Die
Gefangenen wurden zwar am nächten Tag ohne eine weitere Erklärung
wieder freigelassen.

Als schliesslich Anfang Januar 2004 eine Demonstration von enttäuschten
Arbeitslosen vor der Stadtverwaltung in Al-Simawah vor Wut den lokalen
Verwaltungschef und das Bürogebäude mit Steinen bewarf, schossen
Anhänger einer religiösen "Intifada"-Brigarde aus ihrem angrenzenden
Hauptquartier mit Gewehren auf die DemonstrantInnen. Sie töteten dabei
vier Arbeitslose und verletzen viele andere.

Aber auch spontane, wilde Streiks der ArbeiterInnen finden statt, die
von der Übergangsverwaltung bekämpft werden. So legten im August und
September 2003 die TransportarbeiterInnen in Basra verbotenerweise ihre
Arbeit nieder und forderten auf einem Protestmarsch die Versorgung mit
Gas, Wasser und Strom. Als britische SoldatInnen den Demonstrationszug
stoppen wollten, kam es zu einer Massenschlägerei und es folgten drei
Tage Aufruhr in der Stadt.

Doch die ArbeiterInnen sehen sich oftmals auch gezwungen selbst zu den
Waffen zu greifen, um ihre Forderungen durchzusetzen. So organisierten
im Oktober 2003 die ArbeiterInnen einer Ziegelsteinfabrik nahe Bagdad
einen Demonstrationsmarsch zum Sitz der Firma. Dort forderten sie
Lohnerhöhungen, da drei Viertel der Belegschaft nur etwa 1,50 Euro für
einen Arbeitstag von vierzehn Stunden bekommen. Ausserdem verlangten
sie von den Chefs schriftliche Verträge, sowie betriebsärtzliche
Einrichtungen und eine Altersversorgung. Als die Vorgesetzten ihnen
daraufhin mit Entlassung drohten, gingen die Leute nach Hause, kamen
aber mit ihren Schusswaffen zurück und bildeten eine Streikpostenkette.
Dem Besitzer blieb dann nichts anderes übrig als den ArbeiterInnen eine
Lohnerhöhung von 500 Dinar (umgerechnet etwa 50 Cent) je Arbeitstag zu
versprechen. Zudem bot er Verhandlung über eine Sozial- und
Gesundheitsversorgung an, was von der streikenden Belegschaft als Sieg
gefeiert wurde.

Der Chef einer Speiseölfabrik war im Juli 2003 sogar von den
ArbeiterInnen erschossen worden, weil er sich geweigert hatte die
Kündigungen aus der Vorkriegszeit wieder rückgängig zu machen. Solche
bewaffneten Kämpfe verbreiten bei den Handlangern der Privatisierung
natürlich Angst und Panik. Durch derartige Anschläge wurden bereits
fünf Mitarbeiter der US-Firma "Halliburton" ermordet, die die
Erdölförderung im Irak wieder aufbauen sollten. Jetzt bekommen die
Unternehmen Probleme überhaupt noch freiwillige TechnikerInnen für
solche gefährlichen Aufgaben zu finden.

Aber auch für die irakischen ArbeiterInnen kann der Arbeitsplatz zum
Schlachtfeld werden: Nach Angaben der "Föderation der Arbeiterräte und
Gewerkschaften" (FWCUI) - hat Anfang April 2004 in der Stadt Nasiriyah
eine zum patriotisch-religiösen "Widerstand" gehörende Terrorgruppe
versucht die Fabriken zu stürmen. Die Werkshallen sollten dann in
befestigte Militärposten verwandelt werden, damit von dort aus die
amerikanischen und italienischen Besatzungstruppen angegriffen werden
können. Als Antwort haben sich die ArbeiterInnen, sowohl in der
Aluminiumfabrik als auch in der Sanitäranlagenproduktion, jedoch trotz
der zahlreichen Morddrohungen geweigert ihre Arbeitsplätze zu
verlassen. Sie lehnten es ab, dass die Fabriken in Schützengräben
verwandelt werden, was entweder deren Zerstörung oder mögliche
Diebstähle und Plünderung zu Folge gehabt hätte. Also bestanden sie
darauf in den Fabriken zu bleiben, um so ihre Einkommensquelle und
damit ihr Überleben zu verteidigen.

Eine Stellungnahme der rätekommunistisch beeinflussten FWCUI besagt
dazu:
"Wir weisen die Umwandlung von Arbeitsplätzen und zivilen Wohnräumen in
reaktionäre Frontlinien zwischen den beiden Polen des Terrorismus im
Irak gänzlich zurück. Die USA und ihre Verbündeten auf der einen Seite
und die bewaffneten Milizen auf der anderen Seite sind bekannt für ihre
Feindschaft gegenüber den Interessen der irakischen Leute. Wir werden
uns den Versuchen dieser Milizen, die auf die Störung der Sicherheit
und Stabilität der Bevölkerung abzielen, entgegen setzen. Und wir
werden ihre Versuche bekämpfen, die Gesellschaft in einen Bürgerkrieg
und somit in Zerstörung und Leid zu stürzen."

Es ist also offensichtlich, dass jede Form von Gewerkschaftsarbeit und
der Kampf für die Selbstbestimmung der ArbeiterInnen im Irak zur Zeit
nur unter besonders schweren Bedingungen geführt werden kann. Und um so
nötiger ist die Solidarität der weltweiten ArbeiterInnen-Bewegung. Eine
"Internationale Kampagne gegen die Besatzung und für Arbeitsrechte im
Irak" soll nun dabei helfen die grundlegenden Sicherheits- und
Lohnstandarts der ILO und das Recht auf freie Gewerkschaftsarbeit im
Irak durchzusetzen. Die Kampagne wurde gemeinsam von sechs
Organisationen gemeinsam ins Leben gerufen, die daher im März 2004 das
Büro der "Internationalen Arbeitsorganisation" (ILO) im schweizerischen
Genf besuchten: die "Föderation der Arbeiterräte und Gewerkschaften im
Irak" (FWCUI), die "Gewerkschaft der Arbeitslosen" (UUI), die
"Internationale Konföderation der Arabischen Gewerkschaften" (ICATU)
und das "Internationale Verbindungskommittee der Arbeiter und Völker"
(ILC), sowie die gewerkschaftliche Antikriegsgruppe "US Labor Against
the War" (USLAW).

Die ArbeiterInnen im Irak brauchen in ihrem täglichen Kampf um Leben und
Selbstbestimmung die Unterstützung der ArbeiterInnen in anderen
Ländern. Für alle, die an der praktischen Solidarität mit der
freiheitlichen ArbeiterInnen-Bewegung im Irak interessiert sind,
besteht die beste Möglichkeit natürlich im direkten persönlichen
Kontakt - schriftlich, telefonisch oder am Besten durch
Delegationsreisen.

Aber jedensfalls ist es genauso wichtig, die Forderungen der irakischen
ArbeiterInnen nach grundlegender Arbeitssicherheit, nach Mindestlöhnen
und einer Arbeitslosenversicherung zu unterstützen und bekannt zu
machen. Auch die Solidaritätsaufrufe für verfolgte und inhaftierte
GewerkschafterInnen im Irak können von AktivistInnen in anderen Ländern
schnell verbreitet werden. In dringenden Fällen ist es einfach, einen
Protestbrief und eine Solidaritätserklärung zu schreiben oder sogar
Kundgebungen vor irakischen Botschaften und Konsulaten zu organisieren.
Auch ist es weiterhin wichtig die Machenschaften der amerikanischen und
europäischen Firmen im Mittleren Osten zu untersuchen und alle
staatlichen und privaten Profiteure von Krieg und Kapitalismus
öffentlich zu machen.

Ein Angriff auf einen ist ein Angriff auf alle!

Solidarität mit den weltweiten Kämpfen
für die Selbstbestimmung der Lohnabhängigen!



Allgemeines Syndikat der FAU-IAA Koblenz
Postfach 20 10 06, 56010 Koblenz (Germany)
askoblenz@anarchosyndikalismus.org, fauko@fau.org,
http://anarchosyndikalismus.org/koblenz.htm

Freie ArbeiterInnen-Union (FAU)
http://www.fau.org

Internationale ArbeiterInnen-Assoziation (IAA)
http://www.iwa-ait.org
LITERATURANGABEN

Originalquellen:

Berichte der britischen Gewerkschaftsdelegierten Ewa Jasiewicz,
die sie unter anderem für "Occupation Watch" verfasst hat
(http://www.occupationwatch.org;
http://www.infoshop.org/inews/stories.php)

Berichte der Irak-Delegationen von "US Labor Against The War" (USLAW)
(http://www.uslaboragainstwar.org/) zum Beispiel im
"Pacific News Service", 10. Dezember 2003, San Francisco, USA
(http://pacificnews.org)

LabourNet-Themenseite zum Gewerkschaftskampf im Irak
(http://www.labournet.de/internationales/iq/gewerkschaft.html)

Veröffentlichungen der "Irakischen Kommunistischen Partei" (ICP)
(http://www.iraqcp.org/), der "Irakischen Gewerkschaftsföderation"
(IFTU) (http://www.iraqitradeunions.org/) und der "Gewerkschaft der
Arbeitslosen im Irak" (UUI) (http://www.uuiraq.org), sowie der
"Arbeiterkommunistischen Partei des Irak" (http://www.wpiraq.org)

Zeitschriftenartikel (Auswahl):

"Alternative Libertaire" (No.29/Octobre 2003,
http://alternative.lautre.net)

"Direct Action" (No.30/Spring 2004,
Solidarity Federation - IAA,
http://www.direct-action.org.uk,
http://www.iwa-ait.org)

"Wildcat" (Nr. 69 / Frühjahr 2004, http://www.wildcat-www.de)



Weitere Texte über die
Hintergründe des Irak-Kriegs:

http://anarchosyndikalismus.org/oel1.htm,
http://anarchosyndikalismus.org/irak.htm
Einige soziale und politische Organisationen im Irak:

FWCUI = Federation of Workers Councils and Unions in Iraq
(Föderation der Arbeiterräte und Gewerkschaften im Irak)
[beeinflusst von der rätekommunistischen WPI]

ICP = Iraqi Communist Party (Irakische Kommunistische Partei)
[traditionelle, nationalistische Marxisten-Leninisten]

IFTU = Iraqi Federation of Trade Unions [auch: FTUI]
(Irakische Gewerkschaftsföderation)
[2003 auf Einladung der seit 1980 im Untergrund aktiven
"Demokratischen ArbeiterInnen-Gewerkschaftsbewegung"
(WDTUM) gegründet, beeinflusst von der staatskommunistischen ICP]

OWFI = Organisation for Women´s Freedom in Iraq
(Organisation der Freiheit von Frauen im Irak)
[beeinflusst von der rätekommunistischen WPI]

WPI = Worker-communist Party Iraq [auch: WCPIraq]
(Arbeiterkommunistische Partei des Irak)
[moderne, rätekommunistisch geprägte MarxistInnen]

WDTUM = Workers’ Democratic Trade Union Movement
(Demokratische ArbeiterInnen-Gewerkschafts-Bewegung)
[traditionell antikolonial und antimonarchistisch,
seit 1980 im Widerstand gegen das Baath-Regime,
seit 2003 Teil der neu gegründeten IFTU]

UUI = Union of the Unemployed of Iraq
(Gewerkschaft der Arbeitslosen im Irak)
[steht der rätekommunistisch beeinflussten WPI nahe;
eng verbunden mit der FWCUI]