Dokumentation: Rechtsbruch, Hetze und Kriminalisierung in 5 ausgewählten Fällen
Über 20 Fälle von Erfindungen irgendwelcher Straftaten, viele Erfindungen von Tatbeteiligungen, etliche rechtswidrige Angriffe auf Demonstrationen, ebenso illegale Platzverweise, Hausverbote, Festnahmen, DNA-Tests und Hausdurchsuchungen, Einschüchterung und Gewalt, Hetze und Schüren sozialrassistischer Gewalt sind in einer 50-seitigen "Dokumentation von Fälschungen, Erfindungen und Hetze durch Presse, Politik, Polizei und Justiz in und um Gießen" zusammengetragen und nun veröffentlicht worden.
Mit dieser Dokumentation soll der politischer Kampf gegen Repressionsstrukturen argumentativ unterfüttert und erweitert werden. Etliche Aktivitäten sind in den nächsten Tagen vorgesehen.
Zur Dokumentation:
In der vorgelegten "Dokumentation von Fälschungen, Erfindungen und Hetze durch Presse, Politik, Polizei und Justiz in und um Gießen" zeigen politische Gruppen aus Stadt und Kreis Gießen ihre negativen Erfahrungen mit der regionalen Politik, Polizei, Presse und Justiz auf.
Der Umgang wurde als Kriminalisierung und Ausgrenzung nicht nur empfunden, sondern wird als Unterdrückung von Kritik und Opposition gedeutet. Die dabei verwendeten Mittel stellen einen Machtmissbrauch und in vielen Fällen auch den Bruch geltender Gesetze dar. Dieser Zustand hält schon seit längerer Zeit an und wirft den Verdacht von Systematik auf.
Die Dokumentation ist eine Ergänzung zur überregionalen Berichterstattung über Polizeigewalt, Vorverurteilungen und Rechtsbeugung die immer häufiger ihren Weg in die Öffentlichkeit finden. Die skandalträchtigen Einzelfälle könnten den Eindruck hervorrufen, dass Körperverletzungen, Totschlag auf Polizeistationen in Abschiebeverfahren, Drohungen und Willkür die Ausnahmen sind in einem sonst rechtstaatlich geordneten System.
Der Blick auf den Alltag lokaler und regionaler Repressionsbehörden die häufig undokumentiert bleiben zeigt dagegen, dass der Machtmissbrauch anscheinend die Regel ist. Besonders erschreckend ist zudem die anwachsende Einigkeit innerhalb "Gießener Eliten", die Formen von Kriminalisierung, Diskriminierung und direkter Repression zu vertuschen oder gar zu unterstützen.
Erst das Schweigen in Politik, Medien und gesellschaftlichen Organisationen oder dise verschärfte Diffamierung alternativer politischer Gruppen durch einzelne RedakteurInnen und Vereins- bzw. ParteifunktionärInnen gibt denen, die Recht brechen und Macht ausnutzen, die Sicherheit, ihr Verhalten "gefahrlos" durchführen zu können.
Insofern wird selbst der Umgang mit der Dokumentation ein interessantes Experiment. Im Interesse derer, die innerhalb des bestehenden Filzes dominanter Seilschaften agieren, dürfte das Verschweigen der Studie stehen.
Wir werden sehen, ob die Belege und Berichte über Rechtsbruch, Gewalttätigkeiten und Meinungsunterdrückung in und um Gießen selbst wiederum vertuscht werden oder das Schweigen und Ausgrenzen aufweichen können.
Gießen, am 25.2.2004
Die AutorInnen der Dokumentation
Herausgeber:
* Humanistische Union - Regionalverband Mittelhessen
* Bildungssyndikat Gießen/Wetzlar
* Infoladen Gießen
* AG Füsele. Autonome Gruppe für selbstbestimmtes Leben
* Gruppe X. Autonome Menschen ohne Label und kollektive Identität aus dem Umfeld der Projektwerkstatt in Saasen
* Demokratische Linke (DL), Gießen
* Weitere Herausgeber angefragt
Erklärung der Herausgeber:
Den Wahrheitsgehalt der in dieser Zusammenstellung gemachten Angaben können die Herausgeber nicht im Einzelnen überprüfen. Sie unterstützen die Projektwerkstatt Saasen aber in ihrem Anliegen, das ungeheuerliche Verhalten von Polizeibeamten und Angehörigen der Justiz öffentlich zu machen. Dabei soll die Projektwerkstatt auch Gelegenheit erhalten, ihre Sicht der Vorkommnisse darzulegen. Die Herausgeber halten die Maßnahmen der Strafverfolgungsbehörden gegen die Projektwerkstatt und ihre Mitarbeiter für einen nicht hinnehmbaren Eingriff in die Freiheits- und Bürgerrechte der Betroffenen. Diesem verfassungswidrigen Übergriff treten die Herausgeber mit aller Schärfe entgegen.
Gießen/Marburg, am 25. Februar 2004
Ausgewählte Zitate von Polizisten in Gießen:
"Bei uns ist schon mal jemand die Treppe runtergefallen." (Typische, inzwischen mehrfach wiederholte Form der indirekten Gewaltandrohung von Polizeibeamten gegenüber Verhafteten oder DemonstrationsteilnehmerInnen) <
"Du bist der Nächste!" (Staatsschutzchef Gerhard Puff in der Fußgängerzone von Gießen zu einem Anwesenden)
"Wenn wir mit der Projektwerkstatt fertig sind, sind Sie der Nächste!" (Staatsschutzchef zu einem Studierendenvertreter während des Uni-Streiks im Herbst 2003)
"Wenn wir uns das nächste mal auf der Strasse sehen, gibt es richtig eine. Das kann ich dir schwören." (BKAler in einer Kneipe gegenüber einem Politaktivisten)
Rechtsbruch, Hetze und Kriminalisierung in 5 Fällen
Ausgewählte Beispiele aus der Dokumentation:
1. Erfindungen
Den Schwerpunkt der Dokumentation bilden Erfindungen von Straftaten und Tatbeteiligungen. Um Festnahmen, Anklagen oder Durchsuchungen zu rechtfertigen, dachten sich Polizei, Politik und Presse in den letzten Jahren über 20x Vorwürfe aus. Die meisten der vorgeworfenen Taten hatte es nie gegeben.
Beispiel: Erfundene Farbschmierereien (9.12.2003)
Auf dem öffentlich zugänglichen Amtsgerichtsgelände fand um 20 Uhr eine Lesung von Gedichten statt. Die Veranstaltung war im Internet und auf Flugblättern Tage vorher angekündigt worden. 14 Personen fanden sich zu der Lesung ein und setzten sich mit selbstgeschriebenen Gedichten und Kerzen in einen beleuchteten Bereich, wo sich der Hauptspazierweg zu den Richtung Eingängen verzweigt. Die Gruppe war gut sichtbar und saß so einige Minuten im Kreis. Dann kesselte ein größeres Aufgebot von Polizei die TeilnehmerInnen und nahm sie fest. Am Folgetag (die Verhafteten sitzen immer noch im Keller des Polizeipräsidiums) gab die Polizei eine Pressemitteilungen heraus, die Verhafteten seien festgenommen worden, als sie die Gerichtsgebäude mit Farbe beschmieren wollten: "Am Dienstag, dem 09.12.03, gegen 22.15 Uhr, wurden 12 Aktivisten am Eingang des Gebäudes der Staatsanwaltschaft Gießen in der Marburger Straße angetroffen. Diese Gruppe hatte offensichtlich die Absicht, Farbschmierereien zu begehen, da entsprechende Utensilien mitgeführt wurden." Bei ihnen seien Utensilien dafür beschlagnahmt worden. Beides war komplett erfunden. Die Presse druckte die Polizeiinformationen unüberprüft ab, obwohl ihnen rechtzeitig eine Gegendarstellung vorlag! Auch eine nach der Freilassung von den Verhafteten übersandte Pressemitteilung wurde nirgends abgedruckt (Text unter www.projektwerkstatt.de/gav/texte/pm091203.html).
Die sofort eingelegte Beschwerde wurde bis heute nicht bearbeitet.
2. Kriminalisierung
Mit Anzeigen, Vorwürfen, Prozessen und ständiger Überwachung versuchte ein zunehmend größeres Polizeiaufgebot, Protestgruppen und -aktionen zu kriminalisieren.
Beispiel: Anzeigen gegen protestierende Studierende
Die Streikaktivitäten an der Uni Gießen im Herbst 2003 wurden vom Staatsschutz beobachtet. Im Februar 2004 nahm diese offizielle Ermittlungen auf gegen den AStA der Uni Gießen und Einzelpersonen.
Auszug aus www.giessener-allgemeine.de, 24.2.2004
AStA wertet die Strafanzeigen nach seinen Protestaktionen als "absurd"
Die Proteste gegen Studiengebühren und Sozialabbau des vergangenen Wintersemesters haben für einen AStA-Referenten der Justus-Liebig-Universität ein juristisches Nachspiel. Die Staatsanwaltschaft Gießen bestätigte am Montag eine Strafanzeige wegen Hausfriedensbruchs, die aus dem CDU-Kreisverband kommt - dessen Geschäftsstelle im Spenerweg hatten die Studierenden im November mehrmals bei einer "spontanen Demonstration" aufgesucht. Dabei war es einmal zu einer heftigen verbalen Auseinandersetzung mit dem Geschäftsführer Johann-Gottfried Hecker gekommen. Der AStA kritisierte die Ermittlungen als "unsinnig und absurd". Eine weitere Strafanzeige handelte sich der Studentenausschuss wegen einer von dort an alle Studierenden der Universität versandten E-Mail ein: Sie wurden darin aufgefordert, zum "Frühstück nach Wiesbaden" zu fahren und dabei "Eier und Tomaten" mitzubringen".
3. Die Höhepunkte: 11.-14.12.2002 und 9.-11.1.2003 mit Folgen
Im Winter 2002/2003 organisierten verschiedene Gruppen in Gießen Proteste gegen die neu beschlossene Gefahrenabwehrverordnung und die Innenstadtpolitik. Kreative Protestformen prägten die Auseinandersetzungen - von Straßentheater über kreative Demonstrationen bis zu gefälschten Behördenschreiben oder Störungen von Parteiveranstaltungen.
Die Nerven vieler PolitikerInnen und der Ordnungsbehörden lagen blank. CDU-Bürgermeister Haumann ließ am 12. Dezember eine große Polizeistreitmacht aufmarschieren, um die Stadtverordnetenversammlung zu schützen. Zur Legitimierung seiner Handlungen erfand er den Eingang einer Bombendrohung! Konsequenzen für ihn hatte die Vorspiegelung von Straftaten nicht. Am 9.1.2003 plante der Staatsschutz Gießen mit Hilfe regulärer Polizei zu einem großen Schlag gegen die Projektwerkstatt in Saasen, die sie als Kern der Proteste vermuteten. Die Polizei ging dabei offenbar mit blinder Wut vor. Sämtliche Aktionen schlugen fehl.
Beispiel: Ingewahrsam, Bombendrohung, Polizeiaufmarsch und Platzverweise vom 11.-14.12.2002
Am Vortag der Stadtverordnetensitzung zur Gefahrenabwehrverordnung nahm die Polizei zwei Personen aus dem Umfeld der Projektwerkstättler in der Walltorstraße von Gießen in Gewahrsam. Das geschah kurz vor 24 Uhr. Es war der erste Fall dieser Festnahmeart nach dem neuen Hessischen Sicherheits- und Ordnungsgesetz.
Danach können Menschen bis zu 6 Tage eingesperrt werden, ohne daß überhaupt der Verdacht einer Straftat gegen sie vorliegt. Es zählt allein, daß die Polizei bzw. die für jedes Einsperren von mehr als 24 Stunden zuständige HaftrichterIn glaubt, daß Ruhe und Ordnung gestört werden könnten, wenn die Person frei rumläuft. Zur Legitimierung des Unterbindungsgewahrsams wurden Straftaten erfunden und rechtswidrige bzw. -zweifelhafte Handlungen vorgenommen.
A. Polizeiwillkür: Nach dem Urteil der Haftrichterin Kaufmann wurde das Ingewahrsam auf 20 Uhr am 12.12.2002 befristet. Zu dieser Zeit wäre nach Planung der umstrittene Tagesordnungspunkt bei der (...) in Gießen beendet. Allerdings verzögerte sich die Sitzung dort stark. So wurde 20 Uhr zu früh, ein Gewahrsam darüber hinaus aber wegen der richterlichen Festlegung nicht mehr legal. Die beiden Festgenommenen wurden daher von der Polizei gegen ihren erklärten Willen mit Zivilwagen der Polizei aus der Stadt herausgefahren und im etwa 20 km entfernten Saasen gegen 20 Uhr freigelassen.
B. Vorverurteilung durch Amtsrichterin: Die für un- oder schlecht begründete Verhaftungen, Hausdurchsuchungen usw. bekannte Amtsrichterin Kaufmann bestätigte die Ingewahrsamnahme mit dem Verweis auf laufende Ermittlungsverfahren gegen die Festgenommen in anderen Sachen. Kein einziges der von ihr in der Begründung benannten Verfahren war abgeschlossen, selbst eine Anklage gab es zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Daher war die Berufung darauf und die Verwendung der Ermittlungen zu einer tatsächlichen Inhaftierung eine klare Vorverurteilung.
C. Erfindungen von Straftaten durch Presse und Polizei: Die Presse berichtete am Tag nach dem Gewahrsam, dass die Verhafteten beim Sprühen am Berliner Platz (Rathaus) erwischt worden seien. Eine glatte Lüge, mit der die Presse Polizei und Politik half. "Zum ersten Mal wurde in Hessen ein neuer Passus des Polizeigesetzes angewandt. Betroffener war Jörg Bergstedt. Nach richterlichem Beschluß wurde er gestern bis 20 Uhr in Unterbringungsgewahrsam genommen. Diese Entscheidung hatte ihren Grund, denn Bergstedt war am Mittwoch erwischt worden, wie er Wände rund um das Rathaus mit Parolen beschmierte. Es ging ihm offensichtlich darum, die Proteste um die Gefahrenabwehrverordnung anzuheizen." (GI Anzeiger, 13.12.02)
D. Bombendrohung erfunden: Der Aufwand an Sicherheitskräften am 12.12.2002 vor und während einer Stadtverordnetensitzung in Gießen war groß. In seiner Not erfand Bürgermeister Haumann einen Grund für sein brutales Vorgehen am 12. Dezember gegenüber DemonstrantInnen: Es hätte eine Bombendrohung gegeben. Erst Wochen später und durch beharrliches Nachforschen eines PDS-Stadtverordneten kam heraus: Haumann hatte sich die ausgedacht. Seine Lüge wurde strafrechtlich nicht verfolgt und beeinträchtigte auch die politische Karriere nicht. Ein halbes Jahr später wurde er von ca. 10 Prozent der Giessener EinwohnerInnen zum Oberbürgermeister gewählt - 10 Prozent der GießenerInnen sind beim geltenden Wahlrecht und der niedrigen Wahlbeteiligung die Mehrheit.
E. Platzverweise: Weniger als 48h nach dem Beschluß und den Polizeiaktionen gegen DemonstrantInnen hatten sich Menschen zu einer spontanen Demonstration im Seltersweg verabredet. Die Polizei verhinderte diese jedoch durch etliche Platzverweise und das spektakuläre An-die-Wand-stellen von drei Personen aus dem Umfeld der Projektwerkstatt mitten in der FußgängerInnenzone. Die Polizei sprach alle Platzverweise bereits vor Beginn der Demonstration aus, mehreren Personen bereits auf dem Hinweg zum Demonstrationsauftakt. Sie verhinderte damit bereits das Zustandekommen der Demonstration. Eine der Personen legte Beschwerde ein. Der Platzverweis wurde daraufhin als rechtswidrig erklärt.
Beispiel: Festnahmen, Hausdurchsuchung und Erfindung von Gewalttätigkeiten vom 9.-11.1.2003
Am 9.1.2003 wurden zwei Aktivisten aus dem Umfeld der Projektwerkstatt verhaftet. Am 10. Januar 2003 durchsuchten Polizeieinheiten die Projektwerkstatt in Reiskirchen-Saasen und nahmen die gesamte technische Ausstattung mit. Die Aktion wurde vom Landgericht für rechtswidrig erklärt - eine genauere Begründung erübrigt sich hier daher.
Dennoch ist der Ablauf ein typisches Beispiel für Polizeiwillkür und das diese deckende Amtsgericht Gießen.
A. Polizei greift ohne Rechtsgrundlage an: In ihrer Selbstsicherheit bemühte sich die Polizei gar nicht um einen rechtsstaatlichen Rahmen. Willkürlich nahm sie zwei Personen in Gewahrsam, damit diese bei der Durchsuchung nicht störten.
Zudem betrat sie bereits mit den Worten "Heute machen wir es kurz, wir nehmen nur ihre Computer mit" alle Räume der Projektwerkstatt. Es fand nach übereinstimmenden AugenzeugInnenberichten gar keine Durchsuchung statt, das Ziel der Aktion stand vorher fest: Die technische Zerschlagung der Projektwerkstatt. Die Polizei zeigte deutlich, dass sie selbst nicht daran glaubte, für irgendwas Spuren zu finden, sondern sie wollte einen möglichst großen Schaden verursachen. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Polizei bereits ein halbes Jahr einen anderen PC der Projektwerkstatt (aus einer früheren Hausdurchsuchung), allerdings wurde auch der nie ausgewertet.
Die Polizei vermutete offenbar selbst kein belastendes Material auf den Rechnern. Für die Durchsuchung am 10.1.2003 ist das auch schlecht vorstellbar: Bezugs-Straftat waren Sprühereien an der Gallushalle in Grünberg - wozu da Computer als Beweismittel dienen sollen, ist schleierhaft.
B. Deckung durch AmtsrichterInnen: Die zuständigen Richter am Amtsgericht
gaben im Nachhinein (!) grünes Licht für die Hausdurchsuchung, obwohl diese
schon wegen der zeitlichen Reihenfolge als rechtswidrig zu erkennen war. Zudem
änderte ein Richter noch einige Tage später den Geltungsbereich des Durchsuchungsbeschlusses, weil die tatsächliche Durchsuchung auch durch den ersten, nachträglichen Beschluss nicht gedeckt war. Hier ist deutlich zu sehen, wie krampfhaft die ohne richterliche
Anweisung erfolgte und daher polizeiwillkürliche Durchsuchung gedeckt werden
sollte. AmtsrichterInnen und Polizei handelten hier offensichtlich in enger
Komplizenschaft bei der Fälschung von Rechtsvorgängen.
C. Landgericht sieht das gegenteilig: Das Landgericht hingegen erteilte der
sog. Hausdurchsuchung eine klare Absage und erklärte sie am 26.2.2003 in allen
Teilen für rechtswidrig.
D. Willfährige Presse lügt korrekte Form der Hausdurchsuchung herbei: Wie üblich, unterstützte die Giessener Tagespresse die Version der Polizei und behauptete u.a. sogar, die Polizei hätte einen Durchsuchungsbeschluss dabei gehabt. Über die Rechtswidrig-Erklärung der Hausdurchsuchung wurde nicht oder nur sehr kurz berichtet.
"Mit einem Durchsuchungsbeschluss eines Richters kam gestern der Staatsschutz in die "Projektwerkstatt" in Saasen." (GI Anzeiger, 11.01.03, Autor: Äat = Erhard Goltze)
E. Angriff auf Demonstration: Gegen diese willkürliche Polizeigewalt protestierten Menschen am 11.1.2003 im Giessener Seltersweg, der zentralen FußgängerInnenzone. Die Polizei beendete nach ca. 30min auf Anweisung des als CDU-Wahlkämpfer anwesenden Innenministers Bouffier diese spontane und damit rechtmäßige Demonstration. Die gewaltsame Beendigung der Demonstration wurde nicht vorher angekündigt. Der Einsatzleiter der Polizei, POK Walter, zeigte bei seinen Aussagen vor Gericht am 15.12.2003 deutlich mangelndes Rechtswissen über Demonstrationen.
F. Gewalttätigkeiten der Politik: An der Rangelei beteiligten sich CDU-Mitglieder, einer trat mit voller Wucht. Eine Anzeige wurde von der Justiz nicht verfolgt.
G. Gewalttätigkeit der Polizei: Bei der Festnahme eines Aktivisten beschädigten
die PolizistInnen den CDU-Parteistand. Ein Polizist trat nach dem Verhafteten.
Einsatzleiter POK Walter griff dem Verhafteten in die Genitalien.
H. Erfindung einer Gewalttat: Zur Verschleierung wurde der verhaftete Aktivist
B. mit einer erfundenen Körperverletzung angezeigt. Einsatzleiter POK Walter,
selbst grob gewalttätig, dachte sich nach der Aktion aus, dass der verhaftete
B. ihn beim Abtransport ins Gesicht getreten hätte und brachte das zur Anzeige.
Dass sich POK Walter den Vorgang erst später ersann, bewies die Gerichtsverhandlung am 15.12.2003. Der Vorgang tauchte im Bericht des von POK Walter selbst als mit ihm an der Aktion beteiligt benannten PHK Ernst nicht auf. In seinem vom Angeklagten B. im Verfahren zitierten Vermerk beschrieb dieser nur das Gerangel zwischen der Polizei und "Anhängern" des B. Später sei noch Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte hinzugekommen. Von einem Tritt und einer Verletzung schrieg er nichts. Erst im ausführlicheren Bericht von POK Walter tauchte die Beschuldigung eines Trittes auf - und zwar in einer Situation, bei der sich POK Walter selbst nicht erklären konnte, wie ein Tritt athletisch überhaupt möglich gewesen sein soll (siehe Urteil und Anmerkungen im Anhang der Dokumentation). Allerdings holte die Polizei mit dieser Anzeige nach, was ihr mit den Festnahmen am 9.1.2003 und den Beschlagnahmen am 10.1.2003 nicht gelang: Die politische Opposition zu stoppen.
4. Verharmlosung von Gewalt gegen Opposition
Während kleinste Aktionen und vor allem erfundene Straftaten für politische Protestgruppen bereits erhebliche Kriminalisierung und aufwändige Gerichtsverfahren nach sich ziehen, wird selbst intensive Gewalt gegen Protestgruppen bagatellisiert. Prägnantestes Beispiel dafür sind die Angriffe auf die Projektwerkstatt in Saasen am 6. Juni 1994 und 1. Mai 2001.
Beispiel: Angriffe auf die Projektwerkstatt 1994-2001
A. Versuchtes Attentat: Am 6.6.1994 betratt ein angetrunkener Einwohner des Ortes Saasen mit einer Sense bewaffnet das Grundstück der Projektwerkstatt. Er brüllte mehrfach den Namen einer dort aktiven Personen und dass er ihn umbringen wolle. Wie später zu erfahren war, wurde der Einwohner am Saasener Stammtisch zu der Aktion überredet. Mit der Sense warf er nach den anwesenden Personen in der Projektwerkstatt (die gerufene Person war nicht anwesend) und zerstörte Fenster, Zaunteile und einen Schuppen. Die BewohnerInnen verteidigten das Haus mit einem Feuerlöscher. Der Angreifer ging nach Hause und wollte mit einem Ölkanister und einer Eisenstange wiederkommen. Mittlerweile war die Polizei eingetroffen.
Fluchend ging die Person mit der Stange auf die Polizei los und wurde von dieser in Kampfsporttechnik gestoppt. Die Delikte wären: Versuchter Totschlag, versuchte schwere Brandstiftung, versuchte gefährliche Körperverletzung und Widerstand gegen die Staatsgewalt mit versuchter gefährlicher Körperverletzung - sicherlich ein Vorgang, der jeder beliebigen Person aus der Projektwerkstatt eine mehrjährige Haftstrafe eingebracht hätte. Gegen die Projektwerkstatt gerichtet wurde das Verhalten jedoch gedeckt, obwohl selbst im ersten Polizeipressebericht die Straftaten genau genannt wurden. Das Verfahren gegen die Person wurde jedoch eingestellt (!!!), die örtliche CDU stellte sich verständnisvoll öffentlich hinter den Angriff.
B. 1995-2001: Im Laufe der Jahre bis 2001 kam es zu mehreren Körperverletzungen und Sachbeschädigungen gegen die Projektwerkstatt. Die rief zwar nicht die Polizei, doch einige Male musste die Polizei kommen, weil z.B. auch Grundstücke von NachbarInnen in Mitleidenschaft gezogen wurden. Verfahren gab es nie, obwohl die TäterInnen oft bekannt waren.
C. Nacht zum 1. Mai 2001: In der Nacht auf den 1. Mai 2001 kam es zu einem bewaffneten Angriff von 48 Personen auf die Projektwerkstatt. Weitere EinwohnerInnen versorgten die AngreiferInnen mit Bier und Waffen (Eisenstangen, Knüppel usw.) - insgesamt eine pogromartige Stimmung. Es gab drei Verletzte, die Polizei löst die Situation nach 3 Stunden im zweiten Anrücken durch Platzverweise auf. Etliche AngreiferInnen kamen dem erst nach einiger Zeit nach - Verhaftungen gab es nicht. Die Aktionen wären strafrechtlich als schwerer Landfriedensbruch, gefährliche Körperverletzung (Zuschlagen mit Knüppeln, Eisenstangen und Totschlägern, Werfen mit Steinen), versuchte gefährliche Körperverletzung, Bildung bewaffneter Gruppen und schwerer Hausfriedensbruch zu werten. Für alle war kein Antrag des Geschädigten nötig, alle Personen aus der Projektwerkstatt erklärten öffentlich, statt Strafverfolgung lieber den direkten Kontakt zu suchen.
Die Reaktionen aber sprachen für sich: Es wurde keinerlei Anklage erhoben trotz der klaren Beweislage, der bekannten TäterInnen und der Schwere der Strafen (ProjektwerkstättlerInnen wären für selbiges Verhalten sicherlich für einige Jahre inhaftiert worden).
Nur wenige Tage nach dem Angriff durchsuchte die Polizei die Projektwerkstatt, wobei sie als Grund einen Vorgang benannte, der zu diesem Zeitpunkt fast 7 Monate zurücklag. Seitens der Gemeinde Reiskirchen wurde ein Runder Tisch zur Aufarbeitung eingerichtet, aber die Projektwerkstatt davon von Beginn an ausgeschlossen (!). Kirche und Vereine aus Saasen verweigerten jeglichen Kontakt mit den Angegriffenen, obwohl sie angefragt wurden. Politiker aus dem Ort schütteten mit sozialrassistischen Sprüchen Öl ins Feuer und debattierten formale Schritte gegen die Projektwerkstatt. Im Dorf verteilten sie Internetausdrucke, die belegen sollten, dass die Projektwerkstatt eine terroristische Gruppe sei. Als Folge wurden Projektwerkstatts-Aktive mehrfach auf der Straße als BombenlegerInnen beschimpft.
Der Giessener Anzeiger veröffentlichte am Folgetag eine vom damaligen Bürgermeister Döring komplett erfundene Story, dass Projektwerkstättler eine Gruppe Jugendlicher überfallen hätten, die das Hoftor der Projektwerkstatt zu klauen versuchten. Dass die Projektwerkstatt gar kein Hoftor hat, ist die offensichtlichste Peinlichkeit der ansonsten skandalösen Vorgänge. AugenzeugInnen aus der Nachbarschaft, die gegenüber der Polizei und Presse den tatsächlichen Ablauf schilderten (Auszüge aus dem Bericht rechts), wurden ebenfalls von EinwohnerInnen bedroht und ausgegrenzt.
5. Öffentliche Diffamierung
Seit Jahren wird in Giessener Zeitungen gegen politische Oppositionsgruppen gehetzt. Diese wurden mehrfach mit Straftaten in Verbindung gebracht, obwohl weder Beweise noch Urteile vorliegen. Die Polizei wurde wegen ihrer Misserfolge bedauert, härteres Durchgreifen eingefordert.
Beispiel: Zitate aus den Tageszeitungen in Gießen
"Überhaupt haben vor allem die Sozialdemokraten in den vergangenen Wochen einen Popanz aufgebaut, der zu einer in der Sache kaum zu rechtfertigenden Demonstration am Donnerstagabend geführt hat. Die wenigsten der Kritiker dürften die Verordnung gekannt haben, gegen die sie protestierten. Andererseits kann dem Magistrat die Empörung von Jungsozialisten und Linksextremen aber gelegen sein. Denn die Bürger wissen automatisch: Wenn aus dieser Ecke Kritik kommt, dann hat die Stadtregierung etwas Vernünftiges vor." (GI Allg., 14.12.2002, Autor: Guido Tamme)
Literatur
* Humanistische Union (2003): Innere Sicherheit als Gefahr? www.innere-sicherheit.de.
* Kreative Antirepression (2003), Informationsheft aus der Projektwerkstatt.
Mehr: http://www.projektwerkstatt.de/materialien und http://www.projektwerkstatt.de/antirepression.
Kontakt, ReferentInnenanfragen, Trainings und mehr ...
Die AutorInnen der Dokumentation stehen für Nachfragen, Veranstaltungen, Interviews oder als TextverfasserInnen zur Verfügung. Über die Projektwerkstatt sind zudem ReferentInnen und TrainerInnen für Themen wie
* Direct Action, kreativer Widerstand
* Kreative Antirepression
* Herrschaftskritik und Utopien
und etliche Themen mehr anzufragen. Kontakt: Projektwerkstatt, Ludwigstr. 11, 35447 Reiskirchen-Saasen. Tel. 06401/90328-3, Fax -5, Email: projektwerkstatt@apg.lahn.de
Links
Direkt zur Doku: http://www.projektwerkstatt.de/antirepression/prozesse/polizeidoku.pdf
Projektwerkstatt Saasen: http://www.projektwerkstatt.de/saasen
Weitere:
a. zur Polizei:
- http://www.polizeigewalt.de
- http://www.polizeikontrollstelle.de
b. zu Repression, Strafe und Gefängnis
- http://www.projektwerkstatt.de/antirepression
- http://www.knast.net
c. zur Region Gießen
- Proteste gegen Gefahrenabwehrverordnung: http://www.abwehr-der-ordnung.de.vu
- Prozesse u.ä. gegen Projektwerkstatt: http://www.projektwerkstatt.de/prozesse
- Polizeipräsidium Gießen: http://www.pp-mittelhessen.de
d. Protest
- Kreative Aktionsformen: http://www.direct-action.de.vu
- Aktuelle Berichte: http://www.projektwerkstatt.de/aktuell
- Nachrichten aus Gießen: http://www.bunter.nachrichten.dienst.de.vu
Termine
In den nächsten Tagen und Wochen gibt es rund um die Dokumentation und die Auseinandersetzung mit Repressionsstrategien, Hetze und Fälschungen einige Veranstaltungen in Berlin und in Mittelhessen, u.a. die Aktionswoche gegen Knast und Repression vom 8.-15.3. in Gießen.
Außerdem: 1.3. in Berlin, 4.3. in Gießen: Veröffentlichung einer umfangreichen Dokumentation über Polizeistrategien, Erfindungen von Straftaten, Gewalt, Einschüchterung und Gewaltakzeptanz, Übergriffe gegen Demonstrations- und Meinungsfreiheit sowie rechtswidrige Hausdurchsuchungen, Platzverweise usw. in und um Gießen (PressevertreterInnen können sich melden, um informiert zu werden!) - die Internetseite zur Doku ....
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