Kollateralschäden werden billigend in Kauf genommen!
Bereits jetzt ist abzusehen: Praxisgebühr und Zuzahlungen werden zur massiven Ausgrenzung aus der Gesundheitsversorgung führen.
Seit dem 1. Januar müssen Sozialhilfeberechtigte wie alle anderen Versicherten der gesetzlichen Krankenkassen für ihre Gesundheit tief in die Tasche greifen.
Doch die zusätzlichen Kosten, die durch Praxisgebühr und Zuzahlungen zu Medikamenten und medizinischen Hilfsmittel entstehen, werden in Zukunft BezieherInnnen von Hilfe zum Lebensunterhalt oder von Grundsicherung im Alter sowie Menschen mit geringem Einkommen davor abschrecken, im Bedarfsfall medizinische Leistungen in Anspruch zu nehmen.
Betroffen ist eine Bevölkerungsgruppe, die bereits jetzt unter einem erheblich schlechteren Gesundheitszustand zu leiden hat, wie u.a. eine wissenschaftliche Studie der Universität Marburg belegt, und deren Lebenserwartung einer Untersuchung der Medizinischen Hochschule Hannover zufolge etwa sieben Jahre kürzer ist als die ihrer wohlhabenderen MitbürgerInnen.
Durch die im Zuge der Gesundheitsreform vorgenommene Neufassung des § 1 Abs. 1 Satz 2 Regelsatzverordnung im Sozialhilferecht müssen nunmehr auch die Kosten bei Krankheit von den Regelsätzen bestritten werden. Bis zu einer "Belastungsgrenze", die auf einen Jahresbetrag in Höhe von 71,28 (bei chronisch Kranken in Dauerbehandlung sind es 35,64 ) festgesetzt wurde, müssen sich Leistungsberechtigte die medizinische Versorgung faktisch vom Munde absparen. Trotz dieser zusätzlichen Belastung wurden die Regelsätze in der Sozialhilfe, die für die Sicherung des täglichen Bedarfs zum Leben ausreichen sollen, nicht angehoben. Das führt praktisch zu einer Senkung des Sozialhilfeniveaus bei einem Erwachsenen um monatlich 5,95 .
Die seit über zehn Jahren schleichende Aushöhlung des Bedarfsdeckungsprinzips, das als ein Mindeststandard unseres Systems der sozialen Sicherung angesehen werden muss, wird nun mit Nachdruck fortgesetzt. Ob das Vorgehen des Gesetzgebers jedoch mit dem verfassungsrechtlich garantierten Sozialstaatsgebot zu vereinbaren ist, und den gesetzlichen Anforderungen an die Bemessung des staatlich definieren Existenzminimums genügt, werden die zuständigen Gerichte zu prüfen haben.
Noch wird die Sicherung einer Existenz, die der Würde des Menschen entspricht, in § 1 des Sozialhilferechts postuliert. Das Leistungsniveau kann demzufolge nicht willkürlich durch die Kollateralschäden des "Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung" herabgesetzt werden.
Darüber hinaus werden kranke Sozialhilfe- bzw. Grundsicherungsberechtigte in erhebliche Zahlungsschwierigkeiten und Bedarfsunterdeckung gedrängt. Da die Belastungsgrenze von 71,28 / 35,64 erst einmal erreicht sein muss, bevor der Sozialhilfeträger die Krankheitskosten übernimmt, ist es unerheblich in welch kurzem Zeitraum diese Kosten entstehen.
Für chronisch oder akut erkrankte Betroffene bedeutet das, entweder neben ihrer Krankheit mit einem Einkommen auszukommen, das unterhalb des Existenzminimums liegt, oder auf die Behandlung und notwendige Medikamente zu verzichten. Wenn am Monatsende das Geld knapp wird, werden diese Leistungsberechtigte zwischen einer Mahlzeit für die Familie oder dem Arztbesuch zu entscheiden haben. Untersuchungen belegen es: In Schweden hat die Einführung einer Praxisgebühr dazu geführt, dass besonders die Menschen mit geringem Einkommen seltener zum Arzt gehen.
Zusätzliche Belastungen am Rande des Existenzminimums führen zu einer weiteren Verschlechterung der medizinischen Versorgungssituation von einkommensschwachen Mitbürgerinnen, die im Zuge der so genannten Reformpolitik der Bundesregierung zudem von massiven Leistungskürzungen, Entrechtung und Prekarisierung betroffen sind und künftig sein werden.
Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Sozialhilfeinitiativen rät Sozialhilfe- und Grundsicherungsberechtigten, sich gegen diese Ausgrenzung zur Wehr zu setzen. Krankheitskosten können als einmalige Leistungen beim zuständigen Sozialamt beantragt werden. Ein Musterantrag dafür kann in unserer Geschäftstelle angefordert werden.
Bei der Ablehnung dieses Antrags durch das Amt und einem erfolglosen Widerspruch führt der Weg in die nächste Instanz: Dann müssen die Gerichte über die Rechtmäßigkeit dieser Sozialleistungskürzungen durch die Hintertür befinden.
Nur durch die Courage der Betroffenen können die Schäden der Gesundheitsreform noch gemindert werden.
Frank Jäger
(BAG-SHI Geschäftsführung)
Informationen: 0160-4 25 89 10
Mo bis Do: 069-27 22 08 96
Der
Musterantrag kann als PDF-Datei heruntergeladen - oder angefordert werden unter:
BAG SHI (Bundesarbeitsgemeinschaft der Sozialhilfeinitiativen)
Moselstraße 25
60329 Frankfurt am Main
Fon: 069-27 22 08 98
Fax: 069-27 22 08 97
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