Neue Regelungen zur Telekommunikationsüberwachung
Umfangreiche Abfragemöglichkeiten auch für "Schwarzarbeit-Fahnder"
Das Bundeskabinett hat gestern den Regierungsentwurf [1] für ein neues Telekommunikationsgesetz (TKG) verabschiedet [2]. Er soll ein Richtlinienpaket der EU-Kommission umsetzen. Dabei mussten auch die Regelungen für die Überwachung von Telekommunikationsanlagen überarbeitet werden. Im Vergleich zu dem im April 2003 präsentierten Entwurf gibt es einige bemerkenswerte Veränderungen:
Der Kreis derjenigen, die Überwachungseinrichtungen vorhalten müssen, bleibt nun doch unverändert. Damit sind auch Anbieter, die nicht-öffentliche Telekommunikationsdienste wie Firmennetze anbieten, betroffen. Allein die Anbieter öffentlicher Telekommunikationsdienste nehmen jedoch am automatisierten Auskunftsverfahren teil, bei dem die Abhörer selbst auf die Daten zugreifen können. Zu diesem Verfahren wird es eine ergänzende Verordnung und Technische Richtlinie samt Schnittstellenbeschreibung geben.
Alle Betreiber müssen Rufnummer, Name, Anschrift, Geburtsdatum, Anschlusslage und Vertragsbeginn sowie gegebenenfalls auch das Vertragsende speichern. Dies gilt auch dann, wenn sie die Dienstleistung über Vertriebspartner vermarkten. Nur Betreiber nicht-öffentlicher TK-Dienste dürfen diese Daten so speichern, wie sie möchten. Alle Betreiber müssen auch die Aufstellung von Überwachungsgeräten für die strategische Fernmeldeüberwachung dulden und auch BND-Bediensteten sowie der Kontrollkommission des Bundestags jederzeit Zugang erlauben.
Offenbar dauerte es in der Vergangenheit oft mehrere Wochen, bis die Betreiber diese Bestandsdaten auf Anfrage herausgaben. Die Bundesregierung hat deshalb eine Art Qualitätsoffensive ins Gesetz verankert: So werden Bußgelder verhängt, wenn die Betreiber Auskünfte über Bestandsdaten nicht "unverzüglich" erteilen. Außerdem müssen die Betreiber spätestens nach einem Monat nach Inbetriebnahme der Überwachungsschnittstelle die technischen Unterlagen bei der Regulierungsbehörde einreichen. Sie vereinbart dann einen Termin für den praktischen Nachweis, dass die Anlage auch tatsächlich funktioniert.
Bislang konnten Gerichte, Strafverfolgungsbehörden sowie Polizei, Zoll, Verfassungsschutz, Militärischer Abschirmdienst (MAD) und Bundesnachrichtendienst (BND) den auf Kosten der Betreiber installierten Abfrageservice nutzen. Neu ist, dass nun auch Notrufabfragestellen die automatische Abfrage nutzen dürfen. Ziel ist es, die wohl weit verbreitete missbräuchliche Verwendung des Notrufs durch eine Rückverfolgung des Anrufers einzudämmen.
Auch das Bundesamt für Finanzen darf wohl im Kampf gegen Steuersünder die Daten abfragen. Aber auch so genannte "Schwarzarbeit-Fahnder" der Ordnungsämter, Arbeitsämter und Zoll dürfen sich künftig sich an die Schnittstelle klemmen. Entsprechende Anfragen werden sicherlich steigen: Im nächsten Jahr soll allein die Zahl der Schwarzarbeit-Fahnder des Zolls von 2.000 auf 5.000 wachsen.
Die Datenabfrage soll wesentlich erleichtert werden, indem Abfrager "Jokerzeichen" verwenden können sollen. "Ähnlichenfunktionen" sollen auch dann Ergebnisse generieren, wenn eine erste Abfrage keine Treffer bringt. Allerdings sollen nicht alle berechtigten Stellen die "ganze Palette der Abfragemöglichkeiten" benutzen dürfen, sagte Jürgen Ullrich vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technik auf dem Datenschutzsymposium des Bundesdatenschutzbeauftragten vergangene Woche in Bonn. Eine eigene Verordnungsermächtigung wird regeln, wie das technische Übermittlungsverfahren entsprechend aussehen soll. Diese liegt aber noch nicht einmal im Entwurf vor und wird noch, so Ullrich, sicherlich für einige Diskussionen sorgen.
Die Überwachungsstatistik wird nun doch für eine gewisse Zeit beibehalten werden. Ursprünglich sah der Entwurf ihre Abschaffung vor - mit dem Verweis auf eine "Arbeitserleichterung" für die Betreiber. Langfristig sollen die Landesjustizverewaltungen aussagekräftigere Statistiken liefern, als sie es für die Länder und die TK-Unternehmen für die Bundesebene es heute tun. Die Statistiken sind die Grundlage für jede kritische Evaluierung der Überwachungspraxis in Deutschland.
Auch im Bereich der Kostenfrage scheint die Bundesregierung sich zu bewegen: Zur Zeit sieht nur das Gesetz über die Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen ( ZuSEG [3]) eine Entschädigung in manuellen Auskunftsverfahren vor. Dies ist auch dann für Daten der Fall, wenn sie im automatisierten Verfahren richtig abrufbar gewesen wären. Allerdings dürfen nur Anbieter von nicht-öffentlichen TK-Diensten das manuelle Verfahren verwenden. Für die meisten Telekommunikationsbetreiber überraschend dürfte der Hinweis von Ullrich gewesen sein, dass das Bundeswirtschaftsministerium bereit sei, die Kostenfrage in einer späteren Diskussion aufzugreifen. So sei vorstellbar, die Abrechnung von Überwachungsmaßnahmen über Tages- oder Wochenpauschalen für alle Beteiligten abzuwickeln. Hannah Seiffert, Justiziarin des Providerverbands Eco, wies in einem Diskussionsbeitrag darauf hin, dass das Bundesjustizministerium derzeit die Entschädigungsregelung novelliere.
Der österreichische Verfassungsgerichtshof kippte die Kostenübernahme durch die Unternehmen in einem Urteil [4] am 27. Februar 2003 übrigens komplett. Sie sei verfassungswidrig, da sie den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletze. Juristen verwiesen darauf, dass eine Verfassungsklage in Deutschland aufgrund der ähnlichen Rechtslage durchaus Erfolg haben könnte. Dies dürfte der Hintergrund für das plötzliche Aufweichen des Wirtschaftsministeriums sein.
Quelle: Telepolis
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