Leiharbeit als Wunderwaffe - der Rohrkrepierer
Sie sind das Herzstück der Hartz-Reform.
Die Personal-Service-Agenturen (PSA), die Leiharbeitsfirmen zur Ergänzung der
Arbeitsämter.
Hartz kluge Idee: Langzeitarbeitslose werden bei der PSA fest angestellt, an Firmen ausgeliehen und über den sogenannten "Klebe"-Effekt, also eine spätere Festanstellung, wieder regulär in Lohn und Brot kommen. Doch das einzige, was die PSA bis jetzt produziert haben sind Frust und neue Arbeitslose. Über hochfliegende Pläne und eine harte Landung berichten Ursel Sieber, Caroline Walter und Marcus Weller.
4,314 Millionen gemeldete Arbeitslose! Das sind die Zahlen von heute. Die
jüngste Katastrophenmeldung vom deutschen Arbeitsmarkt.
Dabei sollte doch ab Mai mit dem Herzstück des Hartz-Konzepts ein Arbeitsplatzwunder
geschehen: Die sogenannten PSA - Personal Service Agenturen, die sollten schaffen,
was die guten alten Arbeitsämter nicht hin kriegen: die Menschen schnell in
neue Jobs zu vermitteln. So die Theorie.
Jetzt die Praxis. Markus Weller und Caroline Walter haben den Test gemacht.
Die Bilanz ist deprimierend.
Doris Eberling aus Berlin ist seit mehr als zehn Jahren arbeitslos.
Das Arbeitsamt schickt sie jetzt zu einer Personal Service Agentur, kurz PSA.
Diese private Firma soll ihr in den nächsten neun Monaten einen Job vermitteln.
Pierre Mundin: "In diesen neun Monaten versuchen wir sie a) direkt zu vermitteln
und b) auch über Zeitarbeit, also sprich über Leiharbeit, an Unternehmen zu
vermitteln, die Mitarbeiter suchen."
Doris Eberling muss jetzt für 5 Euro 60 Stundenlohn jede Arbeit annehmen,
die die PSA für sie findet - zumeist Hilfsjobs. Frau Eberling wird an andere
Firmen ausgeliehen und soll dort irgendwann fest angestellt werden.
Pierre Mundin: "Wenn wir nach neun Monaten zu keinem Ergebnis kommen, dann
ist natürlich das Arbeitsamt wieder gefordert und das Arbeistamt wird von uns
die Ergebnisse unserer neunmonatigen Bemühungen bekommen."
Doris Eberling: "Ich hoffe, dass da mal was Richtiges passiert, weil ich hab
ja schon zehn Jahre keinen festen Arbeitsplatz."
Für die Vermittler ist es eigentlich egal, ob Frau Eberling einen festen Job
bekommt. Denn für ihre Arbeit erhält die PSA nämlich auf jeden Fall 1000 Euro
pro Monat vom Arbeitsamt.
Die PSA als Wunderwaffe des Hartz-Konzepts. 500.000 Arbeitslose sollen durch
sie in neue Jobs vermittelt werden. Doch das Ganze entwickelt sich zum Riesenflop.
Auch Detlef Haupt wurde vom Arbeitsamt an eine PSA vermittelt. Doch dem gelernten
Kfz-Klempner wurde keine Arbeit angeboten. Zwei Monate lang passierte für ihn
in der PSA gar nichts.
Detlef Haupt: "Ich hätte jetzt erwartet, dass sie mir 'ne Firma empfehlen
und sagen jetzt, wir haben jemand, der sucht nen Klempner, gehen Sie doch mal
hin. Aber sowas kam nicht von der PSA."
Frage: "Sondern, was kam?"
Detlef Haupt: "Nur Auflagen, wie ich, also im Prinzip, schreiben Sie das um,
suchen sie 'ne Zeitung, schreiben Sie Adressen aus dem Telefonbuch raus - mehr
nicht."
Zeitung lesen, Bewerbungen umschreiben, zu Hause rumsitzen - das hat Detlef
Haupt auch schon ohne PSA gemacht. Nicht einmal Schulungen hat man ihm angeboten.
Er glaubt, die Agentur war einfach nur am Geld vom Arbeitsamt interessiert.
Detlef Haupt: "Na, ich fühle mich verarscht, von der PSA, vom Arbeits- amt,
eigentlich vom Staat her gesehen, weil diese Arbeitsmarktpolitik nicht fußen
wird. Weil, wo nichts produziert wird, kann auch nichts repariert werden."
Wir besuchen eine weitere PSA, eine von 820 in ganz Deutschland. Diese sitzt
in Berlin Mitte. Sie soll 70 ehemalige Arbeitslose als Leiharbeiter vermitteln,
aber die meiste Zeit sitzen sie nur rum. Sie sind gut ausgebildet, doch wenn
sie verliehen werden, dann nur als Hilfskräfte an eine Umzugsfirma oder Schokoladenfabrik.
In der Zwischenzeit sollen sie selbst im Internet nach Jobs suchen.
PSA-Mitarbeiter: "Ich bin der Meinung, das ist Zeitverschwendung alles. Steuergeldrausschmeisserei."
Frage: "Warum?"
PSA-Mitarbeiter: "Also in der Presse stand mal 1135 Personen sind beschäftigt
in der PSA, davon wurden zwei vermittelt. Das ist doch Steuergeldrausschmeisserei."
Frage: "Also Sie haben nicht die Hoffnung, auf absehbare Zeit einen Job zu
finden?"
PSA-Mitarbeiter: "Nee."
PSA-Mitarbeiter: "Ich bin jetzt vier Wochen hier und ich musste hier anfangen,
sonst hätte mir das Arbeitsamt das Geld gesperrt. Jetzt bin ich hier und schreib
meine Bewerbungen, wie immer halt."
Die PSA hat kaum Mitarbeiter in feste Jobs vermittelt, obwohl ihr das Arbeitsamt
schon die besten Bewerber zuweist. Dieter Compardt vom zuständigen Arbeitsamt.
Dieter Compardt, Arbeitsamt Berlin Nord: "Wir wollten, dass die PSA schnell
und gut ans Laufen kommt und haben deshalb erst mal die Rosinen rausgepickt,
die wirklich arbeitsmarktfähig waren."
Das Arbeitsamt freut sich, denn die PSA-Mitarbeiter gelten ja nicht mehr als
Arbeitslose - sie verschwinden einfach aus der Statistik.
In dieser PSA sieht es auf den ersten Blick besser aus. Die meisten ihrer
Mitarbeiter sind zur Zeit ausgeliehen, mit den Subventionen vom Arbeitsamt konnten
sie schön billig angeboten werden.
Volker Westphal: "Sicherlich sind unsere Stundenlöhne beim Verleih von Arbeitskräften
günstiger als bei Zeitarbeitsfirmen. Sicherlich auch der Tatsache geschuldet,
dass wir ja gefördert werden."
Diese Subvention beträgt rund 1000 Euro im Monat für jeden einzelnen PSA Mitarbeiter.
Und so können sie ihre Leute zu Dumping-Preisen verleihen und machen damit der
regulären Zeitarbeit zunehmend Konkurrenz. Das musste auch Gabriele Schmidt
erfahren. Ihre Zeitarbeitsfirma in Köln muss mit den billigen PSAs konkurrieren.
Das Ergebnis: gerade hat sie einen wichtigen Kunden verloren, einen, an den
sie seit zwölf Jahren Zeitarbeiter verliehen hat.
Gabriele Schmidt: "Wir sind zu einem langjährigen Stammkunden gerufen worden, der uns mitteilte, dass er in Zukunft nicht mehr mit uns zusammenarbeiten könnte, weil er ein Angebot vorliegen hätte, was drei Euro pro Stunde preiswerter wäre. Ich konnte das gar nicht verstehen und hab mir dann das Angebot zeigen lassen und musste feststellen, dass es eine Personal Service Agentur ist. Wir haben dann die Arbeitsplätze bei diesem Stammkunden verloren."
Ihre Firma musste deshalb drei Mitarbeiter entlassen. Mit staatlich subventionierten PSA-Löhnen kann sie nicht mithalten. Die Angst vor dieser Konkurrenz ist groß.
Gabriele Schmidt: "Wir befürchten, dass das weitergeht, dass mehrere Kunden angesprochen werden, weil diese PSAs müssen ja irgendwo ihre Arbeitsplätze herbekommen. Es werden daurch keine Neuen geschaffen, sondern uns werden halt Arbeitsplätze weggenommen, was zur Folge hat, dass wir dann unsere 90 Mitarbeiter, die wir
zur Zeit beschäftigt haben, entlassen müssen, weil wir keine Aufträge mehr haben und die Firma im Endeffekt dann zumachen müssen."
Und so entstehen dank PSA neue Arbeitslose. Aber für die gibt es ja dann wieder die PSA.
Kontraste vom 4. Sept. 2003