Gewonnen hat: Die Pharmaindustrie
Zwei Wochen vor der Ministertagung der Welthandelsorganisation sind in Genf die Verhandlungen um den Zugang armer Länder zu preisgünstigen Medikamenten zu Ende gegangen. Arzneimittel wird es für Bedürftige demnach kaum geben
Seit Jahren fordern Entwicklungsländer den uneingeschränkten Zugang zu preisgünstigen Arzneimitteln, um Krankheiten wie AIDS, Tuberkulose oder Malaria zu bekämpfen. Gegen ihren Einsatz aber wenden sich die Regierungen der produzierenden Staaten in der Welthandelsorganisation (WTO), und begründen diese Haltung mit den Produktionskosten.
Dem Streit liegt ein beachtliches Ungleichgewicht zugrunde: Während die Mehrheit der HIV-Infizierten in Entwicklungsländern leben, werden die entsprechenden Medikamente fast ausschließlich in nördlichen Industriestaaten produziert. Die dort festgelegten Preise für eine flächendeckende Behandlung sind jedoch für kaum eine Regierung der betroffenen Länder zu bezahlen. Eine günstige Lösung stellten Import oder Produktion so genannter Generika dar. Generika haben die gleiche Wirkung wie patentierte Medikamente, sind aber deutlich billiger.
Als Teil der WTO-Verhandlungen um die Rechte für geistiges Eigentum, dem so genannten TRIPS-Abkommen, wurde der Umgang mit internationalen Arzneilizenzen seit Monaten im Generalrat der Organisation verhandelt. Seit Mitte vergangener Woche erlebten die Delegierten aus den 146 Mitgliedstaaten dabei eine diplomatische Berg- und Talfahrt. Am Donnerstag vermeldeten die Nachrichtenagenturen den vermeintlichen Erfolg, demnach sich nördliche Industriestaaten und betroffene Länder des Südens über den Einsatz von Generika geeinigt hätten. Nur wenig später musste die Meldung revidiert werden: Am frühen Freitagmorgen wurde der Verhandlungsmarathon überraschend abgebrochen. Vor allem die Philippinen, Argentinien, Venezuela und Kenia hatten sich als Wortführer einer Gruppe von rund 20 Staaten gegen das vorliegende Vertragswerk gewandt. "Nach vielen Stunden intensiver Verhandlungen gibt es ein Problem mit der Interpretation", erklärte WTO-Sprecher Keith Rockwell.
Am Samstag dann hatte sich das Blatt wieder gewendet: Die Verträge wurden in unveränderter Form unterzeichnet. Die Hilfsorganisationen "Ärzte ohne Grenzen" und "Oxfam" beklagten, dass der "Kompromiss" offenbar unter massivem Druck zustande gekommen sei.
Am Tag zuvor hatte sich das Bedauern bei Menschenrechts- und Hilfsorganisationen um den Abbruch der Verhandlungen in Grenzen gehalten. "Bereits das Basisdokument, das seit vergangenem Dezember vorlag, hätte die Entwicklungsstaaten zu weitreichenden Eingeständnissen gegenüber der internationalen Pharmaindustrie gezwungen", hatte Tobias Luppe, Fachreferent der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen am Freitag im Gespräch mit Telepolis erklärt. Die USA hätten eine Einigung bislang verhindert, weil Washington eine Schwemme von Generika auf dem Welt-, vor allem aber wohl dem eigenen Markt befürchtete. In Kooperation mit einer handvoll Delegationen wurde seither eine dreiseitige Präambel erarbeitet, die nun mit angenommen wurde. "Mit ihr werden maßgebliche Kompromisse noch weiter zuungunsten der armen Länder verändert", sagt Luppe nun.
So schreibt der Zusatztext fest, dass der Handel mit Generika "keinen kommerziellen Zwecken" dienen dürfte. Die Konsequenz ist, dass Produzenten diese preisgünstigen Medikamente in Staaten wie Südafrika oder Brasilien zum Selbstkostenpreis herstellen müssen, sich also kaum gegen die Konkurrenz aus dem Norden etablieren können. Die Regelung ist mitnichten der einzige Stolperstein. Entwicklungsstaaten hätten nach bisherigem Verhandlungsstand im Fall einer wachsenden Bedrohung durch AIDS, Malaria oder andere Pandemien lediglich den Notstand erklären müssen. Nach dem nun unterzeichneten Text sind sie verpflichtet, die Kapazitäten ihrer pharmazeutischen Industrie offen zu legen.
Dass die meisten Entwicklungsländer trotz ihrer Kritik zur Ratifizierung des Grundtextes vom Dezember letzten Jahres bereit waren, bekräftigte auch Spring Gombe, die Verbindungskoordinatorin des Netzwerkes "Global Access". Die vergangene Woche in Genf vorgelegte Präambel aber sei derart unklar formuliert, dass nicht mehr deutlich werde, unter welchen Voraussetzungen ein Entwicklungsland auf dringend benötigte Generika zurückgreifen könne. "Wir hätten schon der Unterzeichnung des Basistextes vom Dezember 2002 nur mit Bauchschmerzen zugestimmt", sagte Gombe, "durch die später dem Text vorangestellte Präambel und die noch weitreichendere Aushebelung der Rechte armer Länder ist die Schmerzgrenze aber überschritten". Die am Samstag verabschiedete Vereinbarung wird laut "Ärzte ohne Grenzen" und "Oxfam" die Produktion und den Export der Nachahmerprodukte weiter erschweren.