Nichts zu machen: IGM-Chef Klaus Zwickel gibt sich der 'Anti-Streik-Stimmung' geschlagen (DA 158, 2003)
Im Verlauf von nur wenigen Wochen ist der DGB auf einem nie dagewesenen Tiefpunkt seiner Geschichte angelangt. Zuerst floppten die "Aktionswochen" gegen die Agenda 2010 mangels Beteiligung der Mitglieder; DGB-Chef Michael Sommer gestand resigniert die Niederlage einer Kampagne ein, die den DGB wieder auf die Bühne des politischen Gechehens in Deutschland heben sollte. Und nun das: Klaus Zwickel, Chef der IG Metall, erklärt den Streik für die 35-Stundenwoche in Ostdeutschland für beendet, weil die Verhandlungen mit dem Kapital gescheitert seien.
Er räumt die Niederlage ein und gibt sich geschlagen. Dergleichen hat es in der Geschichte der Bundesrepublik noch nie gegeben.
Die offizielle Begründung, das Angebot der "Arbeitgeberseite" sei nicht annehmbar gewesen, wirkt absurd. Schließlich kann man daraus ja nur die Konsequenz ziehen, um so heftiger zu kämpfen, also das Drohpotential, das man in die Waagschale geworfen hat, auszuschöpfen. Es sei denn, es handelte sich um leere Drohungen. "Der Streik sei 'nicht mehr steigerbar' gewesen", zitiert denn auch dpa den Verhandlungsführer der IG Metall, Hasso Düvel. Wie kann das sein? Immerhin handelt es sich bei der IG Metall um die größte Einzelgewerkschaft der Welt; ihr Atem sollte für gewöhnlich etwas länger halten. Zwickel gibt die Antwort selbst. Man habe aus der "Anti-Stimmung", die in Deutschland gegen den Streik geherrscht habe, nicht rechtzeitig "Schlußfolgerungen gezogen" (dpa vom 28. Juni).
Nie hat es in Deutschland ein vergleichbar negatives Image der Gewerkschaften gegeben, wie jetzt. Presse und Rundfunk werfen ihnen "Besitzstanddenken" vor, und stellen sie als konservative Bremsklötze dar, die die für einen wirtschaftlichen Aufschwung unabdingbaren Reformen blockieren. Der DGB und seine Einzelgewerkschaften sind binnen weniger Jahre zum beliebten Sündenbock verkommen. Die "Bild"-Zeitung zeigte sich wieder einmal unübertreffbar darin, eine Stimmung wie diese in Worte zu fassen: "die Metaller machen alles kaputt", lautete die Schlagzeile vom 26. Juni. In der allgegenwärtig gepredigten Moral von Enthaltsamkeit, in der wir uns alle üben müßten, damit es wieder vorangeht, wirken ArbeiterInnen, die für Lohnerhöhungen, Arbeitszeitverkürzung oder einfach nur für gleichen Lohn für gleiche Arbeit kämpfen, wie Verbrecher.
Der DGB - und mit ihm die IG Metall - ist zum Opfer einer Logik geworden, die er mit geschaffen hat. Er ist den Klassenkompromiß eingegangen, und pries die daraus resultierende "Sozialpartnerschaft" von Arbeit und Kapital als Errungenschaft. Es gehört zum Selbstverständnis der BRD, daß sich der Klassenkampf im System der "sozialen Marktwirtschaft" aufgelöst habe. Nun muß er mit den Konsequenzen leben, wenn ihm seitens von Wirtschaft, Medien und Politik "Sachzwänge" entgegengehalten werden, die eine Verbesserung der Situation der ArbeiterInnen unmöglich machen. Wer unterschreibt, daß Arbeit und Kapital grundsätzlich gemeinsame Interessen hätten, verliert seine Glaubwürdigkeit, wenn er plötzlich Eigeninteressen einfordert.
In einem halben Jahrhundert hat der DGB eine Mentalität herangezogen, die Spontaneität und Entschlossenheit kaum noch zuläßt. Der Streik wurde mehr und mehr zum nur theoretischen Druckmittel, die eigentliche Gewerkschaftsarbeit leisteten die Funktionäre in Verhandlungsgesprächen. Wilde Streiks und Betriebsbesetzungen waren dem DGB fast mehr verhaßt als den Konzernchefs, fühlte er dadurch doch die Grundlagen der Sozialpartnerschaft bedroht. Es war und ist durchaus eine ganz bewußte Funktion von DGB-Vertretern und Betriebsräten, Belegschaften ruhig zu halten und spontane Aktionen zu unterbinden. Aber wer sich eine Basis erzieht, die folgsam auf die Arbeit ihrer Stellvertreter vertraut, braucht sich nicht zu wundern, wenn sie am Ende jede Kampfeslust und -fähigkeit einbüßt.
Und trotz der fast rührend anmutenden Versuche Michael Sommers, sich möglichst kämpferisch zu zeigen, wirkte der DGB alles andere als mitreißend. Genau wie PDS oder SPD-Linke kritisierte der DGB stets nur Details an der "Agenda 2010", nicht aber das Reformvorhaben als solches; gleiches gilt für das "Hartz"-Papier und andere Pläne, die das soziale Klima in Deutschland deutlich verschlechtern werden.
"Da kann man eben nichts machen" - es ist eine typische Haltung für den DGB. Jetzt hat sie ihn eingeholt. Und die Geschichte scheint ihn allmählich zu überholen.