Repressionen gegen Valencias Anarchisten: Immobilienhaie und Neonazis in einem Boot?

jW Intervierw mit Miguel Angel, Mitglied der anarcho-syndikalistischen Gewerkschaft CNT im spanischen Valencia.

F: Sie wurden im Juli wegen Unterstützung einer terroristischen Organisation verhaftet. Wie kam es dazu?


Hintergrund für die Verhaftung von insgesamt vier Personen ist ein gescheiterter Briefbombenanschlag auf die rechtsradikale Partei España 2000, den man uns in die Schuhe schieben wollte. Die Bombe explodierte Anfang Juli in einem Postamt und verletzte einen Angestellten. Erst bei der Verhandlung vor dem Sondergericht in Madrid erfuhren wir, daß wir für fast alle Sabotageaktionen der zurückliegenden Jahre in Valencia verantwortlich gemacht werden sollten. Angeblich soll von dem Computer im Libertären Zentrum im Stadtteil Cabanyal ein Bekennerschreiben verschickt worden sein. Gegen mich wollte man vorgehen, weil ich den Vertrag für die Internet-Verbindung unterschrieben habe.


F: Warum hat man Sie aus der Haft entlassen?


Der Richter am Sondergericht glaubte nicht, daß ich für den besagten Computer zuständig bin. Nach fünf Tagen Kontaktsperre wurde ich ohne Auflagen auf freien Fuß gesetzt. Der Terrorismusvorwurf wurde auch gegen eine noch inhaftierte Frau und ihren Freund fallengelassen.


F: In jüngerer Vergangenheit kam es in Valencia mehrfach zu Verhaftungen von Anarchisten. Was steckt dahinter?


Es geht um Abschreckung. Seit Juan Cotino, ehemaliger Chef der spanischen Polizei, vergangenen Sommer zum Delegierten der Zentralregierung in der Region Valencia ernannt wurde, nahmen die Repressionen gegen anarchistische Strukturen stark zu. Es kam zu Räumungen von besetzten Häusern und zu Provokationen durch neofaschistische Organisationen. Neu ist vor allem, daß seither auf Anarchisten das Antiterrorgesetz angewendet wird, wenngleich Cotino damit bislang immer gescheitert ist.


F: Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen den Räumungen und den Provokationen?


Ja. Vergangenen Oktober wurde das besetzte Zentrum Malas Pulgas in Cabanyal ohne richterliche Anordnung von Polizeikräften geräumt, nachdem tags zuvor ein Neonaziaufmarsch von Anarchisten attackiert worden war. Der Stadtteil ist im Visier von Spekulanten und soll zu weiten Teilen abgerissen werden. Spekulanten, Neonazis, Politiker und Polizei spielen sich gegenseitig die Bälle zu. Der Chef einer großen Immobilien- und Sicherheitsfirma, José Luis Roberto Navarro, ist zugleich auch Gründer der Rechtspartei España 2000. Diese hat einen militanten Arm, die DPS, die alle Demonstrationen filmt und ein Anti-Antifa-Archiv aufbaut. Mitglieder der DPS sind Polizisten und Mitarbeiter von Navarros Sicherheitsfirma, die seit der Räumung von Malas Pulgas das Haus unentgeltlich absichert.


F: Das sind eine Menge Gegner auf einmal.


Ja, aber gegen die Verhaftungen und gegen den Abriß des Stadtteils gab und gibt es eine ziemlich breite Mobilisierung. Die Repression wird aber wohl weitergehen.


Quelle: junge welt 28.08.2003