Reform löst Boom bei Minijobs aus
Der Niedriglohnsektor in Deutschland hat mit der Neuregelung der Minijobs
einen großen Schub erhalten.
Insgesamt zählt die zuständige Bundesknappschaft in Cottbus nach Angaben des
wirtschafts- und arbeitsmarktpolitischen Sprechers der SPD-Fraktion, Klaus Brandner, inzwischen knapp sechs Millionen Minijobber - also ungefähr jeden sechsten Erwerbstätigen.
"Nach ersten Einschätzungen sind seit April 2003 bereits 600.000 neue Arbeitsverhältnisse entstanden, davon ungefähr 30.000 in privaten Haushalten", sagte Brandner der Financial Times Deutschland.
Die Entwicklung zeigt, dass für die von den Gewerkschaften heftig bekämpften
gering vergüteten Beschäftigungsverhältnisse in Deutschland ein großer Bedarf
besteht. Die Minijobs sind Teil der Hartz-Gesetze für die Reform des Arbeitsmarkts.
Die Neuregelung zielt darauf ab, Beschäftigungspotenziale vor allem im Dienstleistungssektor
zu erschließen. Gewerkschaften fürchten, dass mit der Ausweitung des Niedriglohnsektors
die Vergütungen auch in anderen Branchen sinken.
Seit April dieses Jahres kann jeder Arbeitnehmer bis zu 400 Euro pro Monat
brutto für netto verdienen - entweder als Nebentätigkeit oder als Hauptbeschäftigung.
Arbeitgeber zahlen darauf pauschale Abgaben in Höhe von 25, Privathaushalte
in Höhe von zwölf Prozent. "Hiermit schaffen wir neue Jobs beispielsweise im
Gastgewerbe, im Einzelhandel oder auch in Privathaushalten", sagte Brandner.
Zahl geringfügig Beschäftigter deutlich höher
Wie die Bundesknappschaft in Cottbus ebenfalls herausfand, ist die Zahl der
so genannten geringfügig Beschäftigten deutlich höher als die bisher bekannten
4,1 Millionen.
Am 31. März waren demnach 5,3 Millionen solcher Arbeitnehmer bei den Rentenkassen
registriert.
Seit der Neuregelung am 1. April kamen noch einmal mehr als zehn Prozent hinzu.
Der SPD-Arbeitsmarktexperte Brandner führt dies unter anderem auf die deutliche
Vereinfachung des Verfahrens zurück: "Das wirkt sehr positiv." Die Vorgängerregelung
für 325-Euro-Jobs sah noch vor, dass der Arbeitgeber jeden Beschäftigten bei
dessen jeweiliger Krankenkasse sowie der Rentenkasse anmelden musste.
Nun ist es mit der Bundesknappschaft nur noch eine Stelle. Dorthin überweisen
Arbeitgeber eine 25-prozentige Abgabenpauschale (elf Prozent Krankenkassen-,
zwölf Prozent Rentenbeitrag und zwei Prozent Pauschalsteuer).
Verdienstgrenze angehoben
Der Minijobber selbst musste früher eine Freistellungsbescheinigung des Finanzamtes
vorlegen. Andernfalls wurde Lohnsteuer fällig. Mit der Neuregelung ist das entfallen.
Die Verdienstgrenze wurde auf 400 Euro im Monat angehoben. Nun dürfen Arbeitnehmer
einen Minijob auch in Nebentätigkeit ausüben. Er bleibt abgaben- und steuerfrei.
Für so genannte Midijobs bis zu einem Monatseinkommen von 800 Euro gibt es eine
Gleitzone mit langsam steigenden Sozialabgaben. "Wir wollten damit deutlich
machen, dass sich was tut im Bereich Entbürokratisierung", sagte Brandner.
Als die rot-grüne Bundesregierung 1999 die Abgabenpflicht für Minijobs einführte,
kündigten nach Schätzung des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes allein
in dieser Branche rund 100.000 der eine Million Beschäftigten. Auch im Reinigungsgewerbe
und beispielsweise bei den Zeitungszustellern gingen Zehntausende gering vergütete
Arbeitsplätze verloren. Die neuen Zahlen lassen darauf schließen, dass ein erheblicher
Teil dieser Arbeitsplätze erneut angeboten und besetzt wurde.
Genaue Zahlen erst in einigen Wochen
Noch ist allerdings unklar, ob die Aufsplittung von Vollzeitstellen zu dem Minijob-Boom
beigetragen hat. Dies war immer die Befürchtung der Gewerkschaften. Genaue Zahlen
hierzu sind erst in einigen Wochen zu erwarten.
Wie die Daten andeuten, scheint es auch in begrenztem Umfang gelungen zu sein,
Schwarzarbeit im Haushalt in legale Arbeitsverhältnisse umzuwandeln. Experten
vermuten gerade in Privathaushalten ein Potenzial von mehreren Hunderttausend
Stellen.
Private Arbeitgeber können zehn Prozent ihrer Kosten für Minijobber oder maximal
510 Euro pro Jahr von der Steuer absetzen, bei Midijobs sind es zwölf Prozent
oder maximal 2400 Euro pro Jahr.
Aus der FTD vom 27.5.2003, von Margaret Heckel, Berlin
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