ftd zur Sommer-Rolle-rückwärts

Pause, Kollegen! Feierabend, die Proteste ruhen.

Das zumindest verspricht uns DGB-Chef Michael Sommer. Die gröbsten Klötze in
der Agenda 2010 seien weg, hat der Gewerkschaftsboss erkannt. Was vor dem Wochenende nur Nachbesserungen waren, sind nun plötzlich handfeste Erfolge.

Erst im Herbst soll es wieder Großaktionen geben. Wenn überhaupt - bis dahin
müssen sich die Gewerkschaften erst einmal von ihrer bislang größten Niederlage
erholen: der miserablen Beteiligung an den Aktionen.

Was haben IG Metall, Verdi und DGB getrommelt in den vergangenen Wochen: Wie heiß der Mai würde, erst die Kommunikationswoche, dann die Großaktionen am 24. Mai. Massenproteste im großen Stil, Großkonflikte hat Sommer angekündigt.

Und was war? Nix war: Während in Frankreich seit Wochen Hunderttausende auf
die Straße gehen und das Land lahm legen, latschten am Samstag in Deutschland
gerade einmal 90.000 durch die Städte - und das gegen den angeblich fürchterlichen
Sozialabbau durch die SPD-Genossen. Das sind etwas mehr als ein Prozent der
7,7 Millionen Gewerkschaftsmitglieder. Zudem haben einige Tausend Beamte in
Pforzheim, die der DGB großzügig in die eigenen Reihen einordnete, nicht etwa
gegen die Agenda 2010 demonstriert, sondern gegen ihre Landesregierung.

Die Gewerkschaftsbosse haben sich gewaltig verschätzt und müssen beidrehen.
So mancher Arbeitnehmer fühlt sich zwar betrogen von der SPD; der DGB aber repräsentiert
diesen Protest weder in der Form noch im Inhalt. Alle Signale stehen nun auf
Kurswechsel - nicht bei der Regierung, sondern bei Sommers Kollegen.

Leitartikel aus der FTD vom 27.5.2003

www.ftd.de/gewerkschaften

DGB-Chef Sommer vertagt Proteste in den Herbst

Von Maike Rademaker, Berlin

Im Streit zwischen Bundesregierung und Gewerkschaften um das Reformpaket Agenda
2010 zeichnet sich ein Einlenken der Gewerkschaften ab. Der Vorsitzende des
Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Michael Sommer, will den Konflikt mit der
SPD vorerst nicht weiter zuspitzen. "Wir haben im Herbst zu entscheiden,
wie es weitergeht
", sagte Sommer. Bis dahin solle es keine weiteren Großaktionen
geben. Stattdessen ist ein Gespräch mit Kanzler Gerhard Schröder geplant. An
diesem würden offenbar auch IG-Metall-Chef Klaus Zwickel und der Verdi- Vorsitzende
Frank Bsirske teilnehmen. "Das ist nicht ausgeschlossen", sagte eine
Sprecherin der IG Metall der FTD. "Es müssen andere Formen als die gegenwärtige
Blockade gesucht werden
", sagte Cornelia Haß, die Sprecherin der Dienstleistungsgewerkschaft
Verdi.

Die von den Gewerkschaften als Massenproteste angekündigten Demonstrationen
am vergangenen Samstag sind mit 90.000 Teilnehmern eher dünn ausgefallen. Seitdem
stehen die Gewerkschaften unter massivem Druck, sich Einflussmöglichkeiten auf
die Reformpläne der SPD zu erhalten.

Großaktionen gegen Schröders Reformpaket

SPD-Fraktionschef Franz Müntefering begrüßte "die Signale mehrerer führender
Gewerkschafter
", den Konflikt nicht weiter eskalieren zu lassen. Er verstehe
dies ausdrücklich als Bekundung zu einer sachlichen Debatte, sagte er. Auch
die IG Metall will nach eigenen Angaben von großen Kundgebungen vorerst absehen.
Nur Verdi behält sich Aktionen vor. "Wir werden uns nicht bis September zurücklehnen
und zugucken
", sagte Verdi-Sprecherin Cornelia Haß.

Ein erstes Gespräch mit dem Kanzler hat DGB-Chef Sommer vergangene Woche geführt.
Weder Termin noch Form für ein Gespräch im Juni sind laut Verdi bisher geklärt.
Thema sollen die Einflussmöglichkeiten der Gewerkschaften auf die Detailplanung
der Gesetze sein. Dabei bahnt sich aber ein neuer Konflikt an. Laut Sommer sind
durch den Leitantrag der SPD für den Sonderparteitag "die gröbsten Klötze
weg
".

Bei DGB und IG Metall löste das Irritation aus. "Die gröbsten Klötze sind
noch da
" hieß es bei der IG-Metall. "Die sind nicht weg. Sonst hätten
wir nicht demonstrieren müssen
", sagte der bayerische DGB-Vorsitzende und
SPD-Abgeordnete Fritz Schösser. Schösser erwartet, dass Kompromisse zwischen
den Gewerkschaftsforderungen und der Agenda 2010 gefunden werden. DGB-Chef Sommer
hat am Montag zur weiteren Strategie mit Gewerkschaftsführern am Rande des Europäischen
Gewerkschaftstages gesprochen.

© 2003 Financial Times Deutschland