Vermögen: Wer Erspartes hat, muss sich davon mehr anrechnen lassen, als die meisten wissen...

Hamburg - "Es gibt in unseren Arbeitsämtern derzeit zahlreiche unschöne
Gespräche", sagt Volker Lenke, Sprecher des Landesarbeitsamts Nord. "Die
meisten Antragsteller auf Arbeitslosenhilfe fallen buchstäblich aus
allen Wolken." Und die Landung ist meist brutal. Denn seit Anfang des
Jahres gelten schärfere Regeln. Tausende Erwerbslose müssen nun oft erst
ihre privaten Lebensversicherungen verkaufen, um Geld vom Arbeitsamt zu
bekommen.

Hintergrund ist die massive Reduzierung des Vermögensfreibetrages. Bis
Ende 2002 blieb das Vermögen bis zu einem Betrag von 520 Euro pro
Lebensjahr unangetastet; jetzt sind es nur noch 200 Euro. Wer also 45
Jahre alt und ledig ist, darf nur noch 9000 Euro Erspartes besitzen,
will er Geld vom Arbeitsamt bekommen.


Tausende müssen nun an ihr langfristig Erspartes. Für viele ist dies die
private Altersvorsorge - vom Staat ja ausdrücklich empfohlen. In den
Arbeitsämtern gibt es darüber einiges Kopfschütteln. Ausgenommen ist
nämlich nur die staatlich geförderte "Riester-Rente", die derzeit etwa
10 Prozent (2,5 Millionen) aller Berechtigten abgeschlossen haben.


Ein Beispiel: Der 45-jährige Langzeitarbeitslose Erwin F. will
Arbeitslosenhilfe beantragen. Er besitzt aber eine als Altersvorsorge
gedachte private Lebensversicherung - die Rücklage aus besseren Zeiten.
Aktueller Rückkaufswert: 15 000 Euro. Weil F. aber seit Anfang des
Jahres nur noch 9000 Euro an Erspartem besitzen darf, muss er erst die
Differenz von 6000 Euro aufbrauchen, um wieder einen neuen Antrag auf
Arbeitslosenhilfe stellen zu können. Einzige Ausnahme: Der Wertverlust
beim Rückkauf ist größer als zehn Prozent. Bei F. ist das nicht der Fall
- Pech gehabt.


Der Bremer SPD-Landeschef Detlev Albers sieht in dem Gesetz einen
"krassen Fehlgriff" der Rechtsauslegung. "Ich halte das für einen
Schildbürgerstreich. Das stellt die Intention des Gesetzgebers völlig
auf den Kopf", schimpft der zum linken SPD-Flügel zählende Politiker.
"Es kann doch nicht sein, dass erst bestehendes, mühsam angespartes
Vermögen aufgebraucht werden muss, um in den Genuss sozialer Absicherung
zu kommen."


Werden die Kernpunkte der Reformagenda 2010 von Bundeskanzler Gerhard
Schröder (SPD) umgesetzt wie geplant, wird die Lage für diese Menschen
(derzeit 1,7 Millionen Arbeitslosenhilfe-Bezieher) wohl noch
dramatischer. Denn das Konzept sieht vor, ab 1. Januar 2004
Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zusammenzulegen und das so genannte
Arbeitslosengeld II zu schaffen. Dann werden die Freibeträge noch
niedriger ausfallen.


Im Leitantrag zum Sonderparteitag der SPD am 1. Juni steht zwar, dass
das Arbeitslosengeld II "armutsfest" ausgestaltet werden soll. Konkrete
Angaben gibt es dazu aber noch nicht. Albers bekräftigt deshalb: "Die
derzeitige Formulierung ist ungeeignet, als wirklich armutsfest
bezeichnet zu werden." Die Regierung geht davon aus, dass durch die
Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe insgesamt 2,6
Milliarden Euro gespart werden können. 360 000 Haushalte mit 930 000
Menschen werden dann keine staatliche Unterstützung mehr bekommen.


Nach Informationen des Abendblatts sind allerdings allein durch die
drastisch gekürzten Freibeträge bei der derzeit bestehenden Regelung
schon ein Drittel der bisherigen Arbeitslosenhilfe-Bezieher aus dem
Raster gefallen. Sie bekommen nichts mehr. Die meisten wissen aber
offenbar noch gar nicht, was auf sie zukommen wird. Weil die
Arbeitslosenhilfe nach Ablauf eines Jahres jeweils neu beantragt werden
muss, wird vielen der Schock erst noch bevorstehen. "Die meisten", sagt
Volker Lenke "wissen von den Neuregelungen noch gar nichts. Da ist die
Betroffenheit dann besonders groß."


erschienen am 14. Mai 2003 in Politik - Hamburger Abendblatt, von Günther Hörbst