Warnung vor systematisch verschärften Praktiken der Arbeitsämter

Gerster verordnet systematische Leistungseinschnitte

Wir veröffentlichen vorab einen Artikel aus der Zeitschrift quer (April 03), die erst um Ostern erhältlich sein wird. Es geht um die Tücken, die die Arbeitsämter derzeit bundesweit ersinnen und praktizieren, um möglichst viele zumindest zeitweise vor allem aus dem Arbeitslosengeldbezug auszugrenzen. Bitte die Information auch an Freunde, Bekannte etc. weitergeben.

Vorsicht, Fallen:

Der neue Kriegsherr in Nürnberg setzt auf einnahmeorientierte Leistungserbringung der Arbeitsämter


Den Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit (BA) ohne Bundeszuschuss zu finanzieren und so niedrigere Beiträge zur Arbeitslosenversicherung vorzubereiten, dies steht ganz oben auf der Tagesordnung ihres Chefs Florian Gerster.

Die Beitragssenkung, welche die UnternehmerInnen schon länger fordern, soll
- trotz steigender Arbeitslosigkeit - mit drastischen Maßnahmen zur Senkung
der Ausgaben für das Arbeitslosengeld erreicht werden. Arbeitsamtsbedienstete
handeln den BA-Chef von Schröders Gnaden inzwischen als neuen Kriegsherrn in
Nürnberg. Ein klarer Hinweis auf die außergewöhnlich harte Linie Gersters gegen
Erwerbslose und MitarbeiterInnen der Ämter.

Dringende Warnung

Der folgende Artikel soll jede Person, die Arbeitslosenunterstützung bezieht,
dringend vor den neuen Fallen der Arbeitsämter warnen. Besonders Erwerbslose
mit Arbeitslosengeld (Alg) sollen systematisch um größere oder kleinere Teile
ihrer Lohnersatzleistung gebracht werden. Da Ausgaben beim Alg meist nicht durch
die Vermittlung Erwerbsloser in Arbeit zu verhindern sind, wurde in der BA ein
ganzes Maßnahmenbündel geschnürt, um Pflichtverletzungen Erwerbsloser zu provozieren
und damit auf dem Fuß folgende Strafen in Form von Leistungsstreichungen zu
ermöglichen. Wir skizzieren hier, ohne Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben,
einige der Maßnahmen.

Provozieren von Säumniszeiten

Generell sollen binnen weniger Monate alle Alg-BezieherInnen mit Rechtsfolgenbelehrung
zu (Gruppen-) Informationsveranstaltungen geladen werden.

Bei Nichterscheinen soll die erste Säumniszeit ausgesprochen und erneut eingeladen
werden.

Wer ohne einen wichtigen Grund (der eng ausgelegt werden soll) erneut nicht
erscheint, erhält keine Leistung bis zur nächsten persönlichen Meldung, mindestens
jedoch für vier Wochen.

Die Wahl der Themen für die Gruppeninfoveranstaltungen ist den VermittlerInnen
der Arbeitsämter tendenziell freigestellt (Rechte und Pflichten, Nebeneinkommen
etc.).

Um so präzisere Vorgaben erhalten die Arbeitsamtsbediensteten, für das Einhalten
der angesetzten Meldetermine nur ein 'ganz schmales Fenster' zu öffnen. Konkret:
Wer auch bloß wenige Minuten zu spät kommt, erhält die Säumnisstrafe.

Vorsicht an verlängerten Wochenenden!

Besonders die Tage rund um Ostern oder andere Feiertage und 'Brückentage' wie
Freitag, den 2. Mai haben die Arbeitsamtsstrategen für Massenmeldetermine oder
-'Info'-Veranstaltungen ausgesucht - in der Annahme, Leistungsbezieher würden
da vermehrt nicht erscheinen.

Verdoppelung der Sperrzeiten nach Arbeitsangebot

Vermittlungsvorschläge des Arbeitsamtes gehen i.d.R. an Arbeitgeber und Arbeitnehmer.
Der Arbeitgeber wird darin aufgefordert zurückzumelden, warum es nicht zur Einstellung
der vorgeschlagenen Person kam. Nicht selten melden Arbeitgeber dem Amt, die
Person habe sich nicht beworben. Oder sie behaupten, sie habe sich nicht ernsthaft
für die freie Stelle interessiert.

Hatten die ArbeitsamtsmitarbeiterInnen bislang bei der Besetzung einer freien
Stelle quasi die Wahl zu entscheiden, wie sie die Antworten der Arbeitgeber
bewerten und wieviel Mühe sie aufbringen wollten, die Antworten der Arbeitgeber
nach einem Anfangsverdacht für eine Sperrzeit zu durchforsten und zu verfolgen,
ist jetzt die strikte Suche nach solchen Verdachtsmomenten angeordnet.

Die MitarbeiterInnen haben unverzüglich die Sperrzeitrelevanz aller Arbeitgeberrückmeldungen
auszuwerten, 'verdächtigen' Erwerbslosen eine vierzehntägige Anhörungsfrist
einzuräumen, die Zahlung sofort vorläufig einzustellen, nach Rückäußerung oder
ungenutztem Ablauf der Anhörungsfrist sofort über die Sperre zu entscheiden
und vermittlungsrelevante Erkenntnisse aus den Anhörungsverfahren den Arbeitsvermittlern
mitzuteilen.

Die auf diesem Weg beabsichtigte schärfere Verfolgung von Betroffenen führt
dazu, dass amtsintern eine Verdoppelung der Sperrzeitenquote erwartet wird.
Dies soll zumindest Mehrkosten vermeiden helfen, die der BA sonst durch die
gesetzliche Verkürzung der Dauer der ersten und zweiten Sperrzeit auf drei bzw.
sechs Wochen entstehen könnten.

Sperrzeit wegen Arbeitslosigkeit ohne wichtigen Grund

Um ein Drittel soll die Zahl der Sperrzeiten steigen, die wegen des Herbeiführens
der Arbeitslosigkeit ohne wichtigen Grund gegen Erwerbslose ausgesprochen werden.
Dazu sollen

1. die Sperrzeitsachverhalte aus der Sphäre des Arbeitslosen lückenlos aufgeklärt,

2. falls erforderlich die Angaben des Arbeitslosen beim Arbeitgeber geprüft,

3. bei Zweifeln, ob ein Sperrzeitgrund vorliegt, nicht automatisch zu Gunsten
des Erwerbslosen entschieden werden (zur Beweislastumkehr vgl. quer, Feb. 2003,
S. 8).

Zugang Arbeitsloser zu Leistungen behindern

Bei der Arbeitslosmeldung soll das Erstgespräch zwischen Arbeitslosen und Vermittler
sofort stattfinden. Dort soll das Bewerberangebot geprüft, Vermittlungsangebote
unterbreitet, über Rechte und Pflichte informiert und eine Einladung zum voraussichtlichen
Termin des Eintritts der Arbeitslosigkeit genannt werden. Die Behördenspitze
erhofft sich davon sofortigen Abgang von einigen Prozent der Erwerbslosen aus
der Leistung, was trotz der hohen Zahl der Arbeitslosmeldungen zu Einsparungen
von Millionenbeträgen beim jeweiligen Arbeitsamt führen könne.

Sofortige Aufforderung zum Nachweis der Eigenbemühungen

Zur Arbeitslosmeldung wírd ein "Pflichtenheft" ausgehändigt; binnen weniger
Wochen sind Eigenbemühungen der Erwerbslosen zu einem bestimmten Meldetermin
nachzuweisen. Hunderte Abgänge aus dem Leistungsbezug werden erwartet wegen
Nichtbefolgen der Meldetermine und fehlender Nachweise über Eigenbemühungen.
Fehlende Nachweise für einen bestimmten Nachweiszeitraum führen dazu, dass für
diesen Zeitraum die Arbeitslosigkeit verneint, mithin die gezahlte Leistung
zurückgefordert wird.

Frauen mit kleinen Kindern: Ab in die rotierende Trainingsmaßnahme!

Wer mit Anspruch auf Arbeitslosengeld nur für eine Teilzeitarbeit in Frage kommt
oder aus der Familienphase auf den Arbeitsmarkt zurückkehren will, soll sofort
für zwei bis vier Wochen einer rotierenden Trainingsmaßnahme mit wöchentlichem
Zugang zugewiesen werden. Bewerberinnen nach der Familienphase mit einem Alg-Restanspruch
werden einer Trainingsmaßnahme zugewiesen, wobei diese erfahrungsgemäß der Verfügbarkeit
entgegensteht - mithin der Leistungsanspruch entfällt.

ABM und berufliche Bildung für Alg-Beziehende

Zur Senkung der Alg-Ausgaben soll weiterhin die Anhebung des Anteils vormaliger
Alg-BezieherInnen in Maßnahmen der beruflichen Bildung und zur Arbeitsbeschaffung
beitragen (im Bereich Bildung von ca. 40 % auf 90 %, bei ABM von unter 20 %
auf 70 und mehr Prozent). Finanzielle Einsparungen beim Alg, die noch nicht
oder erst für das kommende Jahr bezifferbar seien, soll hier die Kürzung der
Zuweisungsdauer in ABM auf sechs oder neun Monate bewirken.

Keine moderne Verwaltung ohne Controlling

Die Ergebnisse dieser Maßnahmen werden monatlich je Arbeitsamtsteam ausgewertet.
Z.B. wird geprüft, ob die Zahl der realisierten Säumniszeiten die vorgegebene
Einsparsumme erbracht, ob die angestrebte Zunahme der Sperrzeiten (gemessen
als Verhältnis der Sperrzeiten je Erwerbslosem mit Leistung) erreicht, ob die
je Maßnahme erwartete Zahl der Abgänge aus dem Leistungsbezug geschafft wurde,
usw. Die ArbeitsamtsmitarbeiterInnen werden bei diesem 'zielzahlenorientierten
Verwaltungshandeln' vermehrt unter Druck gesetzt. U.a. wurde in Nordrhein-Westfalen,
wo seit Jahren drastische personelle Unterbesetzung besteht, zwar durch neue
Planstellen eine gewisse Entlastung geschaffen, aber nur wenn das einzelne Arbeitsamt
versprach, in seinem Bereich die durchschnittliche Alg-Bezugsdauer um eine Woche
zu senken. Bei Nichterreichen dieser Zielsetzung sollen die neuen Planstellen
wieder abgezogen werden.

Statt Vermittlung Verfolgung

Kontinuierliches Controlling in den Vermittler-Teams, den Abteilungen und den
Ämtern verlagert den Schwerpunkt dortiger Arbeit. Die Qualität der Vermittlung
rückt (noch mehr) in den Hintergrund. Das Hauptaugenmerk gilt der Beseitigung
von Leistungsfällen - der Verfolgungsbetreuung, wie ver.di-KollegInnen aus NRW
diese Tätigkeit benannten. Als Instrumente steht den 'Verfolgern' bald alles
zur Verfügung, was das Amt zu bieten hat. Denn die verfügbaren Haushaltsmittel
(des Eingliederungstitels) der Arbeitsämter sollen nach den Geschäftspolitischen
Ziele 2003 der BA gezielt eingesetzt werden, um die Zahlung von Leistungen an
Arbeitslose zu verhindern.

Haushaltssteuerung: Schlappe 2,83 Milliarden EURO Einsparvorgabe

Um einen ausgeglichenen Haushalt der BA zu erreichen, sollen allein im Jahr
2003 beim Alg 2,83 Mrd. EUR eingespart werden (!).

Und der Druck auf die MitarbeiterInnen der Arbeitsämter ist seitdem weiter
gewachsen, da in Folge rapide steigender Arbeitslosenzahlen bspsw. allein für
Niedersachsen/Bremen seit Februar 2003 Mehrausgaben in Höhe von 38 Mio. EUR
verzeichnet wurden.

Aus dieser Zeit stammt ein Rundschreiben der BA zur Steuerung des Haushaltsbudgets
ohne Bundeszuschuss, wonach alle Aktivitäten zu allererst auf Arbeitslosengeldbeziehende
ausgerichtet und bei den Überlegungen zur Integration von Arbeitslosen die individuelle
Höhe der Arbeitslosengeldzahlung ("Wie teuer ist der Arbeitslose?")
beachtet werden soll.

Hier findet sich der Grund, warum vielen Arbeitslosenhilfebeziehenden die 2002
noch in Aussicht gestellten Maßnahmen, z.B. berufliche Bildung oder ABM, 2003
mit lapidarem Hinweis auf 'geänderte geschäftspolitische Ziele der Bundesanstalt'
verweigert wurden und werden. Um das Ausmaß dieses Angriffs auf Erwerbslose
klarzumachen, halte man sich vor Augen, dass Gersters Vorgaben zu Einsparungen
beim Arbeitslosengeld nur erreicht würden, wenn jedem Arbeitslosen sieben Wochen
lang seine Leistung gesperrt würde (so errechnete es ein Arbeitsamtsmitarbeiter).

Als Aktivitäten zur Haushaltssteuerung nennt das Rundschreiben: die Einschaltung
von Dritten in die Vermittlung, den Quickcheck auf Sofortvermittelbarkeit und
das Starten von Bewerbungsbemühungen umgehend nach Arbeitslosmeldung, auch um
evtl. sogar gewünschte «Atempausen» gar nicht erst entstehen zu lassen, die
Bewerberzielgruppe für die PSA soll so strukturiert werden, dass bei einer Einmündung
die Einspareffekte beim Arbeitslosengeld möglichst hoch sind, umgehendes Einmünden
derjenigen in Maßnahmen, für die dies laut Profiling erforderlich ist, bevorzugte
Bearbeitung von Alg-Empfängern bei der Abklärung medizinischer Fragestellungen
durch den Ärztlichen Dienst. Langzeitarbeitslose sollen hingegen verstärkt durch
Dritte betreut werden, um dadurch entstehende Freikapazitäten für eine intensivere
Betreuung von Personen mit kürzerer Arbeitslosigkeit nutzen zu können.

Zweiklassengesellschaft im Arbeitsamt

Im Februar wurden Vorwürfe laut, im Arbeitsamt bestehe eine Zweiklassengesellschaft,
da Bezieher von Arbeitslosenhilfe gegenüber solchen mit Arbeitslosengeld benachteiligt
würden.

Dem wurde offiziell nicht wirklich widersprochen, denn lt. Presseinfo Nr. 13/03
der Bundesanstalt erklärte das für das operative Geschäft zuständige BA-Vorstandsmitglied
Heinrich Alt:

Jeder Arbeitslose erhält das Angebot, dass er braucht, um in den Arbeitsmarkt
vermittelt zu werden, wonach bspw. berufliche Fortbildung bei kurzer Arbeitslosigkeit
besonders erfolgreich sei.

Das ist allerdings nach Auffassung der quer kein Wunder, denn bei kurzzeitig
Erwerbslosen ist - statistisch gesehen - die Arbeitssuche auch ohne Maßnahmen
des Arbeitsamtes am erfolgversprechendsten, denn genau da finden ArbeitnehmerInnen
mit Qualifikationen, an denen es am Markt mangelt, den neuen Job. BA-Vorstandsmitglied
Alt weiter:

Bei Langzeitarbeitslosen hätten sich dagegen betriebliche Trainingsmaßnahmen
als besonders wirksam erwiesen (BA-Presse-Information vom 3.3.03). Zu beachten
ist hier die Wortwahl wirksam, was wohlweislich nicht Vermittlung in Arbeit
bedeutet. Trainingsmaßnahmen sind ein Instrument, die Zahl der Abgänge aus Arbeitslosigkeit
in Nichterwerbsarbeit zu steigern.

Nach Zahlenangaben der BA vom Januar 2003 wurde für das Jahr 2002 eine um ca.
283.000 gestiegene Zahl solcher Abgänge errechnet; allein 233.000 Personen mehr
als im Vorjahr verschwanden durch Nichterneuerung der Meldung bzw. fehlender
Mitwirkung (zumindest vorläufig) aus der Statistik.

Insgesamt wurden damit ca. 1,25 Mio. Personen um Leistungen der Ämter gebracht
- ein wahrlich beeindruckendes Ergebnis der sogenannten aktivierenden Arbeitsmarktpolitik.

Um den Einsatz von Trainingsmaßnahmen gegen bestimmte Zielgruppen zu effektivieren,
wurde zum Jahresanfang die alte 12-Wochen-Grenze der jährlichen Zuweisung in
Trainingsmaßnahmen von der BA gekippt. Fortan gilt, dass nur noch die Zuordnung
zu ein- und demselben Betrieb im Wege einer betrieblichen Trainingsmaßnahme
auf 12 Wochen (innerhalb von vier Jahren) begrenzt ist. Nach Ablauf der 12 Wochen
könnte die nächste Maßnahme angeordnet werden, nur eben in einem anderen Betrieb.

Und Schluss

Die quer-Redaktion würde sich freuen, wenn sich möglichst viele daran beteiligen
würden, Kenntnisse über aktuelle Ausgrenzungsstrategien zu verbreiten und Erwerbslose
vor diesen zu warnen.

Wir bitten alle, die Neues zu diesem Thema erfahren, um Zusendungen von Informationen
an die Redaktionsadresse.