Giannis Serifis: 'Die Terrorisierung einer Bewegung'

Übersetzung eines Interviews mit Giannis Serifis, daß am 28. Juli in der griechischen Tageszeitung Ethnos erschien.

Die mutmaßlichen Mitglieder der griechischen Stadtguerilla 17.November
sind verhaftet. Die Gelegenheit ist günstig für den griechischen Staat gegen
die radikale Linke vorzugehen. Der 65jährige Giannis Serifis ist ein in Griechenland
bekannter Syndikalist, der schon gegen die Militärjunta gekämpft hat. Seit den
70er Jahren gehört er zu den "üblichen Verdächtigen", wie die Anarchisten genannt
werden, die nach jedem Anschlag einer Stadtguerillagruppe von der Polizei präsentiert
werden. Jetzt behaupten einige, Serifis sei Gründungskader des 17.November.
Mit ihm sprachen Giorgos Gioukakis und Babis Agrolabos für die griechische Tageszeitung
Ethnos. Das Interview erschien am 28.Juli 2002.

? Könnten Sie der Nächste sein der wegen Mitgliedschaft im <17.November>
angeklagt wird?


!
Eingekreist bin ich von einem Teil der Medien die sich aufführen als wären
sie die Verfolgungsbehörden. Von der Polizei wurde ich weder belagert noch belästig.
Ich habe auch noch nicht bemerkt, dass ich besonders überwacht werde, also mehr
als es in der Vergangenheit üblich war.

? Sie verstehen allerdings, dass Ihr Name nicht aus dem Nirgendwo aufgetaucht
ist?


!
Ich bemerke, dass mein Name von gewissen Stellen mit dem Fall verwickelt
wurde. Damals im Fall Ravtopoulos (1) geschah genau das gleiche. An dem Tag
als der Anschlag stattfand war ich von morgens bis abends im Verwaltungsrat
meiner Gewerkschaft. Wir hatten gerade die Verhandlungen wegen der neuen Kollektiv-Verträge,
und trotzdem stand mein Name am nächsten Tag als Hauptverdächtiger in der Zeitung.

? Haben Sie eine Einschätzung warum Christodoulos Xiros (2) Sie belastet
hat?


!
Keine Ahnung, vielleicht sucht er ein Alibi, vielleicht spielt dabei wieder
die Polizei eine Rolle.

? Aus welchem Grund?

!
Aus den gleichen Gründen wegen denen sie Konstrukte bei der AEG-Aktion
(3) und dem Fall Ravtopoulos aufgebaut haben. Außerdem gibt es ein Terror- und
Verrätergesetz (4) und die Verhafteten glauben, dass sie ja zu allem sagen müssen
was ihnen die Polizei sagt.

? Sie werden die Aussagen von Christodoulos Xiros gelesen haben. Er erwähnt,
dass Sie ihm gegenüber den bewaffneten Kampf propagiert haben und ihn dann mit
Koufodinas (5) in Kontakt gebracht haben.


!
Christodoulos Xiros hat auch noch andere Sachen gesagt. Ich habe allerdings
kein Interesse mich mit seinen Verlautbarungen zu beschäftigen. Um eins klarzustellen,
den Koufodinas kenne ich noch nicht mal vom Sehen.

? Wie ist Ihre Meinung zum bewaffneten Kampf? Lässt er sich unter den heutigen
Bedingungen rechtfertigen?


!
Nein, er kann auf keinen Fall gerechtfertigt werden, solange es keine
entwickelte klassenkämpferische Bewegung gibt. Der Punkt ist nicht eine Macht
gegen eine andere auszutauschen. Wenn wir die Welt verändern wollen, müssen
wir das gemeinsam tun. Wir können nichts mit einer handvoll Leuten verändern,
die versteckt irgendeine Art von bewaffnetem Kampf führen. Wenn wir an den Punkt
kommen wo das Volk entschieden hat eine Situation aktiv zu verändern ist das
komplett anders. Ich glaube an die politische Selbstorganisation und den Kampf.
Dafür setze ich mich schon mein ganzes Leben ein im Arbeitsbereich. Und ich
glaube, dass Selbstorganisation überall möglich ist, bei den Bauern, an den
Universitäten u.s.w. Das bedeutet allerdings größere Verantwortlichkeit, größeres
politisches und gesellschaftliches Bewusstsein, mehr Teilnahme und Solidarität.
Wenn diese Bedingungen existieren, diskutieren wir auch über bewaffneten Kampf.

? Sie reden von Revolution.

!
Genau. Um allerdings in eine vorrevolutionäre Situation zu kommen müssen
wir hart arbeiten. Es ist meine Wahl dafür zu arbeiten das die Gesellschaft
sich ändert, und ich tue es offen. Es hat mich nie interessiert dass sich irgendwelche
Retter finden, die das Volk retten. Wenn sie wollen bedeutet das, dass sich
das Volk selbst retten kann.

? Im politisch-ideologischen Rahmen den sie angeführt haben, könnte dort
nicht der <17.November> als "revolutionäre Avantgarde" wie sich die Organisation
in Erklärungen selbst bezeichnet ihren Platz finden?


!
Ich glaube, dass keine hierarchische Organisation mit so klarem Machtanspruch
wie der <17.November> Avantgarde sein kann.

? Hat die Tatsache, dass Sie Gewerkschafter und über Jahre Mitglied des
Verwaltungsrats sind, nicht dazu geführt, dass Sie Macht ausgeübt haben?


!
Das ist einer der Widersprüche. Manchmal sind wir von den Bedingungen
her gezwungen, eine gewisse Rolle zu spielen. Aber sogar in diesem Fall, also
in der Gewerkschaft war es immer unser Ziel autonome Vereinigungen zu bilden.
Bei AEG 1976-77 mussten wir gezwungenermaßen 15 Stunden am Tag arbeiten und
die parteinahen Gewerkschaften haben nichts gemacht. So haben wir selbstorganisierte
Basiskomitees gegründet und daraufhin den Arbeitsvertrag angegriffen. Nach 77
Tagen Arbeitskampf haben wir gewonnen, weil wir nicht das Spiel der offiziellen
Gewerkschaften mitgespielt haben.

? Jemand der von Ihrer Laufbahn als Syndikalist hört wird sich fragen warum
Ihr Name ständig mit Terrorismus in Verbindung gebracht wird.


!
Ich erinnere sie daran, dass das schon lange vor AEG begann. Ich war Gastarbeiter
in Deutschland und später in Australien. Ich wollte in Europa sein, in Kontakt
mit den antidiktatorischen Bewegungen. Während dieser Zeit habe ich mich für
die Bewegung <20.Oktober> (6) entschieden, eine antihierarchische, antiherrschaftliche
Bewegung. Wir haben Arbeiter-Unterstützungskomitees gegründet und alles was
die Kollegen in Griechenland brauchten aus Deutschland geschickt. Mein Name
wurde durch Verhaftungen bekannt und ich wurde in Abwesendheit verurteilt. Wissen
sie was damals in Morfati, meinem Dorf los war? Polizeikräfte, die Armee und
die Geheimpolizei umzingelten es drei Monate lang.

? Hat sich der <20.Oktober> nach dem Sturz der Junta aufgelöst?

!
Innerhalb von 24 Stunden haben sich alle antidiktatorischen Organisationen
aufgelöst. Wir haben uns beeilt zurückzukehren. Ich bin kurz vor den Wahlen
1974 zurückgekehrt. Mit normalen Papieren, allerdings war ich sehr vorsichtig
da es intensive Gerüchte über einen neuen Putsch gab. Ich ging dann zurück nach
Deutschland auf Arbeit und war 1975 nicht in Griechenland. Endgültig zurückgekehrt
bin ich im folgenden Jahr. Meine politische Überzeugung war, dass eine antagonistische,
Gewerkschaftsbewegung entwickelt werden müsste. Wir diskutierten damals über
eine Assoziation unabhängiger Betriebsgruppen. Das haben wir nicht geschafft,
da uns die AEG- Geschichte dazwischenkam. Ich wurde in U-Haft gesteckt mit der
Beschuldigung Christos Kassimis (7) ermordet zu haben. Als ich aus dem Knast
entlassen wurde war unsere Gewerkschaft komplett von den Parteien bestimmt.

? Nach dem was jetzt an die Öffentlichkeit kommt hatte auch Christos Kassimis
Beziehungen zum <17.November>.


!
Das glaube ich nicht. Es ist etwas komplett anderes aus Protest eine Bombe
zu legen oder einen Mord zu begehen.

? Was für eine Meinung haben Sie sich über den <17.November> gebildet?


!
Bis jetzt habe ich nur von Strafdelikten gehört. Ich warte auf ihre politischen
Aussagen. Unabhängig davon dass ich anderer Meinung bin erwarte ich von ihnen
dass sie die politische Verantwortung übernehmen.

? Sagen Sie mir ehrlich, erwarten Sie, dass sie verhaftet werden?

!
Ich weiß ehrlich nicht was ich erwarte. Jeden Tag höre ich vier fünf Mal
das es sein kann, dass sie mich verhaften.

? Wenn Sie nichts getan haben warum haben Sie dann Angst?

!
Alles was geredet wird sind Falschaussagen. Ich habe einfach nichts damit
zu tun, nicht einmal ideologische Verwandtschaft. Das was mit mir geschieht
hat mit der Terrorisierung einer Bewegung zu tun, die außerhalb von Apparaten
und Parteien steht. Genau das passt denen allen prima. Der Regierung, weil sie
endlich Amerikanern, Engländern u.a. beweißt, dass sie gut arbeitet. Der Opposition
weil sie sieht, dass diese Geschichte zu Lasten der Linken geht.

? Was tun Sie wenn Sie von der Polizei zum Verhör abgeholt werden?

!
Ich werde keine Rechenschaft über mein Leben, meine Aktivitäten und meinen
Kampf gegen die Diktatur ablegen. Auch nicht über meine Teilnahme an gewerkschaftlichen
und gesellschaftlichen Kämpfen. Ich werde vor keinem Staatsschutz irgendetwas
erklären, da können die machen was sie wollen. Wenn die mich verurteilen wollen,
sollen sie mich für das verurteilen was ich bin.

? Haben Sie jemals Wut empfunden so das Sie gesagt haben jetzt nehme ich
eine Waffe und…

!
Nie, was sollte ich damit erreichen. Die Welt ändert sich nicht mit Gewalt
und Unterdrückung, sondern durch ständiges Infragestellen und Kampf.

? Wie stellen Sie sich das Verfahren des Infragestellens vor?

!
Politisch, das die Leute ihr Leben in die eigenen Hände nehmen. Ein Teil
des Lebens ist die Politik und deshalb unterstütze ich die Ansicht dass wir
sie nicht Berufspolitikern und angeblichen Fachleuten anvertrauen dürfen.

Autor: Übersetzt und gekürzt von Ralf Dreis

Anmerkungen:

1) Ehemaliger 1. Vorsitzender der GSEE (Allgemeiner Griechischer Gewerkschaftsbund).
1987 verübte die Organisation <1.Mai> einen Mordanschlag auf ihn.

2) Mitglied des <17.November>.

3) Nach den RAF Toten in Stammheim verübte ein Kommando des ELA (Revolutionärer
Volkskampf) einen Bombenanschlag auf die AEG-Niederlassung in Athen.

4) Anfang des Jahres wurde das "Antiterrorgesetz" mit Kronzeugenreglung verabschiedet.


5) Seit Ende Juni gesuchter "Topterrorist" des <17.November>, der sich 5.9.2oo2
der Polizei stellte.

6) Exilgruppe gegen die Junta.

7) Bei der AEG-Aktion wurde Christos Kassimis von Zivilpolizisten mit Kopfschuss
getötet. Der Mord sollte Serifis angehängt werden.