Kein Wort sagt mehr: Aussageverweigerung!

Seit dem 05.04.2005 findet vor dem OLG Halle die Revisionsverhandlung gegen einen Magdeburger Genossen statt. Hintergrund: Ihm und 2 weiteren Angeklagten wurden mehrere Brandanschläge zur Last gelegt und die Bildung einer „terroristischen Vereinigung“ vorgeworfen.

Das eigentliche Verfahren endeten im Dezember 2003 mit Haftstrafen von zweieinhalb und zwei Jahren für Marco und Daniel und einem Freispruch aus Mangel an Beweisen für Carsten. Im Februar war die Revisionsverhandlung im Verfahren gegen Marco, in der das Urteil bestätigt wurde.

Im Vorfeld der aktuellen Verhandlung gab es in Magdeburg zahlreiche ZeugInnenvorladungen. Viele der davon Betroffenen wollen damit kollektiv umgehen und diskutieren aktuell ihre gemeinsame Vorgehensweise.

Mehrere ZeugInnen haben sich aus politischen und persönlichen Gründen entschlossen, ihre Aussage zu verweigern. Sie nehmen damit bewußt Repressionsmaßnahmen wie Beugehaft in Kauf.

Aus diesem aktuellen Anlass wollen wir hier eine Diskussion anregen, welche aus unserer Sicht in den letzten Jahren zu kurz gekommen ist – Aussageverweigerung. Spätestens nach den §129a-Verfahren gegen die Antifastrukturen in Göttingen und Passau Mitte der 1990er Jahre ist das Thema Aussageverweigerung in der Linken in den Hintergrund getreten, obwohl es augenscheinlich in den letzten Jahren immer wieder Angriffe auf linke Strukturen gab und es sie weiterhin gibt. Die aktuellen Verfahren gegen GenossInnen aus Hamburg, denen Gründung einer kriminellen Vereinigung zur Last gelegt wird oder auch die Situation verschiedener Hausprojekte, wie der Rigaer 94 oder der York 59 in Berlin, sind Beispiele dafür. Auch Mitglieder verschiedener FAU-Gruppen waren bzw. sind immer wieder Repressalien ausgesetzt, wie zum Beispiel durch die Kriminalisierung von Veranstaltungen und Demonstrationen, in Form von Anzeigen bis hin zu „Verhinderungsgewahrsam“. Deshalb ist es wichtig, dass wir gemeinsam überlegen, wie wir unsere Strukturen schützen und uns gegen staatliche Repressionsmaßnahmen zur Wehr setzen können.

Ebenso wie die Repression viele Gesichter hat, gibt es viele Möglichkeiten, sich dagegen zu wehren. Aussageverweigerung ist in diesem Zusammenhang eine Möglichkeit, den staatlichen Angriff ins Leere laufen zu lassen. Zeugenaussagen sind für die Justiz oft die einzige Möglichkeit in politischen Strafverfahren, um an „Beweise“ für die den Angeklagten vorgeworfenen „Vergehen“ zu gelangen, da die Beweislage oft alles andere als eindeutig ist. Aber das Finden von Belastungsmaterial ist für den Staatsschutz meist nur nebensächlich – in der Hauptsache sind sie daran interessiert, Strukturen aufzudecken und die „Szene“ zu durchleuchten. Daher sind auch Aussagen, die für die Angeklagten entlastend erscheinen, für die Ermittler von Bedeutung.

Daher haben sich auch die betroffenen FAUistas in Magdeburg entschieden, jede Aussage im aktuellen Verfahren zu verweigern. Dabei geht es nicht darum, „Märthyrer“ im Kampf gegen den Staat zu produzieren, sondern vor allem darum, zu zeigen, daß es wichtig ist, den eigenen politischen Anspruch auch mit allen Konsequenzen zu vertreten. Dabei ist der Gedanke an einen Knastaufenthalt alles andere, als angenehm. Zu der psychischen Belastung durch die Situation im Knast selbst und die Trennung von Angehörigen und FreundInnen kommt oft auch der Verlust des Arbeits- oder Ausbildungsplatzes. Nicht zu vernachlässigen sind auch die finanziellen Einbussen – Kosten für Miete usw. fallen auch während der Haftdauer an. Daher ist es wichtig, dass sich die potentiell Betroffenen in ihren Zusammenhängen vorher mit dem Thema intensiv auseinandersetzen. Deren Rückhalt und konkrete Solidarität ist im Knast besonders wichtig. Die Beugehaft darf für die Betroffenen nicht zum individuellen Problem werden – ein offensiver politischer Umgang damit hilft nicht nur den Inhaftierten, sondern kann auch dazu führen, daß die Absichten des Staatsschutzes ins Gegenteil verkehrt werden. Nur wenn es der Polizei gelingt, in solchen Verfahren wichtige Informationen zu gewinnen, machen solche Kriminalisierungsversuche für sie Sinn. Wenn die Betroffenen konsequent den Mund halten, werden solche Versuche im Sande verlaufen.

Beim aktuellen Verfahren hatten die beiden Angeklagten bereits im Vorfeld der Revisionsverhandlungen ein „Angebot“ des Vorsitzenden Richters Braun, durch Schuldeingeständnis und eine Verpflichtungserklärung, sich künftig an die Gesetze zu halten, Strafreduzierungen zu erhalten, abgelehnt. Zur Prozeßeröffnung am 5.4. in Halle fand gleichzeitig eine Protestkundgebung vor dem OLG statt. Im Verlauf des 3. Verhandlungstag wurde am 26.4.05 der ehemalige Angeklagte Marco vernommen. Er verweigerte die Aussage mit der Begründung, sein Verfahren sei noch nicht rechtskräftig abgeschlossen. Daraufhin wurde er in Beugehaft genommen und zusätzlich zu 500 Euro Strafe verurteilt, weil er gegen den Willen des Richters eine Erklärung verlesen hatte, in dieser erklärten 9 weitere ZeugInnen das sie auf gar keinen Fall Aussagen vor diesem Gericht machen werden, auch wenn das für sie Beugehaft bedeutet! Für den 24.5. ist ein Großteil der Magdeburger Szene vorgeladen. Wer den MagdeburgerInnen Rückhalt geben will, kann dies an diesem und auch den anderen Verhandlungstagen vor Ort tun und/oder einen finanziellen Beitrag leisten:

Rote Hilfe Magdeburg
Stadtsparkasse Magdeburg
Kontonr.: 371 519 49
BLZ. : 810 532 72
Verwendungszweck: Soligruppe

Die nächsten Verhandlungstermine: 17.5., 24.5., 31.5., 14.6., 21.6., 28.6. (jeweils dienstags, 9.30 Uhr im Justizzentrum Halle Thüringer Str. 16)

Aktuelle Infos unter: www.soligruppe.de

Wir sind einzig unserem Gewissen verpflichtet.

Erklärung zur Aussageverweigerung

Vorab wollen wir feststellen, dass wir Beschuldigte und in anderer Form Betroffene (z.b. durch Hausdurchsuchungen), Verwandte, FreundInnen der Angeklagten in diesem Verfahren waren und sind und damit einigen von uns das Gesetz ein Aussageverweigerungsrecht einräumt. Dennoch hat dieses Gericht wohl seine eigene Auffassung der Gesetze und beweist damit erneut, dass es sich in diesem Verfahren nicht um die Straftaten dreht, sondern darum das unsere Ansichten und unsere politischen Überzeugungen gebrochen werden sollen. Schon im ersten Verfahren ging es weniger um konkrete Beweise für die vorgeworfenen Straftaten, als vielmehr darum eine Indizienkette zu schaffen, wo alles was dort nicht reinpasste keine Beachtung fand und die restlichen Indizien für das Gericht passend interpretiert wurden.
Abgesehen davon, kann und wird die deutsche Justiz niemals „Recht“ sprechen, da sich ihre Auffassung von Gerechtigkeit auf dem bürgerlichen Gesetzbuch stützt, welches Abschiebungen legitimiert, sozialschwache Menschen die zum Klauen gezwungen sind in Knäste steckt und für all die anderen Schikannen im Namen einer kapitalistischen Verwertungslogik verantwortlich ist. Justiz kann in diesem Sinne auch immer bloß Klassenjustiz sein.
Für den Fall das wir hier aussagen müssen, erklären wir folgendes: Wir werden auf keinen Fall Aussagen in diesem Verfahren machen, da wir dies nicht mit unserem Gewissen und unserer politischen Identität vereinbaren können. Auch eventuell verhängte Repressionsmaßnahmen werden uns von diesem Standpunkt nicht abbringen. Sondern uns und unser Verhältnis zu diesem System und diesem Spektakel hier eher stärken, da es uns und anderen Menschen weitere Einblicke in die Ungerechtigkeit dieser Verhältnisse aufzwingt. Da wir uns als emanzipatorische Menschen verstehen, leitet sich aus dieser Einstellung auch unser Verhältnis zu diesem Staat und seiner Justiz ab, wir lehnen beides ab. Beides sind Instrumente der Herrschenden im kapitalistischen System, dienen hauptsächlich ihrer Machterhaltung und richten sich daraus immer gegen die untersten sozialen Schichten und alle, welche nicht die Phantasie und der Mut fehlt, gegen die herrschenden Verhältnisse aufzubegehren.
Auch ist ein wichtiger Aspekt für unsere Entscheidung, dass es keine harmlosen Aussagen gibt; wir wissen nicht wofür diese Aussagen irgendwann genutzt und im Sinne der Behörden uminterpretiert werden könnten - die Phantasie der Repressionsorgane kennt bekanntlich keine Grenzen - noch sehen wir ein, FreundInnen zu denunzieren oder ihre persönlichen Verhältnisse dem Gericht offen zu legen.
Eine Zusammenarbeit mit der durch diesen Senat vertretende Klassenjustiz verbietet sich daher für uns.

In diesem Sinne, Freunde und GenossInnen verrät mensch nicht! Kraft und Liebe allen sozialen und revolutionären Gefangenen!! Freispruch für Daniel!!!

Marco H.; Carsten S.; Martin G.; Anja S.; Andre H.; Florian H.; Monique L.; Theresa S.; Christian L.; Sascha Z.