Kulturhauptstadt Wrocław 2016 – Erst gefeiert, jetzt gefeuert!

IP und Beschäftigte freuen sich über Protestbriefe!

Das polnische Wrocław war die europäische Kulturhauptstadt 2016. Kaum gehen das Jahr und die Kultursubventionen zu Ende, folgt nun auf das Feuerwerk der kulturelle Kahlschlag. Alleine am Polski Theater der Stadt sollen jetzt 11 langjährige Beschäftigte gekündigt werden. Schlimm genug, wäre da nicht zusätzlich auch noch der Umstand, dass es sich bei ihnen allesamt um Mitglieder der syndikalistischen „ArbeiterInnen-Initiative“ (IP) handelt und dass sie zuvor gegen Kürzungen und die Arbeitsbedingungen im Theater mobil gemacht hatten. Die IP ruft zu Protesten auf.

Präludium

Die 2008 gegründete Betriebs-Kommission der „ArbeiterInnen-Initiative“ (IP) im Polski Theater in Wrocław hat sich die letzten vier Monate mehrmals mit dem neuen Theater-Leiter Cezary Morawski getroffen, um über Forderungen der ArbeitnehmerInnen zu sprechen, die am 1. September 2016 Jahres eingereicht wurden.
Es ging ihnen zum einen um die Erhöhung des sehr niedrigen Grundgehalts im polnischen Theater, sowie das Erhalten der aktuellen Anzahl der MitarbeiterInnen (SchauspielerInnen, technisches und administratives Personal) für die nächsten zwei Theater-Saisons. Diese Hauptforderungen wurden vom Arbeitgeber abgelehnt. Der Theaterleiter behauptete, dass ein Sanierungsplan erforderlich wäre, wobei diese Schuldenreduzierung des Theaters in Wirklichkeit auf Kosten des Repertoires oder Personals gehen wird. Die letzte Anpassung der Löhne im Theater liegt fast 8 Jahre zurück und heute sind sie deutlich niedriger als der nationale Durchschnittslohn.
In den Forderungen ging es nicht nur um die soziale Sicherheit der MitarbeiterInnen und darum, ihnen angemessene Bedingungen zu ermöglichen (Zahlung von Wohngeld aus dem Sozialfonds, Organisation der Kinderbetreuung für Kinder der MitarbeiterInnen), sondern auch darum, eine kulturelle Arbeitsfreiheit zu haben, um ggf. die Teilnahme an einem Stück ablehnen zu können („Gewissenklausel“). Es ging auch um die Ernennung einer Vertrauensperson der/die gegen Diskriminierung aufgrund des Geschlechts und der sexuellen Orientierung arbeiten soll.
Der Konflikt eskalierte, als die MitarbeiterInnen des Theaters die Entlassung des Leiters forderten. Die beiden Seiten haben keine Einigung über irgendeinen der Punkte erreicht, so dass die Betriebs-Kommission einen Streik angekündigt hat.

Im Sinne der „guten Veränderung“

Für die Betriebs-Kommission der IP im Polski-Theater gab es bis dahin keinen direkten Anlass, um den Arbeitskampf zu beginnen. Die Situation änderte sich jedoch mit der Wahl des neuen Theaterleiters. Laut MitarbeiterInnen des Theaters fehlte dem Auswahlverfahren nicht nur Transparenz, sondern auch jegliche Legitimität. Da nicht nur die Kompetenz und die Haltung der gewählten Person für diese Funktion zweifelhaft sind, bekam diese keine Unterstützung und Akzeptanz von den MitarbeiterInnen.
Die Streikenden des Theaters haben keine Zweifel, dass es eine politische Entscheidung im Sinne der sog. „guten Veränderung“ war, eines politischen Konzepts der seit dem Oktober 2015 mit der parlamentarischen Mehrheit regierenden national-konservative Partei „Recht und Gerechtigkeit“ („Prawo i Sprawiedliwość“, PiS). Diese „moralische Heilung des öffentlichen Lebens der polnischen Gesellschaft“ versucht PiS mittels u.a. der Politisierung der TV und Kultur-Institutionen („neues, aber treues“ Personal) als auch durch Zensur einzuführen. Unterstützung findet die PiS auch bei der katholischen Kirche und deren Medien. Die PolitikerInnen nehmen nicht nur an verschiedenen Messen und Festen teil, sondern treten auch tagtäglich in den Medien der Kirche auf. Dies alles dient dazu, aus der polnischen Gesellschaft eine homogene, rechts-konservative und katholische Nation zu machen.

# Wir überlassen euch die Kultur nicht (# nie oddamy wam kultury)

Anfang Oktober 2016 wurde in Warschau, u.a. von der IP ein Protest unter dem Motto „#Wir überlassen euch die Kultur nicht“ organisiert. Die GenossInnen der IP, darunter die MitarbeiterInnen des Polski-Theaters, haben aktiv daran teilgenommen. Neben den ArbeiterInnen der Kulturinstitutionen waren auch die bekanntesten und einflussreichesten SchauspielerInnen der Bühne und des Kinos anwesend, wodurch auch die Aufmerksamkeit der Medien erregt wurde. Der Protest richtete sich gegen PolitikerInnen und Beamte, die „sich in allen Bereichen der Kultur einmischen sollen, um sie zu unterjochen und zum Nutzen ihre eigenen politischen Linie zu formen“. Daher das Motto des Protestes: „Stop Politisierung der Kultur“ und „Stop politische Zensur“.
Der Protest zeigte, dass die Situation im Polski-Theater kein Einzelfall ist. Eine ähnliche Situation fand auch in der Kulturhauptstadt Europas im Mai 2016 statt. Im Modern Museum wurde der Arbeitsvertrag der damaligen Leiterin nicht verlängert, um dadurch neue politische Nominierungen zu ermöglichen. Außerdem waren dadurch weitere Stellen in Gefahr und die IP-Mitglieder haben aus Solidarität Proteste organisiert. Anhand eigener Erfahrungen solidarisieren sie sich mit ihren IP-KollegInnen aus dem Polski-Theater und unterstützen ihren Arbeitskampf im Kultur-Bereich: „Für viele von uns war im Laufe unserer Karriere die Zusammenarbeit mit dem Leiter der politischen Herkunft eine unangenehme Notwendigkeit. Oft waren diese Situationen mit der Verletzung der ArbeitnehmerInnenrechte verbunden. Sie führen immer zu einem Riss im Theater-Team und dem Zusammenbruch der Institution, mit deren Programm die MitarbeiterInnen sich nicht mehr identifizierten. Und jetzt wird ein solches Szenario entworfen für das Polski-Theater – eine der wichtigsten und aktivsten öffentlichen Bühnen in Polen – durch Verantwortliche für den Verlauf des Auswahlverfahrens, der Vertreter der lokalen Behörden. Mit großer Sorge beobachten wir die Aktionen der Lokal-PolitikerInnen, die für Organisation der Arbeit der Kulturinstitutionen verantwortlich sind. Die Kulturhauptstadt Europas 2016 ist zu einem Symbol des Missbrauchs, als auch zu einem des Entzuges der demokratischen Verfahren und des unverantwortlichen, destruktiven Verhaltens der Behörden gegenüber den wertvollsten Kulturinstitutionen geworden.“

Repressionen gegen die IP-GewerkschaftlerInnen

Am 15. Dezember erhielt Tomasz Lulek, als Vertreter der Betriebs-Kommission der „ArbeiterInnen-Initiative“ (IP) im Polski Theater in Wrocław, 11 Mitteilungen über „die Absicht langfristige Arbeitsverträge mit den ArbeitnehmerInnen zu beenden“. Alle sind Mitglieder der IP-Betriebsgruppe (Komitee): Anna Ilczuk, Marta Zięba, Andrzej Kłak, Michał Opaliński (SchauspielerInnen); Łukasz Twardowski (Regisseur); Nina Karniej, Kasia Majewska, Alicja Szumańska (die Literaturabteilung); Natalia Kabanow, Michał Matoszko, Piotr Sarama (Grafik-Abteilung). In drei Fällen ist der offizielle Grund die Streichung der Stellen. Die restlichen acht werden aus disziplinarischen Gründen entlassen. Die Begründungen sind unter anderem: Kritik am Theaterleiter, verlorenes Vertrauen in die ArbeitnehmerInnen, kritische Facebook-Beiträge, Teilnahme an Demonstrationen zur Verteidigung des Theaters, zugeklebte Münder während des Schlußapplaus usw.

Die IP schreibt:
„Wir betrachten es als Angriff auf unsere Gewerkschaft und die Betriebs-Kommission, sowie als Beeinträchtigung der Gewerkschaftsaktivitäten bei Kollektivverhandlungen mit dem Arbeitgeber. Wir haben einen Streik angekündigt, und wir rufen dazu auf, unseren Protest auf alle möglichen Weisen zu unterstützen, u.a. das Senden von Protest-E-Mails an den Chef des Theaters und die niederschlesische Regional-Verwaltung, insbesondere an den Vize-Marschall Tadeusz Samborski.

Wir appellieren an alle (Betriebs-)Kommissionen unserer Gewerkschaft sowie an Schwester-Gewerkschaften und soziale Organisationen, Protestschreiben an die Leitung des Theaters und an den Marschall der Woiwodschaft Niederschlesien zu schicken. Eine Vorlage des Briefes und Kontaktinformationen finden sich nachfolgend.“

Die Betriebs-Kommission der Arbeiter-Initiative (IP) am Polski-Theater in Wrocław

Musterbrief (Deutsch, Englisch, Polnisch)

An: Mr. Cezary Przybylski, Marshall der Woiwodschaft Niederschlesien (e-mail: marszalek@dolnyslask.pl)
An: Mr. Cezary Morawski, Leiter des Polski-Theaters in Wrocław (e-mail: sekretariat@teatrpolski.wroc.pl)

Auf Deutsch

Ein Protest gegen Entlassungen im Polski-Theater in Wrocław
Wir protestieren gegen die Entlassung der MitarbeiterInnen des Polski-Theaters in Wrocław, die Mitglieder und AktivistInnen der IP sind. Es handelt sich um eine Verletzung von BürgerInnen-, ArbeitnehmerInnen- und Gewerkschaftsrechten, insbesondere angesichts der laufenden Kollektivverhandlungen im Theater. Die Entscheidung über die Entlassung ist durch die Rache an den ArbeitnehmerInnen motiviert, die gegen die Zerstörung des Theaters in seiner gegenwärtigen Form protestierten. Wir stimmen dieser Entwicklung nicht zu und fordern den Marschall der Woiwodschaft auf, in dieser Angelegenheit wirksame Aktivitäten im Sinne der Beschäftigten zu entfalten.

Auf Englisch

A statement of protest against dismissals in the Polski Theatre in Wrocław
We protest against dismissal of the employees Polski Theatre in Wrocław, members and activists of the Workers' Initiative Union. It is an act of violation of civic, workers' and union rights, especially in the face of an ongoing collective bargaining in the Theatre. Decission about firing is motivated with revenge on the workers who protested against destruction of the Theatre in its current shape. We do not approve of that and appeal to the Voivodship Marshal to undertake effective activities in that matter.

Auf Polnisch

List protestacyjny przeciw zwolnieniom w Teatrze Polskim we Wrocławiu
Protestujemy przeciwko zwalnianiu pracowników Teatru Polskiego we Wrocławiu, członków i działaczy Ogólnopolskiego Związku Zawodowego „Inicjatywa Pracownicza”. Jest to pogwałcenie praw obywatelskich, pracowniczych i związkowych szczególnie w sytuacji sporu zbiorowego, jaki toczy się w Teatrze Polskim we Wrocławiu. Decyzja o zwolnieniach motywowana jest zemstą za protest przeciwko niszczeniu teatru w jego obecnym kształcie. Nie zgadzamy się na to i apelujemy do Pana Marszałka o podjęcie działań ratunkowych.