Lieber Späti als nie?
Gekündigter Beschäftigter eines Friedrichshainer Spätkaufs streitet für angemessene Lohnnachzahlung. Ladeninhaber geht gegen Berichterstattung in linken Medien vor
Der Spätkauf gehört wie selbstverständlich zur Berliner Lebenskultur. Dass die Arbeitsbedingungen in diesen Läden in der Regel äußerst prekär sind, ist in der Hauptstadt der Prekarität scheinbar nur konsequent. Dabei handelt es sich für die dort Beschäftigten oftmals um einen Fluchtpunkt aus der Arbeitslosigkeit, eine Möglichkeit, wenigstens ein bisschen zum ALG II dazu zu verdienen oder die karge Rente aufzustocken. Nicht selten gilt das auch für die BesitzerInnen, die mit einem eigenen Laden aus der Arbeitslosigkeit fliehen wollen. Immerhin ist hier der Geschäftseinstieg einfach, verlangt er doch nicht so hohe Investitionen. Insbesondere MigrantInnen, die es auf dem Arbeitsmarkt schwerer haben, sehen darin eine Chance. Die Folge ist eine extrem hohe Wettbewerbsintensität, die nur durch schonungslose Selbstausbeutung oder die Verwendung billigster Arbeitskräfte kompensiert werden kann. Nicht wenige Spätis sind so von mithelfenden Familienangehörigen abhängig.
Kennzeichnend für die Späti-Branche ist, dass niemand so richtig auf die Arbeitsbedingungen zu achten scheint. Da es im Zentrum Berlins an jeder zweiten Ecke einen Späti gibt, ist der Konkurrenzdruck groß. Die Preise und Löhne sind, bei gleichzeitig wenig attraktiven Arbeitszeiten, sehr niedrig. Doch gerade für Menschen, die selber in prekären Arbeitsbedingungen arbeiten und spät, mit wenig Geld in der Tasche, nach Hause kommen, bietet der Späti auch noch zu später Stunde die Möglichkeit, sich einige Dinge zu besorgen, die das Leben angenehmer machen. Der in Berlin so anschaulich ausgeprägte Kreislauf der Prekarität schließt sich an dieser Stelle.
Manchmal wird er aber durchbrochen, werden die normalerweise so gut verdeckten Widersprüche sichtbar. Dies passiert gerade zum Beispiel in Friedrichshain, wo sich Daniel R.*, ein ehemaliger Beschäftigter des Spätkaufs Mumbai Corner in der Samariterstraße, zu wehren begonnen hat. Mehrere Jahre habe er dort gearbeitet, um sein ALG II aufzubessern. Doch statt auf die vereinbarten 20 Stunden im Monat, sei er auf volle 60 Stunden die Woche und somit auf einen Stundenlohn von unter einem Euro gekommen, wie er schildert. Zunächst sei er noch ganz froh gewesen, sich im Rahmen einer recht angenehmen Arbeitsatmosphäre etwas dazu verdienen zu können. Doch im Laufe der Zeit habe ihn der Chef immer geringschätziger behandelt, berichtet er. Als er schließlich versuchte, beim Chef eine größere Wertschätzung und mehr Respekt für seine Arbeit und Person zu bewirken, sei ihm gekündigt worden, so Daniel R.
Daniel R. hat indessen Prozesskostenhilfe beantragt und mithilfe seines Anwaltes Klaus Stähle Klage beim Berliner Arbeitsgericht wegen Sittenwidrigkeit eingereicht. Er fordert eine Lohnnachzahlung zum branchenüblichen Tarif im Einzelhandel. Dabei wird ihn die FAU Berlin unterstützen und den Konflikt öffentlich begleiten. Unter anderem mit einer Kundgebung soll das Thema, das so viele von uns betrifft, sei es als Kunde oder als Arbeiterin, in die Öffentlichkeit getragen und zur Diskussion und Gegenwehr in weiteren Fällen animiert werden.
Dies alleine wird freilich noch nicht ausreichen. Perspektivisch muss der Kreislauf der prekären Ökonomien insgesamt durchbrochen werden. Denn nur sehr wenige sind in dessen Rahmen die Gewinner, und sehr viele verlieren ständig mehr an Geld, Gesundheit und Selbstbestimmung. Ganz davon abgesehen, dass die extrem prekären Zustände in den den Spätverkäufen sich nachhaltig negativ auch auf die Arbeitsbedingungen im Einzelhandel generell auswirken. Das verstärkte Einfordern unserer Grundrechte vor den Arbeitsgerichten, auch in prekären Sektoren, kann nur ein erster Schritt sein.
AG Spätkauf der FAU Berlin
* Name geändert
Beschäftigte in Berliner Späti-Läden, die mit ihrer Situation unzufrieden und an einem Austausch interessiert sind, können sich gerne bei der FAU Berlin melden. Kontakt: faub(a)fau.org.
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