Wut auf faulen Mindestlohn-Kompromiss in Bangladesh
The rage over the wage
In der ersten Augustwoche kam es vielerorts in Bangladesh zu militanten Protesten gegen die neue Mindestlohnstruktur im Textilsektor, die zwischen Gewerkschaftsvertretern, Fabrikbesitzern und Regierung ausgehandelt wurde.
Der Mindestlohn in dieser Branche wurde zuletzt nach dem Massenaufstand im Jahre 2006 erhöht. Doch die Anhebung auf 1.662 Taka (etwa 18 ) war damals schon unzureichend - und seitdem sind die Preise für Grundnahrungsmittel um 70% gestiegen. Während ArbeiterInnen 5.000 Taka forderten, einigten sich Regierung und die Arbeitgebervereinigung BGMEA mit den angeblichen Repräsentanten der ArbeiterInnen, die aber faktisch wenig Einfluss auf diese haben, auf 3.000 Taka.
Das ist faktisch ein Reallohnverlust, zumal die Lohnerhöhung entgegen früherer Vereinbarungen auf November verschoben wurde und daher auf den Eid-Feiertagsbonus nicht angewendet wird. In der Lohngruppe 6, in die über 50% der ArbeiterInnen fallen, werden künftig lediglich 3.210 Taka (ca. 35 ) gezahlt.
Arme Bangladeshis müssen etwa 60% ihres Lohnes für das Essen aufwenden, um sich zwei Mahlzeiten am Tag leisten zu können. Wie wenig man sich für seinen Lohn kaufen kann, zeigt ein Vergleich mit den Ausgaben von höher bezahlten TextilarbeiterInnen:
Die 18jährige Subarna arbeitet in einer Textilfabrik in Dhaka. Sie ist verheiratet und hat einen zwei Jahre alten Sohn. Ihr Mann arbeitet in derselben Fabrik. Die drei in einem nur etwa 10qm großen Raum in einer niedrigen Blechhütte, in einem Slum namens "Korail Bosti", was einfach nur "urbanes Slum" heißt. In dem großen Gebiet bei Gulshan leben tausende TextilarbeiterInnen, TagelöhnerInnen und schlecht bezahlte Servicekräfte mit ihren Familien wie in Sardinenbüchsen. Die Hütten sind so eng gedrängt, dass man kaum mit einer gefüllten Einkaufstasche hindurchkommt. Die provisorischen Häuser stehen auf dem Land der Regierung und werden von lokalen Geschäftemachern vermietet, die ihrem angeblichen Recht dazu mit Muskelkraft Nachdruck verleihen.
Subarna bezahlt 1.500 Taka - also einen halben Mindestlohn - für die Miete und 360 Taka für Strom aus drei Steckdosen: eine für Licht, eine für den Ventilator, die dritte für den Fernseher. Dazu kommen 200 Taka für Hygiene und Kosmetik. Täglich etwa 160 Taka muss sie für Feuerholz, Reis, Bratöl, Zwiebeln, Knoblauch und Gemüse aufwenden. Manchmal gibt es für 50 Taka Fisch. Widerwillig zweigt sie 25 Taka am Tag für die Zigaretten ihres Mannes ab. Zusammen verdienen sie 14.000 Taka - also beide jeweils mehr als den doppelten Mindestlohn - und geben 11.000 für ihren alltäglichen Konsum aus. 2.000 bekommt ihr kranker Vater, der in Charfashion im Bezirk Bhola wohnt.
Die Gewerkschaftspräsenz in der Textilindustrie ist marginal und die verschiedenen Gruppierungen haben nur eine begrenzte Funktion als Mediatoren und Verhandlungspartner. Keiner der "Arbeitervertreter" bei den Mindestlohnverhandlungen kann sich auf großen Rückhalt unter den 3,5 Millionen TextilarbeiterInnen (davon 85% Frauen) stützen, die meisten sind auch selbst keine Textilarbeiter. Sie scheinen von der Regierung für diese Verhandlungen handverlesen zu sein, aber einige von ihnen waren froh, durch ihre Mitwirkung dem Abkommen einen Anschein von Legitimität geben, in dem sie es im Namen der ArbeiterInnen akzeptierten.
Nazma Akter, Präsident der Sammilito Garment Sramik Federation, einer Plattform von 40.000 TextilarbeiterInnen, begrüßte den verkündeten Mindestlohn von 3.000 Taka als Einstiegsgehalt. Er hat als ehemaliger Textilarbeiter eine Stufe auf der Karriereleiter von NGOs erklommen und war in der Vergangenheit froh, mit den den Textilbossen zusammenzuarbeiten und log dafür in der Öffentlichkeit, in dem er jeglichen Missbrauch von TextilarbeiterInnen am Arbeitsplatz leugnete (1). Die National Garment Workers Federation (2) hat das Angebot ebenfalls akzeptiert. Beide Organisationen verurteilten die militanten Proteste, die NGWF hat sogar absurderweise die Beteiligung von ArbeiterInnen daran abgestritten.
Nach den Verhandlungen in den Räumen des Arbeitgeberverbandes sagte, Armirul Haque Amin, der langjährige Vorsitzende der NGWF, dass er die neuen Lohnstruktur anerkennt und dass die Verantwortlichen für die fortgesetzte Gewalt in der Textilindustrie identifiziert und bestraft werden sollten (3).
Die Textilunternehmer, viele von Ihnen enorm reich geworden, geben zu, dass die Erhöhung keinen guten Lohn garantiert und baten um Geduld: Der Präsident der BGMEA, Abdus Salam Murshedy, behauptete, dass die Fabrikbesitzer in der Textilindustrie nicht in der Lage seien, in den nächsten drei Monaten die höheren Löhne zu zahlen, weil die weltweite Rezession und Engpässe in der Infrastruktur ihre Geschäfte beeinträchtigen. Reportern gegenüber sagte Murshedy, dass die die Fabrikbesitzer Zeit bräuchten. Er gab zu, dass die Lohnerhöhung gerechtfertigt sei, und angesichts der steigenden Lebenshaltungskosten auch unzureichend.
Noch im Mai verbreitete die BMGEA, dass die Branche boomt: "Die wichtigsten Kunden zahlten in den vergangenen Wochen rund 30% mehr für Textilprodukte [...] Mr. Mohiuddin sagte, dass diese Steigerungen die aufgrund von Produktionsausfällen in wichtigen Anbauländern gestiegenen Rohstoffpreise, eingeschlossen den Baumwollpreis, kompensieren würden."
Die Einkäufer, etwa die Firmen New Wave in Schweden, Terna in Italien, Wlimp, Jerge und Metro in Deutschland sowie Flazeazer in England haben ihre Preise um 20 bis 30 Prozent angehoben: "Die höheren Preise führen zu höheren Exporteinnahmen dieses Jahr", sagte Ashraful Hassan, Managing Director bei Grameen Knit. Der Textilsektor macht 90% der gesamten Exporteinnahmen im vergangenen Jahr aus. "Meine Kunden zahlen jetzt 2$ für ein T-Shirt, das früher 1,50 gekostet hat". Die Käufer hätten die schwere Lage, in der sich die lokalen Produzenten befinden, erkannt, und bessere Preise angeboten. Insider sagten, dass auch "Discount-Kunden", die den Markt in Bangladesh dominieren, begonnen haben, ihre Preise anzuheben. Darüber hinaus lag die Menge der exportierten Güter im April rund 13% höher als im Vorjahresmonat.
Dhaka, Freitag 30. Juli, am Tag nach der Bekanntgabe der Lohnvereinbarung:
In den Bezirken Gulshan, Banani, Kakali, Mahakhali und Tejgaon strömten tausende ArbeiterInnen auf die Straßen und begannen, die Hauptstraßen zu mit brennenden Reifen zu blockieren. Die Polizei antwortete mit Tränengas, Gummiknüppeln und Wasserwerfern (mit Farbe, um Demonstranten leichter identifizieren zu können). Heillos in der Unterzahl, konnte die Polizei die Proteste aber nicht eindämmen. Den Zusammenhang zwischen ihrer Klassenlage und die kontrastierende Verteilung des Reichtums in der Stadt unterstreichend, suchten sich die ArbeiterInnen ausgewählte Ziele:
Neben Textilfabriken wurden rund 200 Firmen angegriffen. Die reiche Nachbarschaft der Gulshan Avenue, nahe des Botschaftenviertels, erlebte eine ungewöhnliche Invasion von 5.000 ArbeiterInnen, die Büros, Banken und Läden verwüsteten. Auch Medienunternehmen wurden angegriffen. Der Polizeichef sagte, dass sich die Protestierenden gezielt das obere Preissegment vorgenommen haben (4).
Die Textilarbeiterin Parvin sagte, "Wir waren gezwungen, auf die Straße zu gehen, als wir direkt unter der Nase der Regierung ausgebeutet werden. Ich zahle 1.000 Taka für Essen und 1.500 Taka für Miete. Wie soll von mit diesem Lohn die übrigen Dinge bezahlen? Die Fabrikbesitzer wollen uns noch dazu um den erhöhten Feiertagsbonus bringen, in dem die neue Lohnstruktur erst im November umgesetzt wird".
Im zentral gelegenen Bezirk Mohokhali attackierten rund 3.000 ArbeiterInnen die Polizei, bewarfen die Fabriken mit Steinen und blockierten eine Überführung, sagte der lokale Polizeichef. In Tejgaon brachen Protestierende in eine Färberei ein, Haufen von Gütern wurden auf die Straße geworfen und verbrennt. Mindestens 20 Menschen wurden verletzt, davon fünf Beamte.
Am späten Freitag begann die Polizei mit Razzien gegen GewerkschafterInnen. Montu Ghosh, ein altgedienter Gewerkschafter und Funktionär der kommunistischen Partei wurde festgenommen und der Rädelsführerschaft beschuldigt. Ghosh lehnte die Mindestlohnvereinbarung ab. Weitere Gewerkschafter wurden Berichten zu Folge ebenfalls verhaftet. Das hatte jedoch wenig Einfluss auf die Intensität der Proteste.
Gleichzeitig erklärte die Mehrzahl der Gewerkschaftsbosse, denen nicht zum ersten Mal eine Stärkung ihrer Rechte versprochen wurde, eilfertig ihre Loyalität mit der Industrie. Zuvor, Sonntag Nacht, trafen sich die Vorsitzenden von 42 Arbeiterorganisationen mit dem Arbeitsminister und den Vorsitzenden der Arbeitgeberverbände am Sitz der BGMEA in der Hauptstadt, wo die Gewerkschafter der Regierung und den Fabrikbesitzern erneut erklärten, dass sie die Mindestlohnvereinbarung mittragen und daran arbeiten, die Normalität in der Textilindustrie wieder herzustellen. (5) Diese ungewählten "Arbeitervertreter" wurden von 14 anderen Gewerkschaftsführern für die Annahme des Deals gerügt.
Obwohl die Premierministerin in der Vorwoche feststellte, dass die Textilarbeiterlöhne "unzureichend und inhuman" seien - um die armselige Erhöhung zu verteidigen und deren Gegnern zu drohen, scheinen ihr Humanität und ein auskömmliches Gehalt nicht das notwendige Geld wert zu sein. Premierministerin Sheikh Hasina kündigte am Samstag ein hartes Vorgehen gegen diejenigen an, die auf den Straßen bleiben und eine anarchistische Situation im Textilsektor schaffen. Die Arbeiter sollen den Lohn akzeptieren und zur Arbeit zurückkehren: "Wir werden niemanden davonkommen lassen, wir werden die Provokateure finden und zur Rechenschaft ziehen", wurde sie zitiert.
Die Polizei gab sich keine Mühe, politische Neutralität vorzuteuschen. Der Kommissar der Stadtpolizei von Dhaka, Shahidul Haque, warnte am Freitag davor, den Textilsektor des Landes im Namen von Lohnforderungen zu destabilisieren. Die Behörden würden "null Toleranz" gegenüber Störungen zeiegen. Der Polizeichef rief ArbeiterInnen und Gewerkschaftsführer dringend dazu auf, das Abkommen zu akzeptieren: " Wir werden die Personen festnehmen, die konspirativ den führenden Exportsektor destabilisieren wollen. Wir finden die Aufrührer und werden harte Maßnahmen gegen sie ergreifen", warnte er.
In den folgenden Tagen sind die Zusammenstöße in verschiedenen Textilindustriezonen weitergegangen, da die Forderungen der ArbeiterInnen nach höheren Löhnen weiter bestehen. Tausende wehren sich gegen die Polizei, blockierten Straßen, legten hunderte Fabriken lahm und attackierten Geschäfte und Banken. Bewaffnete Polizei und paramilitärische schnelle Eingreiftruppen haben die Gebiete besetzt, und wenn sie davon abgehalten werden, auf die Straße zu gehen, legen die Beschäftigten ihre Arbeit nieder. Um die rund 1.000 Arbeiter von Liberty, Metro und Micro Fibre demonstrierten innerhalb der Fabrik mit roten Stofftüchern um den Kopf, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen. Die Arbeitgeber haben inzwischen viele Fabriken geschlossen, weil sie weitere Unruhen fürchten.
Die fortgesetzte Unruhe im Textilsektor, zusammen mit Problemen der Stromversorgung, die regelmäßig die Produktivität beeinträchtigen, verunsichern sowohl ausländische Kunden als auch lokale Zulieferer. Die starke Abhängigkeit von nur einer Exportindustrie, in der Bangladesh wettbewerbsfähige Niedrigstpreise und schnelle Lieferung bieten kann, zeigt eine beachtliche Schwäche, die die ArbeiterInnen im Klassenkampf nutzen können.
Möglicherweise wird die Regierung den ArbeiterInnen nach Jahren der Andeutungen auf dem Höhepunkt der Unruhen, die volle Gewerkschaftspräsenz in dem Sektor erlauben. Aber die Mehrheit der Gewerkschaftsbosse spielt die Rolle des Legitimationsbeschaffers für das armselige Abkommen und haben vielleicht mehr verloren als gewonnen.
Der Staat und die Bossen könnten ihre Versprechen zur Anerkennung von Gewerkschaften leicht wieder brechen, und während sie ihre Kämpfe fortsetzen, werden die besonders militanten ArbeiterInnen der Klassenkollaboration nicht wohlwollend zusehen und das armselige Lohnangebot akzeptieren.
Massive Einsätze von Sicherheitskräften, Razzien und Verhaftungen haben für den Moment für eine relative Ruhe gesorgt. Doch die Interessengegensätze werden weiter bestehen, da die Konflikte nicht gelöst sind.
Ret Marut, 04.08.2010 auf libcom.org
Übersetzung faums6
Anmerkungen
Die FAU hat bisher gute Beziehungen zur NGWF gepflegt, so dass wir über einige Informationen irritiert sind und die NGFW um Aufklärung gebeten haben.
1) http://libcom.org/news/bangladesh-carrot-stick-security-forces-fire-garment-workers-government-recalls-unions-1608
2) Die amerikanische IWW kommentiert (unter: http://libcom.org/history/video-machinists-against-machine-bangladeshi-garment-workers-struggles) "wie andere 'Gewerkschaften' in Bangladesh scheint die NGWF eher wie eine NGO als eine Gewerkschaft zu arbeiten und unterhält enge Kontakte zu NGOs im Westen."
3) http://www.newagebd.com/2010/aug/02/front.html#3
4) http://www.thebangladeshtoday.com/leading%20news.htm#lead%20news-01
5) http://newsfrombangladesh.net/view.php?hidRecord=329339